Am Hindukusch reifte die Truppe zu einer Einsatzarmee. Jetzt geht der Einsatz ziemlich sang- und klanglos zu Ende.

Berlin. Gerade mal eine Stunde benötigt die Nato, um den längsten und verlustreichsten Einsatz ihrer Geschichte zu beenden. Der Kommandeur persönlich, US-General John Campbell, rollt die Fahne ein, unter der Soldaten aus mehr als 50 Ländern in den vergangenen 13 Jahren in den Kampf gegen die radikalislamischen Taliban gezogen waren. Die Zeremonie wurde sicherheitshalber in eine Sporthalle verlegt – wegen des Wetters, wie es hieß. Am Eingangstor des Hauptquartiers in Kabul steht bereits der Name der neuen Mission: „Resolute Support“ – Entschlossene Unterstützung. Künftig soll nicht mehr gekämpft, sondern nur noch ausgebildet und beraten werden.

Aus Deutschland ist niemand zu der Zeremonie angereist – nicht die Verteidigungsministerin, auch nicht der Generalinspekteur und noch nicht einmal der Befehlshaber des Einsatzführungskommandos. Damit geht auch der bedeutendste Einsatz in der Geschichte der Bundeswehr ziemlich sang- und klanglos zu Ende. 135.000 deutsche Soldaten nahmen in 13 Jahren an der Isaf-Mission teil, 55 ließen in Afghanistan ihr Leben, Hunderte kehrten traumatisiert zurück. Der Einsatz hat die Bundeswehr verändert, wie keine andere Mission zuvor. In Afghanistan hat die Truppe kämpfen gelernt. Hier ist sie zu einer echten Einsatzarmee gereift, die sich in der Nato nicht mehr verstecken muss. Sie ist quasi erwachsen geworden, aber sie hat dabei auch ihre Unschuld verloren.

Die Bundeswehr hat in Afghanistan nicht nur Terroristen bekämpft und getötet, sondern sie hat auch Zivilisten auf dem Gewissen. Am 4. September 2009 veranlasste der deutsche Oberst Georg Klein das Bombardement zweier in einem Flussbett feststeckender Tanklaster. Bewohner eines nahe gelegenen Dorfes, die Benzin abzapfen wollten, wurden von amerikanischen Fliegerbomben zerfetzt oder verbrannten in den Flammen.

Das alles ahnte Gerhard Schröder noch nicht, als er am 22. Dezember 2001 vor dem Bundestag um Zustimmung für die Entsendung deutscher Soldaten nach Afghanistan warb. Der SPD-Bundeskanzler hatte den USA nach den Anschlägen vom 11. September die „uneingeschränkte Solidarität“ Deutschlands versprochen. Die deutsche Beteiligung an der Anti-Terror-Mission „Enduring Freedom“ und an der Afghanistan-Schutztruppe sollten der Beweis dafür sein. „Es handelt sich um ein von den Aufgaben her, vom Einsatzort her und von der Zeit her begrenztes Mandat“, sagte Schröder damals. Insgesamt 5000 Nato-Soldaten sollten für sechs Monate in Kabul und Umgebung stationiert werden. Schröder nannte sie eine „Friedenstruppe“. Aus einem halben wurden 13 Jahre, aus den 5000 Soldaten zeitweise 140.000 und aus der Friedensmission ein Kriegseinsatz mit rund 3500 toten Soldaten aufseiten der Nato und ihrer Verbündeten. In Deutschland sprach man trotzdem lange Zeit noch von einem „Stabilisierungseinsatz“ – auch nach den ersten Selbstmordanschlägen mit deutschen Toten in Kabul und Kundus. Erst im neunten Jahr des Einsatzes änderte sich das. Am „schwarzen Karfreitag“ 2010 wurde die Bundeswehr in Kundus in das schwerste Gefecht ihrer Geschichte verwickelt. Drei Soldaten starben. Vier weitere wurden nur zwei Wochen später von den Taliban getötet.

Der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) sprach nun unumwunden von Krieg. „Tod und Verwundung sind Begleiter unserer Einsätze geworden, und sie werden es auch in den nächsten Jahren sein“, prophezeite er. Er sollte recht behalten. Die Bundeswehr hatte schon vor Afghanistan wichtige Schritte zur Einsatzarmee vollbracht. 1992 nahm sie in Kambodscha mit Sanitätern an einem ersten Uno-Friedenseinsatz teil. 1999 beteiligten sich deutsche Tornados im Kosovo-Krieg an Nato-Bombardements. Aber in Afghanistan bekämpfte die Bundeswehr erstmals einen Feind am Boden auch mit offensiven Kriegsoperationen.

Bundeswehr spricht von „Generation Afghanistan“

Heute findet man kaum noch einen Soldaten, der nicht im Auslandseinsatz war. Von der „Generation Afghanistan“ ist bei der Bundeswehr die Rede. So sehr der Einsatz die Truppe geprägt hat – eine grundlegende gesellschaftliche Veränderung hat er nicht mit sich gebracht. Die Mehrheit der Deutschen lehnt Kampfeinsätze der Bundeswehr weiterhin ab – sei es in Afghanistan, im Irak oder sonst wo.

Und die Politik? Im Bundestag erhielt der Kampfeinsatz in Afghanistan bis zuletzt mehr als 70 Prozent Zustimmung. Bei der letzten Abstimmung Anfang 2014 waren es sogar 83 Prozent. Die Mission galt der Regierung über all die Jahre als Beleg dafür, dass Deutschland bereit ist, militärische Verantwortung zu übernehmen. Und sie diente auch schon mal als Alibi, sich an anderer Stelle herauszuhalten – zum Beispiel bei der Nato-Intervention in Libyen. Seit 2001 wurde die Bundeswehr in keinen neuen Kampfeinsatz geschickt. Die Erfahrungen in Afghanistan dürften die Schwelle für solche Entscheidungen eher noch erhöht haben.

Zumal auch die neue Ausbildungsmission in Afghanistan genügend Gefahren bereithält. 12.000 Soldaten bleiben im Land, unter ihnen 850 Deutsche. Die Sicherheitslage hat sich in diesem Jahr verschlechtert. In den ersten elf Monaten zählten die Vereinten Nationen alleine 3188 getötete Zivilisten – mehr als je zuvor. „Es gibt kein Zurück zu den dunklen Tagen der Vergangenheit“, sagt General Campbell dennoch.

Ob der Kampfeinsatz ein Erfolg war, ist hoch umstritten. Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) meint, die Bundeswehr habe einen wichtigen Beitrag zur Stabilität des Landes geleistet. In den vergangenen 13 Jahren habe sich die Situation vieler Menschen verbessert. In der deutschen Bevölkerung herrscht allerdings die Meinung vor, dass sich der Einsatz nicht gelohnt hat. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov vertreten 60 Prozent diese Auffassung. Linksfraktionschef Gregor Gysi hält die Nato für gescheitert: „13 Jahre Nato-Krieg haben dem Land keinen Frieden, keinen sozialen Fortschritt, keine stabile demokratische Entwicklung, keine Rechtsstaatlichkeit gebracht – aber viele Tote und Zerstörungen.“