Ministerin Nahles stellt Programme vor. Opposition, Gewerkschaften und Sozialverbände sind enttäuscht: Nur 43.000 Menschen profitieren

Berlin. Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hat am Mittwoch ihr lang erwartetes Maßnahmenpaket gegen Langzeitarbeitslosigkeit vorgelegt, das allerdings weit hinter den Erwartungen zurückbleibt. Während Gewerkschaften und Sozialverbänden die Pläne nicht weit genug gehen, warnten Wirtschaftsexperten davor, alte und teure Programme neu aufzulegen.

Auch bei der Opposition sorgten die Pläne für Ernüchterung. „Unter dem Strich gibt’s von Nahles für die Arbeitslosen nichts“, sagte die grüne Arbeitsmarktpolitikerin Brigitte Pothmer nach der Vorstellung der Pläne im Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales. Es würden lediglich bereits bestehende Programme für Langzeitarbeitslose umetikettiert oder ersetzt, kritisierte Pothmer. Mehr Geld gebe es nicht.

Nahles will ein Bundesprogramm zur Integration von Langzeitarbeitslosen ohne Berufsabschluss in den ersten Arbeitsmarkt auflegen. Die Bundesagentur für Arbeit zahlt dabei bis zum 18. Monat bis zu 75 Prozent des Lohns. Für das Programm sollen 885 Millionen Euro zur Verfügung stehen, davon rund 470 Millionen Euro aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF). Der Rest stammt aus dem Fördertopf für die Hartz-IV-Bezieher. Damit könnten 33.000 Arbeitslose gefördert werden. Damit die Arbeitslosen den Job nicht gleich wieder abbrechen, werden sie in den ersten Monaten eng von einem Coach begleitet.

Ein zweites Programm richtet sich an besonders schwer vermittelbare Langzeitarbeitslose ohne Chance auf eine reguläre Beschäftigung. Damit sie trotzdem am Arbeitsleben teilnehmen können, sollen sie öffentlich beschäftigt werden. Ministerin Nahles nannte im Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ Beispiele für zusätzliche, sinnvolle Tätigkeiten: So könnten Arbeitslose in öffentlichen Grünanlagen Wirsing, Tomaten und Salatköpfe anpflanzen. Diese Plätze können bis zu 100 Prozent bezuschusst werden. Gedacht ist das Programm vor allem für Arbeitslose mit gesundheitlichen Problemen und Hartz-IV-Empfängern, die mit Kindern in einer Bedarfsgemeinschaft leben.

„Die Förderung erreicht hier nicht nur die Langzeitarbeitslosen selbst, sondern zugleich die im Haushalt lebenden Kinder, die erfahren und vorgelebt bekommen, dass Beschäftigung eine wichtige Rolle in ihrem Leben spielt“, heißt es in der Unterrichtung an den Bundestagsausschuss. So sollten Sozialhilfekarrieren vermieden werden. Eingeplant sind 150 Millionen Euro für rund 10.000 Teilnehmer. Außerdem sollen die Langzeitarbeitslosen in „Aktivierungszentren“ intensiver betreut werden. Dafür werden 1000 Stellen aus einem auslaufenden Förderprogramm umgewidmet.

Insgesamt gibt es mehr als eine Million Arbeitslose, die länger als ein Jahr ohne Job sind – seit vier Jahren hat sich diese Zahl kaum verändert, trotz des Beschäftigungsaufbaus in Deutschland. Experten schätzen, dass rund 400.000 Langzeitarbeitslose so viele Vermittlungshemmnisse haben, dass sie keine realistische Chance auf einen regulären Arbeitsplatz haben. Sie sind seit Jahren ohne Beschäftigung, zu alt, krank, haben keine Schul- und Berufsbildung oder sprechen kaum Deutsch. 70 Prozent aller Hartz-IV-Empfänger haben mindestens zwei Vermittlungshemmnisse.

Gewerkschaften, Sozialverbände und Opposition kritisierten, die Programme seien zu klein geraten. Grünen-Politikerin Pothmer sagte, mit dem ESF-Bundesprogramm werde lediglich die „Bürgerarbeit“ ihrer Amtsvorgängerin ersetzt. „Es bleibt beim Programm-Hopping“, meinte Pothmer. Von dem „Miniprogramm“ für besonders schwer vermittelbare Arbeitslose würden maximal 2,5 Prozent der 400.000 Betroffenen profitieren können. Der Rest bleibe von Teilhabe ausgeschlossen.

Ein verlässlicher „Sozialer Arbeitsmarkt“ werde nicht kommen, genauso wenig wie die Erprobung des Passiv-Aktiv-Transfers, kritisierte Pothmer. Dabei hatten sich für das Modell „Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren“ im Vorfeld auch die SPD-Arbeitsmarktpolitikerin Katja Mast und die Arbeitsmarktpolitiker der Union ausgesprochen. Sie wollen dabei „passive“ Leistungen wie das Arbeitslosengeld II und die Kosten der Unterkunft nutzen, um damit sozialversicherungspflichtige Beschäftigung für die Arbeitslosen zu finanzieren. Die Sozialverbände forderten einen dauerhaft öffentlich geförderten Arbeitsmarkt. Dieser könne Arbeitslosen eine Perspektive bieten, die aufgrund sozialer, psychischer oder gesundheitlicher Probleme keine Chance auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt hätten, erklärte der Sozialverband VdK. Der Paritätische Wohlfahrtsverband sprach von einem „Trostpflästerchen“. Mit den angekündigten Programmen könnten gerade mal vier Prozent der Langzeitarbeitslosen erreicht werden.

Kritik kam auch aus der Wirtschaft: Statt Einstiegschancen für Langzeitarbeitslose, etwa über Zeitarbeit, zu erleichtern, würden alte und teure Programme neu aufgelegt, kritisierte die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, die von den Arbeitgebern der Metallindustrie finanziert wird. Die Regierung könne reale Jobs schaffen, wenn sie die Bedingungen für flexible Beschäftigung verbessern würde. Dazu mache die Regierung allerdings keine Vorschläge, kritisierte das Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Im Gegenteil, so das IW: „Wer Zeitarbeit, Werkverträge oder Minijobs regulieren will, der blockiert wichtige Einstiegswege.“ Das IW warnte vor einem dritten, sozialen Arbeitsmarkt, wo die Langzeitarbeitslosen lernen sollen, ihren Arbeitsalltag zu strukturieren. „Diesem Zweck dienen bereits die sogenannten Ein-Euro-Jobs“, sagte das IW. Die neuen, sozialversicherungspflichtig entlohnten Jobs würden lediglich dazu führen, dass die Suche nach einer regulären Arbeit unattraktiver wird. Die Industriestaaten-Organisation OECD begrüßt die Pläne gegen die hohe Langzeitarbeitslosigkeit. „Das ist ein Schritt in die richtige Richtung“, sagte OECD-Expertin Kristine Langenbucher. „Lohnkostenzuschüsse sind ein Weg, um Langzeitarbeitslose wieder in Lohn und Brot zu bringen.“

Ihr Konzept gegen Langzeitarbeitslosigkeit will Andrea Nahles als Vehikel nutzen, um ihre Pläne zur Entbürokratisierung der Hartz-IV-Vorschriften doch noch umzusetzen. Sie kündigte ein entsprechendes Gesetzgebungsverfahren an.