Union und SPD halten trotz sinkender Steuereinnahmen am ausgeglichenen Haushalt für 2015 fest. Dabei hoffen sie auf die Konjunktur

Berlin. Die Steuerschätzer werden sich routiniert über das Zahlenwerk beugen. Sie werden sich wie gewohnt von Montag bis Mittwoch beratschlagen und am Ende dann über jede Steuer einzeln abstimmen. Doch etwas ist dieses Mal anders, wenn der Arbeitskreis der Steuerschätzer in der kommenden Woche in Wismar zu seiner Herbstsitzung zusammenkommt: Zum ersten Mal seit vielen Jahren werden die Steuerschätzer ihre Prognose nach unten korrigieren.

Die Bundesregierung hat ihre Wachstumsprognose für das kommende Jahr kräftig von 2,0 auf 1,3 Prozent eindampfen müssen. Weil die Wirtschaft deutlich weniger wächst, sprudeln auch die Steuereinnahmen nicht mehr so wie erhofft. In diesem Jahr kommt der Staat noch glimpflich davon. Die Verluste werden nur marginal sein. Doch schon im nächsten Jahr könnte dem Fiskus im schlimmsten Fall ein mittlerer einstelliger Milliardenbetrag gegenüber der Prognose aus dem Mai fehlen, heißt es aus dem Kreis der Steuerschätzer.

Das könnte vor allem einen Mann vor Probleme stellen: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). Der 72-Jährige will sich im kommenden Jahr in die Geschichtsbücher eintragen. Zum ersten Mal seit 1969 will er für den Bund einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen. Die schwarze Null ist das oberste Ziel der Bundesregierung, vor allem für die Union ist sie zum Markenkern geworden. Doch nun gerät Schäubles ausgeglichener Haushalt ins Wanken. Sollte es mit der Konjunktur weiter bergab gehen, müsste der Minister sein historisches Ziel wohl aufgeben.

Bei der Vorstellung ihrer Wachstumsprognose Mitte Oktober war die Bundesregierung noch optimistisch gewesen. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hatte vorab mit Schäuble telefoniert und sich beim Finanzminister erkundigt, ob die schwarze Null denn noch zu halten sei. Schäuble sagte Gabriel, die schwarze Null stehe. Trotz des deutlich schwächeren Wachstums würden die Steuereinnahmen nicht wegbrechen. Zwar schwächelten die Exporte, dafür aber laufe der Konsum prima. Weil die Steuereinnahmen mehr von den Konsumausgaben als den Ausfuhren abhängen, sei die schwarze Null derzeit nicht in Gefahr.

Nun könnte das Loch im Haushalt aber doch größer ausfallen als gedacht. Der Bund muss für das nächste Jahr mit rund zwei Milliarden Euro weniger Steuereinnahmen rechnen, schätzen Finanzpolitiker der Regierungsfraktionen. Und das ist nicht die einzige Belastung für den Haushalt. Auch die Ausgaben steigen stärker als ursprünglich geplant. Das Bundesarbeitsministerium rechnet mit rund einer Milliarde Euro Mehrausgaben, weil die Zahl der Langzeitarbeitslosen nicht so stark wie erwartet zurückgeht. Beim Elterngeld fallen aller Voraussicht 200 Millionen Euro mehr an.

Ebenso muss die Bundesregierung den Etat für humanitäre Hilfe aufstocken, will sie ihre Versprechen für die Ebola-Hilfe, Syrien oder den Nordirak und die Flüchtlinge dieser Staaten einlösen. Den Etat hatte sie gerade erst kräftig gekürzt. Insgesamt belaufen sich die Mehrausgaben nach Angabe der Regierungsfraktionen auf rund 1,5 bis zwei Milliarden Euro. Das sei aber aufzufangen, sagt Norbert Barthle, haushaltspolitischer Sprecher der Unionsfraktion. Denn auf der anderen Seite sei die Zinsentwicklung weiterhin ausgesprochen günstig. Wegen der Rekordniedrigzinsen kann sich der Bund derzeit so billig verschulden wie nie zuvor.

„Wenn die Steuerschätzung moderat ausfällt und wir diszipliniert sind, ist die schwarze Null weiterhin zu schaffen“, sagt Barthle. Auch die SPD hält an dem Ziel fest. „Keine neuen Schulden sind ein zentraler Programmpunkt für die SPD“, sagt Johannes Kahrs, haushaltspolitischer Sprecher der SPD im Bundestag. Deshalb sei die SPD auch gegen ein deutsches Konjunkturprogramm. Diese Forderung wurde zuletzt etwa aus den USA oder dem Süden Europas an die Bundesregierung herangetragen. „Zu glauben, mit zehn Milliarden Euro neuen Schulden wird man die grundsätzlichen Probleme lösen, ist eine sehr theoretische Debatte“, sagt Kahrs.

Für die Opposition ist die Politik der Bundesregierung, über niedrigere Zinsen die Mehrausgaben abzufangen, ein Armutszeugnis. „Das Hoffen auf die gute Konjunktur und die Arbeitsverweigerung von Wolfgang Schäuble im Haushalt rächt sich jetzt“, sagt Sven Kindler, haushaltspolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag. Die Bundesregierung handle zukunftsvergessen, weil sie Investitionen in die Zukunft verweigere. „Die Eintrübung der Konjunktur in Deutschland hat die Große Koalition sich selbst zuzuschreiben.“

Die Grünen fordern strukturelle Änderungen am Haushalt

Derzeit ficht Schäuble das wenig an. „Unsere Planungen sehen vor, dass die schwarze Null nach wie vor steht“, heißt es aus Schäubles Haus. Doch sollte es mit der Wirtschaft weiter bergab gehen, hätte der Finanzminister ein Problem. Zwar laufen die Steuereinnahmen der Konjunktur zeitlich etwas hinterher. Aber wenn die Wirtschaft weiter schwächeln sollte, wird das Loch im Haushalt so groß, dass es nicht mehr so einfach über niedrige Zinsausgaben wegzusparen wäre. Gleichzeitig würde der Druck auf die Bundesregierung steigen, nicht auch noch im Abschwung zu sparen.

Die Grünen fordern deshalb, strukturelle Änderungen im Haushalt vorzunehmen. „Die Arbeitsverweigerung von Wolfgang Schäuble in der Haushaltspolitik muss endlich aufhören“, sagt Kindler. Denkbar ist etwa der Abbau umweltschädlicher Subventionen oder eine Abschaffung der Abgeltungssteuer.

Solche Vorschläge waren zuletzt auch von den Sozialdemokraten gekommen. Doch bislang stoßen diese Ideen bei der Union auf Ablehnung. Allerdings fragen sich nicht wenige in der SPD, wie mit den gegenwärtigen Ein- und Ausgaben des Bundes dauerhaft ein ausgeglichener Haushalt erreicht werden kann. „Die Erwartung an Schäuble ist nicht, dass er einmal die schwarze Null erreicht, um sich ein Denkmal zu setzen“, sagt Johannes Kahrs. „Der Haushalt muss auch nach 2015 ausgeglichen sein.“