Der stellvertretende CDU-Vorsitzende mahnt bei seiner Partei vor der Klausurtagung eine neue Diskussionskultur an - und nimmt die Bundeskanzlerin gegen Kritik aus den eigenen Reihen in Schutz.

Hamburg. Hamburger Abendblatt: Zum Koalitionsstreit über Steuersenkungen ist ein Streit in der CDU über das innerparteiliche Profil gekommen. Vernachlässigt die Parteiführung um Angela Merkel ihre konservativen Stammwähler, Herr Koch?

Roland Koch: Natürlich müssen wir nach diesem Ergebnis bei der Bundestagswahl darüber reden, wie wir wieder nahe an die 40 Prozent kommen können. Es ist sehr bedauerlich, wenn daraus eine Personaldiskussion wird, die eine inhaltliche Auseinandersetzung verhindert. An einem gibt es nämlich keinen Zweifel: Die CDU in Deutschland steht hinter Angela Merkel, und keiner in der Parteiführung wird zulassen, dass eine Debatte über unsere Parteivorsitzende losgetreten wird.

Abendblatt: Führende Landespolitiker äußerten die Befürchtung, "rechts von der CDU" könnten neue konservative Parteien entstehen, wenn sich die CDU als "neue SPD" positionieren wolle ...

Koch: Die CDU hat nicht die Absicht, sich als neue SPD zu positionieren. Wir achten selbstverständlich auch auf unsere konservativen Wähler. Ganz klar: Wir wollen die Heimat der Konservativen bleiben.

Abendblatt: Zu den Kritikern zählt auch der CDU-Fraktionsvorsitzende im Hessischen Landtag, Christean Wagner. Stimmen Sie seiner Einschätzung zu, dass der Wahlsieg "schlichtweg Glück" gewesen sei?

Koch: Nein. An dieser Stelle ärgert mich der Zeitungsbeitrag auch ein bisschen. Ich bin an der Wahlkampfstrategie als Stellvertreter von Angela Merkel intensiv beteiligt gewesen. Es ist eine außerordentliche Leistung, dass es uns gelungen ist, die CDU aus der Umklammerung der Sozialdemokratie wieder zu befreien und in die Koalition mit der FDP zu führen. Das war eine erfolgreiche Gratwanderung. Und dennoch hätte auch ich mir natürlich ein besseres Ergebnis für CDU und CSU bei der Bundestagswahl gewünscht.

Abendblatt: Wussten Sie, dass Wagner mit seiner Kritik an die Öffentlichkeit geht?

Koch: Christean Wagner hat als freier Mensch keine Verpflichtung, das mit mir abzustimmen.

Abendblatt: Er hat es nicht getan?

Koch: Nein. Und es handelt sich um seine eigene Meinung.

Abendblatt: Woran lag es, dass die Union ihr schlechtestes Bundestagswahlergebnis aller Zeiten eingefahren hat?

Koch: Viele CDU-Wähler waren unzufrieden mit der Großen Koalition und wollten verhindern, dass sie fortgeführt wird. Die eigentliche Leistung von Angela Merkel besteht darin, dass es ihr gelungen ist, ein linkssozialistisches Bündnis zu verhindern und eine bürgerliche Regierung herbeizuführen.

Abendblatt: Wie beurteilen Sie den Führungsstil von Angela Merkel?

Koch: In einer großen Volkspartei ist der Führungsstil, den Angela Merkel pflegt, alternativlos. Sie lässt Diskussionen zu, fasst sie am Ende zusammen und muss dann auch darauf bestehen, dass Ergebnisse gemeinsam getragen werden und es keine dissonanten Wortmeldungen mehr gibt. Wenn sie zu früh zusammenfasst, ist das nicht gut für ihre Autorität und auch nicht für die Gesprächs- und Handlungsfähigkeit der CDU. Deshalb ist sie gut beraten, sorgfältig damit umzugehen. Nach allem, was ich sehe, tut sie das auch.

Abendblatt: Müssen andere in der CDU das Parteiprofil schärfen?

Koch: Wir werden alle miteinander in der CDU eine inhaltliche Debatte zu führen haben. In Zeiten knapper Finanzen müssen wir Prioritäten setzen, die keinem von uns leichtfallen. Da ist es nichts Schlimmes, wenn unterschiedliche Meinungen auch in der CDU vertreten werden. Es muss allerdings die Disziplin hergestellt werden, um die Sache und nicht um Personen zu ringen.

Abendblatt: Angela Merkel hat eine Reihe von Befürwortern schwarz-grüner Bündnisse in wichtige Positionen gebracht. Hermann Gröhe ist CDU-Generalsekretär geworden, Norbert Röttgen Bundesumweltminister. Eine kluge Weichenstellung?

Koch: Die hessische CDU ist sehr zufrieden damit, dass wir die Landeshauptstadt Wiesbaden und Frankfurt am Main in Zusammenarbeit mit den Grünen regieren. Die Frage ist: Sind die Grünen in der Lage, unsere grundsätzlichen Positionen zu akzeptieren? Auf der nationalen Ebene und in den großen Bundesländern ist das noch lange nicht der Fall. Da trennt uns viel. Trotzdem können wir natürlich vernünftig miteinander reden.

Abendblatt: Im Steuerstreit zwischen CDU, CSU und FDP vermisst mancher Koalitionspolitiker ein Machtwort der Kanzlerin ...

Koch: Wenn die Frage nach Steuerentlastungen mit einem Machtwort zu erledigen wäre, hätte es diese Diskussion doch gar nicht gegeben. Das ist ein schwieriges Ringen um die Sache und auch um das Profil der drei Koalitionsparteien. Ich war immer der Meinung, dass der Steuerpolitik in der öffentlichen Wahrnehmung ein zu großer Stellenwert eingeräumt wird. Steuersenkungen haben für das Wirtschaftswachstum eine geringere Bedeutung, als viele glauben.

Abendblatt: Warum reißen Sie dann Milliardenlöcher in den Haushalt?

Koch: Das hat sich durch den Wahlkampf ergeben und liegt keineswegs in der alleinigen Verantwortung der FDP. Wir müssen diese Frage nun als loyale Koalitionspartner vernünftig miteinander diskutieren. Machtworte helfen jedenfalls nicht weiter.

Abendblatt: Sehen Sie denn Spielraum, um die Bürger von 2011 an jährlich um 24 Milliarden Euro zu entlasten?

Koch: Zur Professionalität aller Beteiligten gehört, dass wir uns an den Weg halten, den wir gemeinsam verabredet haben. Wir schauen, was die Steuerschätzung im Mai ergibt. Erst danach fallen Entscheidungen.

Abendblatt: Die FDP pocht auf die Einhaltung der Steuersenkungsversprechen im Koalitionsvertrag - unabhängig von Steuerschätzungen. Ist sie nach elf Jahren Opposition noch nicht angekommen in der Regierungsrealität?

Koch: Ich kenne die handelnden Personen gut genug, um zu wissen, dass die FDP am Ende sehr professionell mit ihrer Regierungsverantwortung umgehen wird. Dass der Weg von der Opposition in die Regierungstätigkeit nicht immer einfach ist, weiß ich aus eigener Erfahrung.

Abendblatt: Als neues Konfliktfeld in der Koalition zeichnet sich die Hartz-IV-Reform ab. Brauchen wir eine Grundrevision, wie NRW-Ministerpräsident Rüttgers fordert?

Koch: Ich möchte nicht um Worte streiten. Ich glaube, dass es sehr erfolgreiche Teile von Hartz IV gibt. Aber bestimmte Dinge müssen wir auf den Prüfstand stellen.

Abendblatt: Die wären?

Koch: Leistungsträger, die in Arbeitslosigkeit geraten, haben bisher kaum die Möglichkeit, etwas hinzuzuverdienen. Fördern und Fordern passt hier nicht zusammen. Das muss sich ändern.

Abendblatt: Herr Koch, was versprechen Sie sich von der Klausurtagung des CDU-Bundesvorstands in dieser Woche?

Koch: Es ist ganz wichtig, dass wir uns um zwei Fragestellungen kümmern: Welche wichtigen Aufgaben haben wir in der Koalition? Und: Wie schaffen wir es, das Profil der CDU so zu stärken, dass wir dauerhaft das 40-Prozent-Ziel bei allen Wahlen in Deutschland im Auge behalten? Dazu brauchen wir in der CDU eine neue Diskussionskultur.

Abendblatt: Worauf wollen Sie hinaus?

Koch: Wir müssen dafür sorgen, dass die Vielstimmigkeit innerhalb der CDU abnimmt. Aber nicht durch Machtworte, sondern durch die transparente Befassung mit einem Thema und das Ringen um ein Ergebnis. Die Attraktivität der CDU wird am Ende daran gemessen, ob sie fähig ist, in einer sich verändernden Gesellschaft Konflikte aufzunehmen, emotionsfrei zu diskutieren und nachvollziehbar zu einer Mehrheitsentscheidung zu bringen. Diese Entscheidung muss dann von allen in der Partei vertreten werden. Eine Partei kann es auf Dauer nicht ertragen, dass man jedes Thema endlos diskutiert. Ich halte es für die wichtigste Aufgabe der CDU in den nächsten Jahren, eine solche Diskussionskultur zu entwickeln.