Vor allem junge und gebildete Beitragszahler lehnen den vorzeitigen Ruhestand ab. Stabilität des Rentensystems wird bezweifelt

Berlin. Es muss sich etwas ändern im Rentensystem, da ist Deutschland sich einig: 91 Prozent der Bürger halten die bisherigen Reformen für nicht ausreichend, um die gesetzliche und private Rente auf eine sichere Grundlage zu stellen. Allerdings gehen die Vorhaben der Politik an den Wünschen der Bürger vorbei. Das sind Ergebnisse einer Studie zum Thema „Rente, Reformen und Zukunftsängste 2014“ des Meinungsforschungsinstituts Forsa, das die Gothaer Versicherung in Auftrag gegeben und veröffentlicht hat. Die Meinungsforscher haben im September 2014 bundesweit 1513 Bürger zwischen 20 und 70 Jahren befragt.

Vom Grundsatz her hält das Gros der Deutschen (61 Prozent) den Generationenvertrag – also den Solidar-Vertrag zwischen der älteren und jüngeren Generation, auf dem das Umlageverfahren der gesetzlichen Rente fußt – zwar für gerecht. „Die Studie zeigt deutlich, dass den Bürgern immer stärker bewusst wird, dass das deutsche Rentensystem in seiner heutigen Form an seine Grenzen stößt“, sagt aber Karsten Eichmann, Vorstandsvorsitzender der Gothaer Versicherungen. Was die Politik allerdings anbiete, gehe an der Lebenswirklichkeit vorbei. Insbesondere die jüngeren und gut gebildeten Befragten sehen etwa die Pläne zur Rente mit 63 kritisch: 48 Prozent der 20- bis 30-jährigen gehen der Studie zufolge davon aus, dass das Vorhaben das Rentensystem und die öffentlichen Kassen mittelfristig überfordern werde. 43 Prozent der Jungen hingegen halten die Rente mit 63 finanziell für vertretbar. Von den Befragten mit Abitur oder Studium sehen 49 Prozent eine mittelfristige Überforderung der Sozialkassen (gegenüber 43 Prozent). Über alle Altersschichten hinweg geht immerhin eine knappe Mehrheit (56 Prozent) davon aus, dass die öffentlichen Kassen eine Rente mit 63 stemmen werden. Doch für sich selbst in Anspruch nehmen will man sie nicht: 58 Prozent der Bürger können sich sogar vorstellen, länger als bis zum 65. Lebensjahr zu arbeiten.

Dabei geben 77 Prozent aller Befragten an, aus „Spaß“ an der Arbeit länger arbeiten gehen zu wollen. Allerdings nimmt die Einstellung offensichtlich mit zunehmenden Jahren auf dem Arbeitsbuckel ab: Während die Gruppe der 20- bis 30-Jährigen zu 88 Prozent den Spaßfaktor nannte, sind es bei den 61- bis 70-Jährigen noch 64-Prozent. Finanzielle Gründe hingegen treiben vor allem die 31- bis 40-Jährigen dazu, sich mit einem längeren Arbeitsleben anzufreunden (62 Prozent). Insgesamt jedoch liegt der Grund „Geld“ mit 60 Prozent hinter dem Grund „Spaß“.

Statt eines starren Renteneintrittsalters wünschen sich Bürger einen flexiblen Übergang ins Rentnerdasein, zeigt die Studie. Auf die Frage „Sollte es für Erwerbstätige grundsätzlich die Möglichkeit geben, auch über die gesetzliche Rentenaltersgrenze hinaus weiterzuarbeiten, wenn sie das möchten, oder sollte es wie bisher eine für alle verbindliche Rentenaltersgrenze geben?“, waren 88 Prozent für die erste Variante. „Eine überwältigende Mehrheit ist der Auffassung, dass es für Erwerbstätige möglich sein sollte, auch über die gesetzliche Rentenaltersgrenze hinaus weiter zu arbeiten“, fassen sodann die Studienautoren zusammen.

Da könnte es vielen passen, dass ältere Arbeitnehmer nach Plänen der Koalition künftig leichter in Teilrente gehen und mehr als bisher hinzuverdienen können sollen. Während andere Möglichkeiten für flexiblere Übergänge in die Rente zwischen den Regierungsparteien bislang strittig sind, zeichnete sich nach Informationen der Nachrichtenagentur dpa in diesem Punkt eine Einigung ab. Zurzeit können Arbeitnehmer bereits ab 63 weniger arbeiten und Teilrente mit Abschlag kassieren. Doch unter den 648.259 Zugängen in die Altersrente 2013 waren nur 1624 Teilrentner. Bei 450 Euro Zuverdienst ist Schluss, sollen die Bezüge nicht stark gekürzt werden.

„Viele Ältere wollen länger arbeiten, können aber nicht mehr unbedingt den Takt der Jüngeren mitgehen und haben längere Regenerationsphasen“, sagte Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) zu den bekannt gewordenen Plänen. Sie hält vom Grundsatz her an ihrer 63-Jahre Grenze fest: Ab diesem Alter die Arbeitszeit reduzieren zu können, sei ein gutes Mittel, um Ältere angesichts von Engpässen bei Fachkräften länger dem Arbeitsmarkt zu erhalten.

Nicht nur für Unternehmen ist es ein wichtiger Punkt, ältere im Arbeitsmarkt zu halten, um ihre Kompetenz zu nutzen. Der Forsa-Studie zu Folge gibt fast die Hälfte der Befragten (49 Prozent) an, länger als bis zur Rentenaltersgrenze arbeiten zu wollen, um ihr Wissen und ihre Fähigkeiten an andere weitergeben zu können. Spaß an der Arbeit, finanzielle Gründe, soziale Kontakte oder eben auch Wissenstransfer an Jüngere. Mehr als ein Drittel (36 Prozent) der Befragten gab an, große Angst zu haben, dass sich ihre Einkommenssituation beziehungsweise ihre soziale Lage drastisch verschlechtere. Darum sorgen sich insbesondere die 41- bis 50-Jährigen (42 Prozent). Mit ihrer aktuellen finanziellen Situation sind die Deutschen mehrheitlich zufrieden. Der Studie zufolge geben sich nur 30 Prozent weniger zufrieden oder gar unzufrieden. Mit Blick auf das Alter hingegen malen die Befragten ein anderes Bild. 77 Prozent gehen davon aus, finanzielle Einbußen hinnehmen zu müssen.

Privat vorsorgen, so zeigt die Forsa-Gothaer-Studie, können oder wollen trotzdem nicht alle ausreichend. 43 Prozent der Befragten meinen, sie müssten mehr private Vorsorge betreiben. 77 Prozent der Befragten geben fehlendes Geld als Haupthinderungsgrund für (mangelnde) Vorsorge an. Eichmann ist ein weiteres Ergebnis der Studie ein Anliegen: „Ein wichtiger Reformansatz, den immerhin 53 Prozent der Bürger befürworten, ist die Einführung einer obligatorischen betrieblichen Altersvorsorge.“ Das freue ihn zwar, sei aber in seinen Augen nicht ausreichend: „Aus unserer Sicht bedarf es noch tiefgreifenderer Veränderungen hin zu einem zumindest in Teilen kapitalgedeckten System“, sagt Eichmann. Erfreulich sei, dass die Menschen ihre Alterseinkünfte recht realistisch einschätzen könnten und so die Notwendigkeit einer privaten Vorsorge erkennen würden.