Ein Jahr nach der Einigung knirscht es vernehmlich bei Schwarz-Rot. Heute beim Koalitionsgipfel besteht erheblicher Klärungsbedarf

Berlin. Zum Feiern ist ihnen nicht zumute. Ein Jahr, nachdem sich Union und SPD in der Nacht zum 27. November 2013 auf eine Große Koalition geeinigt haben, kommen die Partner heute zusammen, weil es knirscht. Die größten Streitpunkte beim Koalitionsgipfel am Abend im Kanzleramt sind die Frauenquote, die Flüchtlingspolitik und ein Investitionsprogramm, das Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) in Aussicht gestellt hat: Zehn Milliarden Euro, verteilt über drei Jahre, wecken Begehrlichkeiten.

Unions-Fraktionschef Volker Kauder will, dass der Staat den Ausbau des schnellen Internets fördert. „Das muss ein Leuchtturm-Projekt der Koalition werden“, sagte er. Das freut Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU), der für die Digitalisierung zuständig ist.

Hoffnung auf mehr Geld macht sich auch Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU). Sie hat einen starken Unterstützer: Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) ist nicht abgeneigt. Auch Waffenkäufe sind Investitionen. Er stößt zum Treffen der Partei- und Fraktionschefs dazu, um die Verteilungskonflikte zu lösen.

SPD-Chef Sigmar Gabriel setzt die Prioritäten anders als Kauder. Er mahnte Hilfen für die Kommunen an. Sie sollen bei den Kosten für die Eingliederung von Behinderten (fünf Milliarden) und der Integration von Flüchtlingen (eine weitere Milliarde) entlastet werden. Er will, dass sich vor Ort nie die Frage stellt, ob man in einen Kinderspielplatz oder in ein neues Flüchtlingsheim investiert, weil es politische Brisanz mit sich bringe. Eine Warnung war ihm der Protest von Rechtsradikalen in Berlin gegen Flüchtlinge.

Nicht direkt ums Geld geht es beim Streit um die Russland-Politik. Man wolle jede weitere Verschärfung der Krise verhindern, erklärte Gabriel gestern und deutete an, dass eine diplomatische Lösung der Ukraine-Krise sowohl Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) als auch die Kanzlerin anstrebten. Hintergrund: Die CSU argwöhnt, dass die SPD Merkels harte Linie gegenüber Kreml-Chef Putin unterläuft. Das Hineintragen der Ukraine-Krise in die Innenpolitik sei „genau der falsche Weg“, warnte Gabriel. Gemeint war CSU-Chef Horst Seehofer.

Nicht gut auf ihn zu sprechen ist Gabriel auch wegen der Frauenquote. Der Streit darüber müsse jetzt „endlich beendet werden“. Die Quote ist verabredet im Koalitionsvertrag. Sie komme auch, versicherte CDU-Mann Kauder, „aber genau so, wie es im Koalitionsvertrag steht“. Das heißt: Eine gesetzliche 30-Prozent-Quote für die Aufsichtsräte der rund 100 größten deutschen Unternehmen, dazu freiwillige Selbstverpflichtungen für weitere 3500 Unternehmen.

Besonders weh tut das den Unternehmen nicht – zumal Frauenministerin Manuela Schwesig (SPD) ihren Entwurf mittlerweile so weit abgeschwächt hat, dass es viele Schlupflöcher gibt. Doch diejenigen in der Union, die immer schon gegen feste Quoten waren, wittern Morgenluft: Jetzt, wo die wirtschaftliche Entwicklung Sorgen bereitet, könne man den Unternehmen nicht auch noch mit Quotenzwängen das Leben schwer machen.

Mitte Oktober eskalierte der Streit so sehr, dass die Kanzlerin ein Machtwort sprechen musste: „Es ist beschlossen, das Gesetz kommt“, sagte Merkel bei einem Treffen mit Spitzenfrauen. Die CSU setzt jetzt auf eine Zermürbungstaktik: Sie fordert weitere Ausnahmeregelungen bei der Quote und größere Freiheiten bei den Selbstverpflichtungen. Das Ziel: Ein butterweiches Quotengesetz.