Osnabrück. Der Osnabrücker Islamforscher Bülent Ucar hat die Muslime davor gewarnt, auf Terrorakte wie in Paris ausschließlich mit Distanzierungen und „Betroffenheitsrhetorik“ zu reagieren. Sie sollten sich damit auseinandersetzen, dass Gewalt ein Teil der islamischen Tradition sei, sagte er. Es sei nicht damit getan, darauf zu beharren, der Islam sei nicht gewalttätig. Die öffentliche Distanzierung sei zwar wichtig, ergänzte der Direktor des Instituts für Islamische Theologie an der Uni Osnabrück. „Mit einer einfachen Verurteilung solcher verabscheuungswürdigen Taten kommen zumindest wir Theologen aber nicht weiter.“

Gewalt im Namen des Islam sei nicht ausschließlich eine Erscheinung der Moderne, sagte Ucar. Auch innerhalb der islamischen Tradition gebe es Argumentationsstränge, die Gewalttaten legitimierten. Der Terrorismus im Namen des Islam habe durchaus einen „ideologischen Unterbau und eine theologische Begründung“. Damit müssten sich Theologen und Religionspädagogen auseinandersetzen. Gleichzeitig sollten sie dem einen europäisch geprägten Islam entgegensetzen, der sich an Demokratie und Menschenrechten orientiere und den Dialog mit Juden und Christen suche, erläuterte der Wissenschaftler. „Wir Muslime müssen uns diesen radikalen Ausprägungen auch deshalb stellen, weil wir uns nur dann glaubwürdig von ihnen distanzieren können.“ Ein europäisch geprägter Islam müsse problematische Ansätze innerhalb der Tradition weiterdenken, verlangte Ucar.

Ucar plädierte dafür, der Entwicklung eines solchen europäischen Islam Zeit einzuräumen. In Deutschland befinde sich die islamische Theologie mit der Einrichtung von Studiengängen und Instituten gerade erst im Aufbau. Zudem lasse sich eine Religion nicht einfach von oben herab reformieren. Dennoch seien gerade jetzt die Gelehrten aufgefordert, sich mit öffentlichen Beiträgen Gehör zu verschaffen, sagte der Islamforscher. „In zweiter Linie haben die Anschläge von Paris die europäischen Muslime getroffen. Die Gewalttaten sind Wasser auf die Mühlen der Rechtspopulisten und der Islamfeinde.“