Bundesverfassungsrichter monieren zu großzügige Ausnahmen für Firmenerben und gibt Regierung Nachbesserung vor

Karlsruhe/Berlin. Mit der Erbschaftsteuer ist es wie mit dem Hauptdarsteller im Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“. So wie in der Komödie ein TV-Reporter den gleichen Tag immer und immer wieder erlebt, landet die Erbschaftsteuer immer und immer wieder vorm Bundesverfassungsgericht. Am Mittwoch kippte das höchste deutsche Gericht die Steuer erneut – zum dritten Mal nach 1995 und 2006. Die Steuerprivilegien für Firmenerben verstoßen in ihrer derzeitigen Ausgestaltung gegen das Grundgesetz, erklärten die Richter. Sie geben dem Gesetzgeber bis Ende Juni 2016 Zeit, das Gesetz neu zu regeln. Bis dahin gilt das alte Recht weiter.

Ins Rollen gebracht hat das Verfahren ein Kläger, der mehr als 50.000 Euro geerbt hatte und mehr als 9000 Euro Erbschaftssteuer zahlen musste. Der Mann sah sich gegenüber Firmenerben benachteiligt und zog vor Gericht. Erben von Privatvermögen müssen bis zu 50 Prozent Steuern auf ihre Nachlässe zahlen, Firmenerben sind per Gesetz sehr viel besser gestellt. Die Verfassungsrichter schlossen sich der Sicht des Klägers an. Bereits nach Inkrafttreten der letzten Reform 2009 war klar, dass die Erbschaftsteuer erneut ein Fall für Karlsruhe werden würde. Dass nahezu alle Unternehmer dank großzügiger Ausnahmen ihr Betriebsvermögen steuerfrei vererben können, monierten Rechtsexperten schon damals. „Unverhältnismäßig“ sei diese Überprivilegierung, befanden nun die Karlsruher Richter. Zudem hatte der Bundestag mit dem Gesetz 2009 auch noch ein fatales Steuerschlupfloch geschaffen. Dank sogenannter „Cash-GmbHs“ konnten Unternehmer auch ihr Privatvermögen am Fiskus vorbeischleusen. Auch das moniert das Verfassungsgericht. Das seit 2009 gültige Erbschaftsteuergesetz hatte die damalige Große Koalition beschlossen. Nun fällt der nächsten Großen Koalition das Gesetz wieder vor die Füße.

In der Hamburger Wirtschaft fielen die Reaktionen eindeutig aus: „Nach dieser Entscheidung muss der Gesetzgeber mit Augenmaß arbeiten und eine für Familienunternehmen tragbare, rechtssichere Lösung erarbeiten“, sagte Hans Fabian Kruse, Präsident des AGA Unternehmensverbandes. Jutta Thormann, Leiterin der Abteilung Steuer- und Finanzpolitik der Handelskammer Hamburg betonte: „Die von den Verfassungsrichtern eingeforderte Nachjustierung bei den Voraussetzungen zur Verschonung des Betriebsvermögens darf nicht zu einer steuerlichen Mehrbelastung der Betriebe führen.“ Die Hamburger Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU (MIT) fordert, Befreiungen von der Erbschaftssteuer bei Unternehmensübergaben auch in Zukunft zu erhalten.

„Das betrifft uns voll, weil meine Kinder das Unternehmen erben sollen“, sagte der Hamburger Steakhaus-Betreiber Eugen Block, 75. „Ich rechne wegen der Neuregelung im Erbrecht unterm Strich mit einer höheren Belastung. Allerdings werde ich mich nicht von der heutigen Entscheidung treiben lassen“, sagt er. „Ich arbeite an Regelungen, damit auch nach meinem Tod der Friede im Unternehmen gewährleistet ist. Schließlich geht es um den Erhalt des Familienunternehmens.

Der linke Flügel der SPD würde die Erbschaftsteuer gern erhöhen. Der SPD-Vizebundesvorsitzende Ralf Stegner sagte, in den nächsten Jahren würden Rekordvermögen vererbt. Der Staat nehme davon „eher wenig ein“. Stegner und seine Verbündeten wollen über die Erbschaftsteuer die aus ihrer Sicht steigende Vermögenskonzentration abschwächen. SPD-Parteichef Sigmar Gabriel hat einer höheren Erbschaftsteuer aber eine Absage erteilt. Politisch wird das Urteil daher keine großen Folgen haben. Die Bundesregierung will Betriebserben auch künftig Steuer-Privilegien einräumen, wenn sie die Arbeitsplätze erhalten. Das Bundesfinanzministerium versicherte, die nun notwendige Reform der Steuer werde „keine Erhöhung der gesamtwirtschaftlichen Belastung“ mit sich bringen. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sagte, die Neuregelungen würden „so zügig wie möglich“ umgesetzt. Die Richter hätten nur einzelne Fragen beanstandet. Im Grundsatz aber seien die Verschonungsregeln für Betriebsvermögen anerkannt worden.

Das Verfassungsgericht baut der Politik goldene Brücken. Es hält die Ungleichbehandlung von Betriebs- und Privatvermögen für gerechtfertigt. Vor allem haben die Richter an Verschonungsregeln für kleine und mittlere Betriebe nichts auszusetzen. Nur Art und Weise sowie Ausmaß der Steuerbefreiung seien nicht mit dem Grundrecht der steuerlichen Belastungsgleichheit zu vereinbaren. So seien 2012 Befreiungsmöglichkeiten in Höhe von fast 40 Milliarden Euro in Anspruch genommen worden, während der Fiskus nur 4,3 Milliarden Euro Erbschaftsteuer eingenommen habe. Laut Verfassungsgericht dürfe die Politik deshalb nicht mehr 90 Prozent der Betriebe Ausnahmen gewähren – sonst seien es keine Ausnahmen mehr. Deshalb muss die Grenze von 20 Beschäftigten, bis zu der Firmen ganz von der Steuer befreit sind, sinken. Damit würde sie für weniger Firmen gelten. Ebenso halten die Richter die Regelungen zum Verwaltungsvermögen für nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Die Politik wird nachjustieren – und es bei kleinen Änderungen belassen.