Die SPD-Spitzenkandidatin wirft dem Regierungschef eine perfide Strategie vor und schließt eine Koalition mit der Links-Partei aus.

Düsseldorf. Nach dem schwarz-gelben Sieg bei der Bundestagswahl schien eine Renaissance rot-grüner Politik in weite Ferne gerückt. Doch drei Wochen vor der Wahl stehen die Chancen für eine Koalition von SPD und Grünen in Nordrhein-Westfalen (NRW) genauso gut wie für ein Weiteregieren von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) mit der FDP. Beide Lager liegen vor der Landtagswahl am 9. Mai bei 45 Prozent. Das Abendblatt traf SPD-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft in ihrem Düsseldorfer Landtagsbüro und sprach mit ihr über die Siegchance, die zum Greifen nahe ist.

Hamburger Abendblatt: Frau Kraft, vor fünf Jahren wurde die SPD in Nordrhein-Westfalen abgewählt. Welchen Fehler von früher darf Ihre Partei nie wieder begehen?

Hannelore Kraft: Wir sind 2005 wegen landespolitischer Themen abgewählt worden, insbesondere im Bildungsbereich. Daraus haben wir gelernt. Wir haben uns in den vergangenen fünf Jahren durch harte Arbeit inhaltlich neu positioniert. Und wir haben die Diskussionskultur in der Partei und mit gesellschaftlichen Gruppen und Gewerkschaften verbessert.

Ist die SPD unter Ihnen linker geworden, als sie es unter Ministerpräsident Peer Steinbrück war?

Wer meinen Lebenslauf kennt, weiß, dass ich nicht zu den Ultralinken in der SPD gehöre. Aber wir haben uns schon verändert. Für uns steht die soziale Gerechtigkeit im Mittelpunkt unseres politischen Denkens. Wir haben den Kontakt zu den Gewerkschaften wieder gesucht und gefunden. Diese Basis ist wichtig für die SPD. Aber das hat nichts mit einer linkeren SPD zu tun, sondern mit einer Besinnung auf Kernwerte.

Hilft Ihnen Steinbrück im Wahlkampf?

Ja klar. Er hilft auf vielen Veranstaltungen mit, und dafür bin ich ihm sehr dankbar.

Auf wessen Unterstützung sind Sie jetzt am meisten angewiesen?

Es fasziniert mich, wie die gesamte Bundespartei hier jetzt mithilft, damit wir gewinnen. Aber entscheidend sind nicht nur die Promis aus Berlin, sondern vielmehr die Wahlkämpfer in jeder noch so kleinen Kommune. Die gehen wieder mit leuchtenden Augen für uns auf die Straße, und das war nicht immer so.

Hat man es als Frau im Wahlkampf eigentlich schwerer?

Ich werde nicht mit Samthandschuhen angefasst, erst recht nicht von Jürgen Rüttgers. Ich weiß nicht, ob es etwas damit zu tun hat, dass ich eine Frau bin. Aber inzwischen hat Rüttgers' Art mir gegenüber ein unterirdisches Niveau angenommen.

Wie würden Sie den Wahlkampfstil von Jürgen Rüttgers beschreiben?

Er ist sehr nervös, er agiert nur noch hektisch und sehr unsouverän.

Ist er ein Populist?

Ich habe mir abgewöhnt, meinen Gegenkandidaten zu charakterisieren. Darin sehe ich auch nicht meine Aufgabe. So ein Urteil überlasse ich lieber den Wählern.

Rüttgers ist zumindest so ehrlich und sagt, er will 12 000 Stellen im Öffentlichen Dienst abbauen und viele Subventionen kürzen.

Schön wäre es doch, mal zu erfahren, wo er diese 12 000 Stellen eigentlich kürzen will. Die Antwort verweigert Rüttgers. Vielleicht will er Personal bei der Steuerverwaltung sparen, damit noch weniger Steuersünder aufgedeckt werden? Oder soll bei Lehrerinnen und Lehrern gekürzt werden?

Mit welchen Einschnitten müssen die Wähler denn rechnen, wenn Sie ab Mai regieren?

Es geht nicht um Einschnitte. Natürlich müssen wir insgesamt auch umschichten. Doch zuerst müssen wir im Bundesrat weitere Steuersenkungen verhindern. Um die Kommunen von der erdrückenden Last der Altschulden zu befreien, schlagen wir eine Art Bad Bank für Kommunen vor. Die NRW-Bank wird dabei die Schulden übernehmen, und die Zinslasten übernimmt das Land. Darüber hinaus muss der Bund die Kommunen bei den Unterkunftskosten für Hartz-IV-Empfänger entlasten. Die SPD-Bundestagsfraktion hat dazu einen Antrag eingebracht. So eröffnen wir den Städten und Gemeinden Spielräume, damit sie nicht Büchereien, Schwimmbäder, Jugendtreffs oder Theater schließen müssen.

Worauf muss sich die Bundesregierung einstellen, wenn Sie in NRW gewinnen?

Wir werden sofort diese unsägliche Steuersenkungspolitik der Bundesregierung über den Bundesrat stoppen. Selbst wenn es am Ende nur 16 Milliarden Euro sind, die die Steuerreform jedes Jahr kosten soll, 1,6 Milliarden Steuermindereinnahmen davon auch NRW. Wenn Rot-Grün hier regiert, kann die Bundesregierung auch die Verlängerung der Atomlaufzeiten begraben, und die Kopfpauschale im Gesundheitswesen sowieso.

Das klingt nach Blockadepolitik.

Nein, wir machen nur nicht mit bei einer entsolidarisierenden Politik. Wir Menschen in Nordrhein-Westfalen sind solidarisch miteinander. Hier gibt es einen besonderen Zusammenhalt. Und die Kopfpauschale wird hier von vielen Menschen als bedrohlich empfunden, gerade von den älteren.

Für Rot-Grün reicht es in den Umfragen noch nicht. Aber die Linkspartei würde mit Ihnen koalieren. Würden Sie auch mit den Linken?

Diese Partei ist sich überhaupt nicht einig darüber, wohin sie eigentlich will. Auf dem letzten Parteitag der Linkspartei liefen Spitzenlinke mit T-Shirts herum, auf denen stand: "Wir sind stolz darauf, linke Spinner zu sein". Die Linkspartei ist zurzeit weder regierungsfähig noch koalitionsfähig.

Von welchen Punkten ihres Wahlprogramms muss die Linke sich verabschieden, um für Sie regierungsfähig zu sein?

Es geht da nicht nur um Inhalte, sondern um Politikfähigkeit. Natürlich kann man nicht mit einer Partei regieren, die die Verstaatlichung von Schlüsselindustrien will. Diese Partei vertritt Ideen aus Wolkenkuckucksheim. Die Pragmatiker in der Partei, die das Land voranbringen wollen, sind in der Minderheit. Die meisten wollen opponieren und gegen alles sein.

Immerhin, Sie und die Linke wollen die Befristung von Arbeitsverträgen abschaffen - das ist doch ein Anfang ...

Die haben auch unser komplettes Bildungsprogramm abgeschrieben. Das allein ist nicht der Maßstab.

Was dann?

Die zentrale Frage ist: Mit wem kann man dieses Land verlässlich regieren? Und da sage ich, die Linkspartei ist nicht koalitions-fähig.

Schließen Sie eine Koalition mit der Linken nun aus oder nicht?

Wir wollen die Linkspartei aus dem Landtag heraushalten. Und ich will die Linkspartei-Wähler zur SPD zurückholen, ganz klar. Und mein Ziel ist Rot-Grün.

Sie haben meine Frage nicht beantwortet.

Ich sage doch klipp und klar: Die Linkspartei ist nicht koalitionsfähig. Ich glaube, das ist deutlich genug. Ich werde dieses Land verantwortlich regieren.

Herr Rüttgers glaubt Ihnen kein Wort, wenn er das liest.

Herr Rüttgers fährt eine ganz perfide Strategie. Er hat nur eine Chance, mit der FDP weiter zu regieren, wenn die Linkspartei ins Parlament kommt. Er redet ständig über die Linkspartei, weil er nämlich will, dass die Linkspartei den Einzug ins Parlament schafft. Gleichzeitig wirft er uns vor, wir würden eine Koalition mit ihnen vorbereiten. Rüttgers redet die Linkspartei stark, nur um selbst an der Macht zu bleiben.

Er könnte doch auch mit den Grünen regieren. Wie wollen Sie das verhindern?

Wir werden vorne liegen. Insofern bin ich da gelassen. Rot-Grün hat noch drei Wochen Zeit, und die werden wir nutzen.

Wenn Sie an den 9. Mai denken, wovor haben sie am meisten Angst?

Ich habe überhaupt keine Angst. Ich freue mich auf diesen Tag und verlasse mich ganz auf die solidarische Mehrheit in diesem Land.