Ungeachtet der massiven Kritik bekräftigte FDP-Chef Guido Westerwelle am Wochenende seine Haltung zum Vorrang des Leistungsgedankens.

Köln/Bonn. Die Debatte über Hartz IV dauert an. Die Bundesregierung kündigte nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts neue Härtefallregelungen für Hartz-IV-Bezieher an. Das Finanzministerium schloss höhere Regelsätze aus.

Westerwelle forderte einen völligen Neuanfang beim Sozialstaat, um Kindern besser zu helfen. Zugleich bezeichnete es der FDP-Chef als zynisch, dass sich diejenigen entschuldigen müssten, die arbeiteten und davon etwas behalten wollten. In einem Interview des Deutschlandfunks sagte er am Sonntag: „Und mehr und mehr werden diejenigen, die arbeiten in Deutschland, zu den Deppen der Nation.“

Das Erwerbslosen Forum Deutschland warf Westerwelle Populismus und Gefährdung des Sozialstaates vor. Ein Sprecher des Forums forderte am Sonntag in Bonn die sofortige Anhebung des Hartz-IV-Regelsatzes auf 500 Euro und einen gesetzlichen Mindestlohn von 10 Euro. Mittelfristig müsse Hartz IV abgeschafft und stattdessen die Arbeitslosenversicherung ausgebaut werden, hieß es.

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu Hartz IV will Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) die Härtefälle rasch neu regeln. In den kommenden Tagen würden den Jobcentern sofort anwendbare Beispiele vorgelegt, sagte sie der Zeitung „Bild am Sonntag“.

Von der Leyen äußerte die Hoffnung, dass am 1. April eine gesetzliche Neuregelung in Kraft treten könne. Bei Härtefällen gehe es nur um außergewöhnliche Fällte, etwa Aidskranke oder Rollstuhlfahrer. „Die Waschmaschine gehört sicher nicht dazu“, sagte sie. Solche Anschaffungen seien in die Regelsätze eingerechnet, dafür müssten die Bezieher sparen.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) wandte sich gegen höhere Hartz-IV-Regelsätze. „Das Bundesverfassungsgericht hat ausdrücklich nicht gesagt, die Hartz-IV-Sätze seien unzureichend“, sagte er in einem Interview der Frankfurter Rundschau (Samstagsausgabe). Er erwarte jedenfalls keine Auswirkungen des Urteils auf den Bundeshaushalt, fügte der Minister hinzu.

Auch der Fraktionsvize der Union in Bundestag, Michael Fuchs, rechnet nach dem Urteil nicht mit höheren Hartz-IV-Sätzen. Niemand sollte sich falsche Hoffnungen machen, sagte er der „Rheinpfalz am Sonntag“. Dagegen hatte von der Leyen von möglichen höheren Kosten gesprochen.

Das Bundesverfassungsgericht hatte am Dienstag entschieden, dass die staatlichen Leistungen für die 6,7 Millionen Hartz-IV-Empfänger neu berechnet werden müssen. Ein „menschenwürdiges Existenzminimum“ sei bisher nicht sichergestellt.

Nach Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) distanzierte sich auch Arbeitsministerin von der Leyen von Westerwelles Aussage, die Hartz-IV-Debatte trage „sozialistische Züge“. Viel Kritik hatte der FDP-Chef auch mit dem Satz geerntet: „Wer dem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz ein.“ Der „Bild am Sonntag“ sagte Westerwelle jetzt, er habe nichts zurückzunehmen.

Von der Leyen mahnte zur Zurückhaltung. „Wir brauchen uns gar nicht in solche Debatten zu verbeißen“, sagte sie der Zeitung. Das Bundesverfassungsgericht habe klar gemacht, dass das Existenzminimum gesichert sein müsse. „Denn es geht um die Würde des Menschen.“ Arbeitslose würden aufgefangen und erhielten Hilfe auf dem Weg zurück in den Job. Das sei ein Gütesiegel der Bundesrepublik Deutschland.

Der Präsident des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken, Alois Glück, kritisierte Westerwelle energisch. „Die Wortwahl ist diffamierend. Das ist nicht akzeptabel“, sagte Glück der „Passauer Neuen Presse“ (Samstagsausgabe). „Herr Westerwelle scheint eine Möglichkeit gesucht zu haben, sinkenden Umfragewerten durch eine solche pauschale Polemik entgegenzuwirken.“

Im Gegensatz zur Union forderte der Fraktionsvize der Linkspartei, Klaus Ernst, eine rasche Erhöhung der Hartz-IV-Sätze. „Das Hartz-IV-Urteil war eindeutig und keineswegs sozialistisches Teufelszeug“, sagte er. Wenn ein gesetzlicher Mindestlohn eingeführt würde, würde der Staat Milliarden sparen, die zurzeit zur Aufstockung gezahlt werden.