Griechenland, Euro-Krise, Russland: Helmut Kohls neues Buch ist ein Angriff. Nach den Klagen und wegen seiner gesundheitlichen Schwäche hat er einen überraschenden neuen Ghostwriter.

Frankfurt/Main. Der Ort für die Vorstellung der Philippika des Altkanzlers hat Symbolcharakter. Im Ballsaal „Konrad Adenauer“ in einem Frankfurter Luxushotel legt Helmut Kohl am Montag seinen Europa-Appell vor. Darin bescheinigt der CDU-Politiker der aktuellen Politik Kleinmut und Geschichtslosigkeit und erinnert immer wieder an Adenauers große europäische Aufbruchs-Visionen nach 1945.

In seinem schmalen Band „Aus Sorge um Europa“, der am Mittwoch in die Läden kommt, ist Kohl ganz der Alte: Er teilt aus und findet deutliche Worte. Doch beim Live-Auftritt in der „Villa Kennedy“ kann der gesundheitlich schwer angeschlagene Kohl seine aufgewühlten Gefühle zum Thema Europa kaum vermitteln. Seit seinem Sturz vor sechseinhalb Jahren kann er nur noch schwer sprechen.

Kohl wirkt zwar präsenter und spricht den vorbereiteten Text flüssiger als vor gut drei Wochen, als er auf der Frankfurter Buchmesse einen wiederaufgelegten Band zum Fall der Mauer vorstellte. Doch ohne seine Frau Maike Kohl-Richter, die ihm die Zettel zurechtrückt und die Fragen zuflüstert, wäre der 84-Jährige sichtlich hilflos.

Es sind dann auch vor allem Beschwörungsrituale, die vom Altkanzler kommen. „Noch ist es nicht zu spät in Europa“, sagt Kohl. Die großen Ausführungen kann er mündlich nicht mehr liefern. Doch auch im Buch bleibt vieles allgemein und europazentriert. Zu den großen Veränderungen der vergangenen 16 Jahre seit seiner Ablösung als Kanzler – zum Beispiel zur globalen Finanzkrise – hat Kohl auch im Buch wenig zu sagen.

Am konkretesten wird Kohl, wenn es gegen seinen SPD-Nachfolger Gerhard Schröder geht. Dessen rot-grüne Regierung macht er für die Schuldenkrise in Europa verantwortlich, weil sie Griechenland zu früh in die Eurozone aufgenommen und mit Frankreich den Euro-Stabilitätspakt verletzt habe. Das dürfte auch seiner Partei gefallen. Weniger allerdings Kohls Vorwurf, dass der Westen Russland in der Ukraine-Krise zu stark isoliert habe.

Die „Causa Griechenland“ rückt später Kohls Laudator Jean-Claude Juncker ein wenig zurecht. Damals sei die EU „Opfer“ falscher griechischer Statistiken geworden, sagt Juncker auf die Frage eines Journalisten. Der langjährige Luxemburger Regierungschef, der an seinem ersten Arbeitstag in Brüssel als EU-Kommissionspräsident zu Kohl nach Frankfurt kommt, nennt seinen alten Weggefährten und engen Freund einen „großen Europäer“. Wie schon früher schreibe dieser auch in seinem neuen Buch gegen Ressentiments und Kleinstaaterei an.

Schließlich gehe es für Kohl darum, die „Deutungshoheit über sein Lebenswerk“ zu bewahren, sagt Juncker. Dass ihm seine Frau dabei behilflich ist, bestätigt Maike Kohl-Richter am Montag. Sie hat nach der Ablösung von Heribert Schwan, gegen den der Altkanzler wegen der umstrittenen Veröffentlichung der „Kohl-Protokolle“ derzeit prozessiert, die Position des Ghostwriters übernommen.

„Mein Mann hat das im Kopf. Ich gehe dann in die Archive und such‘ ihm raus, was er im Kopf hat“, beschreibt sie die Entstehung des Europa-Appells. „Dann lege ich ihm schrittchenweise die Dinge vor, dann redigiert er wie früher.“