Der wegen Kinderporno-Verdachts angeklagte Politiker wirft Fraktionschef vor, er habe die Öffentlichkeit falsch informiert

Berlin. Sein Auftritt ist bestens inszeniert. Sebastian Edathy kehrt zurück auf die politische Bühne und lockt die Öffentlichkeit mit der Hoffnung auf Wahrheiten in einer Affäre, in der noch so vieles im Dunkeln zu liegen scheint. „Welchen Grund sollte ich haben, nicht die Wahrheit zu sagen?“, fragt er. Jedenfalls sei er nicht gekommen, um Rache zu üben. Er sei gekommen, um aufzuklären.

Fernsehsender sind live dabei, als er um 10.30 Uhr sagt: „Ich weiß. Ich habe viele Menschen enttäuscht. Und nicht jede meiner Äußerungen ist glücklich gewesen.“ Edathy wird vorgeworfen, kinderpornografische Filme im Internet erworben zu haben. Es geht also um die Frage von moralischer und juristischer Schuld, um die Frage von Vertuschung und Heuchelei in der SPD und darum, ob der Ex-Präsident des Bundeskriminalamts, Jörg Ziercke, sich in dieser Affäre möglicherweise strafbar gemacht hat. Letztlich geht es um eine der schwersten Affären der schwarz-roten Koalition, die immerhin CSU-Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich das Amt gekostet hat.

Edathy beginnt mit dem Versuch eines moralischen Eingeständnisses: „Es war falsch, die Filme zu bestellen, aber es war legal“, sagt er. Doch er lässt diesen Satz stehen, nüchtern und emotionslos. Er verweigert auch das geringste Anzeichen von Reue. Genau genommen weiß er auf die Frage, was er denn bedaure, keine rechte Antwort, sondern spricht von einem in der Öffentlichkeit „stark mit moralischer Ablehnung betrachteten Vorgang“. Das Wort Opfer kommt ihm im Zusammenhang mit Kinderpornografie nicht ein einziges Mal über die Lippen. Aber durch das, was er sagt, wird deutlich, warum: Er sieht sich selbst in dieser Rolle. Er ist das Opfer.

„Nach intensiver Untersuchung ist das Bundeskriminalamt zu dem Ergebnis gekommen, dass alle mir zugeordneten Filme legal sind“, sagt er. Trotzdem: „Ich habe kein privates Umfeld mehr, kein Zuhause und keine Arbeit mehr.“ Seit Monaten erhalte er Drohungen, „auch physischer Gewalt“. Er sei nicht sicher, ob er jemals wieder unbehelligt in Deutschland werde leben können. Wo er jetzt lebt, will er nicht sagen. „Das geht Sie nichts an.“

An diesem Vormittag sind zu seinem Schutz ständig zwei Beamte des Landeskriminalamts in seiner Nähe. Gut zwei Stunden lang stellt sich Edathy den Fragen der Medien, bevor er als Zeuge im Untersuchungsausschuss des Bundestages auftritt. Er sei ständig über die Kinderpornografie-Ermittlungen gegen sich informiert gewesen, sagt er und belastet seinen Parteifreund Michael Hartmann schwer. Der soll persönlich vom damaligen BKA-Präsidenten Ziercke mehrfach über den Stand der Ermittlungen unterrichtet worden sein. Hartmann habe ihn mit Informationen versorgt: „Ich bin laufend unterrichtet worden, wo die Akte sich befindet.“ Hartmann und Ziercke haben ähnliche Anschuldigungen Edathys vom Wochenende bereits zurückgewiesen.

Doch das ficht diesen nicht an. Seiner Ansicht nach habe Ziercke mit seinem Vorgehen Schaden von der SPD abwenden wollen, weil die vor Jahren bereits einen Kinderporno-Fall in ihren Reihen hatte. Angeblich habe der frühere BKA-Chef ihn, Edathy, ins Bild setzen wollen. Und das sei durchaus bemerkenswert, weil er sich als Chef des NSU-Untersuchungsausschusses einige Gefechte mit Ziercke geliefert habe. Belege für seine Äußerungen hat er allerdings nicht.

In ein schlechtes Licht rückt Edathy auch SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann. Diesem wirft er vor, im Februar die Öffentlichkeit bewusst falsch informiert zu haben. Gegenstand des Täuschungsmanövers sei eine Edathy betreffende und vom damaligen Fraktionsgeschäftsführer Oppermann verfasste Presseerklärung gewesen. Von dieser habe er durch Hartmann erfahren. „Wir waren uns einig, dass der Text nicht der Wahrheit entspreche“, schreibt Edathy in einer eidesstattlichen Versicherung.

Oppermann hatte damals erklärt, SPD-Chef Sigmar Gabriel habe im Oktober 2013 vom damaligen Innenminister Friedrich von den Vorwürfen gegen Edathy erfahren. Er selbst habe sich dies von Ziercke bestätigen lassen, schrieb Oppermann. Ziercke hatte diese Darstellung dementiert. Edathy zufolge war außer Oppermann die erweiterte SPD-Führung sehr früh über den Kinderporno-Verdacht informiert. Er nannte die Namen der ersten parlamentarischen Geschäftsführerin Christine Lambrecht und von Außenminister Frank-Walter Steinmeier. „Oppermann wusste sehr wohl, dass Hartmann im Bilde war, Lambrecht und Steinmeier wussten es auch“, sagte Edathy. Auch die damaligen Büroleiter von Oppermann und Steinmeier hätten Bescheid gewusst. Oppermanns Büro widerspricht dieser Darstellung.

Ab Februar muss sich Edathy vor Gericht wegen des Herunterladens von Bildern und Filmen verantworten. Edathy ist aber guter Hoffnung, dass es dazu nicht kommt, denn das Gericht habe ihm die Einstellung des Verfahrens gegen eine Geldstrafe von etwa 6000 Euro angeboten. Doch auch diese Darstellung ruft Widerspruch hervor. „Das ist eine Anregung der Verteidigung von Herrn Edathy“, sagte eine Sprecherin des Landgerichts Verden der „Welt“.

Der frühere BKA-Präsident Jörg Ziercke soll möglichst rasch im Untersuchungsausschuss des Bundestages zu den neuen Vorwürfen von Sebastian Edathy aussagen. Das fordern mehrere Ausschussmitglieder. Die Ausschussvorsitzende Eva Högl von der SPD hofft mit Blick auf die Zeugen Edathy und Hartmann: „Ich bin optimistisch, dass wir am Ende der Befragung der Wahrheit ein Stückchen näher kommen.“

Dazu will nach eigenen Angaben auch Edathy beitragen, der seinen Auftritt weitgehend souverän durchsteht. Nur die Frage eines Reporters, ob er pädophil sei, bringt ihn für einen Moment aus der Fassung: „Das geht Sie gar nichts an“, blafft er den Fragesteller an.