Hamburgs CDU-Chef Marcus Weinberg fordert von der Wirtschaft Bekenntnis zur Willkommenskultur – beispielsweise 10.000 Arbeitsplätze für junge Flüchtlinge. Forscher streiten über Nutzen von Migration.

Hamburg/Berlin. Es ist erst drei Tage her, da kam er wieder, der Ruf der Wirtschaft nach Fachkräften. Diesmal waren es die Handwerker. Viele Betriebe in Deutschland würden gern junge Flüchtlinge als Auszubildende einstellen. Denn zuletzt waren 37.100 Lehrstellen unbesetzt, 3400 mehr als 2013. Doch es fehlt an Planungssicherheit für die Firmen. Politiker sollen die Gesetze so ändern, dass die Handwerker sich darauf verlassen können, dass der Flüchtling die gesamte Zeit der Ausbildung in Deutschland bleiben darf.

Es ist nur eine Aufforderung von etlichen, die Fachverbände in den vergangen Jahren in Richtung Bund sendeten. Zu Recht, sagt Hamburgs CDU-Landesvorsitzender und Bundestagsabgeordneter Marcus Weinberg. Und dennoch sendet er eine Aufforderung zurück. „Die Wirtschaft muss nun in Vorleistung gehen bei der Integration von jungen Flüchtlingen. Ein Bekenntnis kann ein Fonds der Wirtschaft sein, mit dem Verbände und Unternehmen beispielsweise 10.000 Ausbildungs- und Arbeitsplätze für junge Flüchtlinge bereitstellen“, sagte Marcus Weinberg dem Abendblatt.

Zum anderen könne die Wirtschaft mit eigens dafür bereitgestelltem Geld die Integration von Flüchtlingen in die Gesellschaft verstärken, beispielsweise für Deutschkurse, für persönliche Begleiter oder im Bereich kultureller Integration. „Der Staat allein ist mit dieser Aufgabe stark belastet.“ Wie viel Verbände und Unternehmen in diesen Fonds einzahlen sollen, lässt Weinberg offen. An einer engen und persönlichen Betreuung von Flüchtlingen müsse die Wirtschaft ein eigenes Interesse haben, „endlich aktiv einen Fachkräftezuzug zu stärken und eine Willkommenskultur zu etablieren“, hob der CDU-Politiker hervor. Allein der laute Ruf der Wirtschaft nach mehr Fachkräften reiche nicht. Alle seien gefordert.

Weinberg sieht in dem Fonds der Wirtschaftsverbände einen Schritt zu einer „Allianz für eine echte Willkommenskultur“. Der CDU-Mann ergänzte seine Devise: „Raus aus den Flüchtlingsheimen und ran an die Werkbänke.“ Dafür benötige Deutschland ein Bündnis aus Politik, Gesellschaft und Wirtschaft. „Wirtschaft, Handwerk, Industrie und Handel müssen ein gemeinsames Angebot der beruflichen Integration machen, bevor wieder zu viele Jahre ungenutzt ins Land gehen.“ Auch andere CDU-Politiker wie der Hamburger Bundestagsabgeordnete Jürgen Klimke halten einen Fonds der Wirtschaft für Ausbildungsplätze für richtig. Viele junge Flüchtlinge – gerade aus Staaten wie Syrien oder Iran – seien bildungsaffine Menschen, teilweise mit Berufs- und Studienabschlüssen, hoben Weinberg und Klimke hervor. „Die Wirtschaft muss Angebote machen“, sagte Klimke dem Abendblatt.

Bonin: Willkommenskultur müsse verbessert werden


Alle Parteien des Bundestages, genauso wie die Wirtschaftsverbände und Handelskammern, halten eine Zuwanderung nach Deutschland für richtig und notwendig. Dennoch geht der Streit darüber weiter, ob Zuwanderer ein Gewinn oder eine Belastung für die Gesellschaft seien. Auch der Blick auf die Zahlen kann dabei zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Eine Studie von Holger Bonin vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim errechnet für das Jahr 2012 einen positiven Finanzierungsbeitrag von 3300 Euro je Ausländer. Der Präsident des Ifo Instituts für Wirtschaftsforschung, Hans-Werner Sinn, kommt dagegen in seiner Berechnung auf einen Betrag von minus 1450 Euro.

Wie kommt es zu dieser Diskrepanz? Bonin stellt nur die Steuern und Sozialversicherungsbeiträge, die Ausländer in Deutschland zahlen, gegen die von ihnen in Anspruch genommenen Leistungen. Dabei beschränkt er sich auf der Kostenseite auf Leistungen der Sozialversicherung, Kindergeld, Hartz-IV-Bezüge, Elterngeld und Ausgaben für Bildung. Sinn hält dagegen, dass man aber auch die Staatskosten für Verwaltung, Infrastruktur, Polizei und Justiz auf alle in Deutschland lebenden Menschen verteilen müsse. Damit komme man dann auf einen Betrag von 1450 Euro. Die Kosten für die Landesverteidigung sind dabei nicht berücksichtigt.

Sinn ist allerdings gegen eine Begrenzung der Zuwanderung. Der Ifo-Präsident ist sogar der Meinung, Deutschland brauche dringend Zuwanderung, damit unser Rentensystem nicht völlig zusammenbreche. Er ist allerdings der Ansicht, die Umverteilung durch das steuerfinanzierte Sozialsystem liefere falsche Anreize – sie erhöhe nämlich die Attraktivität Deutschlands für schlecht qualifizierte Migranten und schrecke Fachkräfte, die nicht so viel Steuern zahlen wollten, ab. Mit den aktuell stark steigenden Flüchtlingszahlen haben beide Berechnungen, die sich auf das Jahr 2012 beziehen, allerdings nichts zu tun. Bonin und Sinn haben für ihre Studien alle in Deutschland lebenden Menschen betrachtet, die keinen deutschen Pass haben.

In einem Punkt sind sich Bonin und Sinn einig: Wenn sich Zuwanderer bei uns nicht dauerhaft heimisch fühlen, ist das für alle Beteiligten schlecht – auch wirtschaftlich betrachtet. Bonin sagt: Um fähige Migranten dauerhaft anzuziehen, müsse die „Willkommenskultur“ verbessert werden. Sinn stellt mit Bedauern fest: Schon nach zehn Jahren sind mehr als die Hälfte der nach Deutschland eingewanderten Menschen in ihr Heimatland zurückgekehrt, nach 25 Jahren bis zu 75 Prozent. „Eine solche temporäre Einwanderung führt zu wesentlich geringeren Vorteilen für das Rentensystem, weil die Rentenansprüche der Migranten trotz der Rückkehr in ihr Heimatland erhalten bleiben“, ihre Kinder aber in Deutschland keine Rentenbeiträge zahlen.