Auf zwei Konferenzen setzt sich der Wirtschaftsminister für die Abkommen TTIP und Ceta ein – weil die Zustimmung in der Bevölkerung weiter sinkt

Berlin. Ein „Trojanisches Pferd“ aus Plastik hatten die Demonstranten vor der SPD-Zentrale aufgeblasen. Wie beim Pferd aus der griechischen Mythologie würden bei den geplanten Freihandelsabkommen zwischen der EU mit Kanada (Ceta) und den USA (TTI), den Bürgern etwas untergeschoben: unter dem Deckmantel Ceta und TTIP Umwelt- und Verbraucherschutzstandards abgesenkt, ja sogar die gesamte Demokratie ausgehebelt.

Mit dieser Angst sind die Protestler vom Willy-Brandt-Haust nicht allein. Nachdem im Oktober noch 48 Prozent der Bürger TTIP gut fanden, das 800 Millionen Menschen diesseits und jenseits des Atlantiks mehr Wohlstand bescheren soll, sind es aktuell nur noch 39 Prozent, wie aus einer Emnid-Umfrage für die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch hervorgeht, die TTIP ebenfalls kritisch gegenübersteht. Aber gerade Zigtausende Facharbeiter in Autofabriken könnten profitieren, wenn pro Jahr eine Milliarde Euro an Zöllen beim Export in die USA wegfallen – und nicht mehr unterschiedliche Blinker und Spiegel auf beiden Seiten des Atlantiks eingebaut werden müssen.

In dieser schwierigen Gemengelage ist nun ausgerechnet SPD-Chef Sigmar Gabriel in der Bringschuld. Als Wirtschaftsminister steht er für den Erfolg TTIPs in Deutschland gerade. Angesichts des harten Widerstands setzt Gabriel deshalb auf eine alte Kulturtechnik, die in Zeiten des TTIP-Streits verloren gegangen zu sein scheint: reden.

Am Montagnachmittag luden er und SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann zu einer großen öffentlichen TTIP-Konferenz ins Willy-Brandt-Haus, die live im Internet übertragen wurde, Nutzer konnten direkt aus der Wohnstube Fragen stellen. Gabriel warb abermals für die Abkommen. Europa und Nordamerika müssten die Chance ergreifen, einen „Goldstandard“ einzuführen, der die Spielregeln für den Welthandel setze, so Gabriel. Klappe das nicht, werde Asien dauerhaft den Ton angeben – mit negativen Folgen auch für Umwelt, Klima und Verbraucherschutz. Und die USA werde sich als „Pazifische Nation“ nur noch nach Asien orientieren.

Für die TTIP-Kritiker gab es Zuckerbrot und Peitsche: Sorgen, etwa um Lebensmittelstandards, Arbeitnehmerrechte und Kulturförderung, seien ernst zu nehmen. Ja, Gabriel dankte sogar den Kritikern für ihr „Hinsehen“. Sie hätten die politische Debatte und die Diskussionskultur im Land vorangebracht. Dann wiederum warf Gabriel den Handelsgegnern Angstmacherei vor. Es gebe Kampagnen gegen TTIP, „bei denen jedes Argument der Aufklärung keine Chance hat“, sagte Gabriel. „Wer nur Emotionen mobilisieren will, der vertraut den Menschen nicht.“ Das Thema TTIP müsse intensiv debattiert werden – aber „auf der Basis von Fakten und nicht auf der Basis von diffusen Vermutungen“. Parolen wie „TTIP ist böse“ brächten nichts.

Auch bei einem Thema musste Gabriel einen Drahtseilakt vollbringen: dem leidigen Thema Schiedsgerichte, ein Hauptkritikpunkt der Freihandelsgegner. Sie fürchten, künftig könnten US-Konzerne europäische Staaten vor diese „privaten Geheimgerichte“ zerren und auf Milliarden an Schadenersatz verklagen, etwa wenn ihnen neue Umweltauflagen nicht passen. Auch innerhalb der SPD sind diese Sorgen weit verbreitet.

Gabriel hatte bisher eine derartige Klausel für die Streitschlichtung außerhalb des Gerichtswegs bei Staaten mit funktionierendem Rechtssystem für überflüssig erklärt. Nun sagte er aber, wenn man das Abkommen mit den USA zu einem „Goldstandard“ für weltweite Vereinbarungen dieser Art machen wolle, müsse man den Investorenschutz auch darin regeln. Damit erfüllte er auch eine Forderung der deutschen Wirtschaft. „Für die deutsche Industrie ist dieses Instrument unverzichtbar, um ihre Auslandsinvestitionen gegen politische Risiken abzusichern“, sagte Industriepräsident Ulrich Grillo auf einer TTIP-Konferenz der deutschen Wirtschaft, die kurz vor der SPD-Veranstaltung stattgefunden hatte.

„Ein internationaler Handelsgerichtshof, das ist die Richtung, in die wir gehen sollten“, sagte Gabriel und bekam dafür viel Applaus. Beim bereits fertig ausgehandelten Abkommen mit Kanada (Ceta) lässt sich so ein Gerichtshof nicht mehr einrichten. Aber Gabriel verlangte klare Nachbesserungen.

Bereits am Wochenende hatte Gabriel mit fünf sozialdemokratischen Amtskollegen einen Kompromiss vorgeschlagen. So soll das Ändern von Gesetzen keinen Klagegrund darstellen. Investoren müssen sich entscheiden, ob sie vor einem nationalen Gericht klagen oder vor einem Schiedsgericht. Um die Zahl der Verfahren zu minimieren, soll das Prinzip „Der Verlierer zahlt“ gelten. Auch soll es eine Berufungsinstanz geben.

„Ein Handelsgerichtshof ist eine gute Idee“, sagte EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström. Allerdings sei das nicht von heute auf morgen umzusetzen. Für die Zwischenzeit sollten daher weniger ehrgeizige Reformen am Schiedssystem vorgenommen werden. Bislang hatte sie sich eher dagegen gesperrt, bei Ceta noch große Änderungen vorzunehmen. Schließlich sei der Vertrag ausgehandelt, es gehe nur noch um die „Rechtskonformitätsprüfung“. Doch die legt die Bundesregierung in diesem Fall offenbar großzügig aus. Gabriel lobte Malmström, erst seit Ende vergangenen Jahres im Amt, mehrfach für ihre Transparenzoffensive und witzelte: „Vielleicht war es gut, dass die Verhandlungen unter Ihrem Vorgänger Karel de Gucht nicht öffentlich waren. Sonst wäre der Widerstand noch größer.“

„Es ist zu begrüßen, dass auch Bundeswirtschaftsminister Gabriel offensiv für das Freihandelsabkommen mit den USA wirbt. Insbesondere in seinen eigenen Reihen wird er noch viel Überzeugungsarbeit leisten müssen. Hierfür hat er unsere volle Unterstützung“, sagt Joachim Pfeiffer, wirtschaftspolitischer Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion. Bei der SPD, das sagen selbst interne Kritiker Gabriels, würden Ceta und TTIP öffentlich diskutiert – anders als bei den Unionsparteien. Das sei ein Verdienst Gabriels. Veranstaltungen wie diese Konferenz dienten dazu, „den Prozess zu rationalisieren“, sagt ein erfahrener SPD-Politiker. An der eigenen Basis freilich würden die Verträge „ziemlich fundamentalistisch“ diskutiert, als „Inkarnation des Neoliberalismus“. Im Juni soll der Parteikonvent über Ceta beraten, womöglich beschließen. Für Gabriel ist der Ausgang ohnehin völlig offen. „Wie sich die Meinung in der SPD entwickelt, weiß man nie“, scherzt er. Doch er weiß auch: Seine Partei kann es sich nicht leisten, den Parteivorsitzenden mit einem Nein bloßzustellen.

Schützenhilfe bekommt der SPD-Vorsitzende von John Emerson. Der US-Botschafter in Deutschland, der als kleine ironische Spitze in seinem Büro am Brandenburger Tor ein Bild mit Hühnern hängen hat, die im Chlor-Pool baden, erinnert die Deutschen sanft, aber entschlossen daran, was seiner Ansicht nach auf dem Spiel steht. Die westlichen Werte und der Rechtsstaat seien an vielen Fronten in Gefahr, warnt er, ohne Russlands Präsidenten Wladimir Putin und den Ukraine-Konflikt beim Namen zu nennen.

Aber trotzdem weiß auch Emerson: „Wir haben noch einen langen Weg vor uns.“