Dynastie steht für Musik, Zwist und NS-Flecken. Nun vertritt der Linke-Mann einen Zweig

Bayreuth. Fulminant war der Auftritt von Gregor Gysi in dieser Woche bei der Richard-Wagner-Stiftung in Bayreuth – im Wortsinne. Wegen eines Feueralarms im Gebäude standen die Festspielchefinnen Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier gemeinsam mit dem Anwalt und Linken-Politiker Gysi plötzlich auf der Straße. Aber wo viel Rauch schien, war am Ende dann eben doch nur Essen angebrannt. Bayreuth und Gysi, das ist eine schillernde Kombination: Hier der Wagner-Clan, der um das Erbe des großen Komponisten Richard Wagner (1813–1883), eines glühenden Antisemiten, ringt. Dort der Spitzenpolitiker der Linken, Nachkomme einer jüdischen Großmutter väterlicherseits und schon zu DDR-Zeiten als Anwalt tätig. Im Sommer hatten Nike, Daphne und Wolf-Siegfried Wagner, Kinder des früheren Festspielleiters Wieland Wagner, Gysi gebeten, sie in einem Rechtsstreit zu vertreten.

Auslöser ist der neue Mietvertrag für das Festspielhaus. Die Richard-Wagner-Stiftung, in der der Bund und Bayern die Mehrheit haben, hat es im Frühjahr bis 2040 an die Festspiele GmbH vermietet. Dadurch kann sie quasi allein über die Leitung der Festspiele entscheiden. Das aber verstößt nach Ansicht von Nike Wagner und ihren Geschwistern gegen Paragraf 8 der Stiftungssatzung, in der festgeschrieben ist, dass die Mitglieder der Familie Wagner einen „verbindlichen Vorschlag“ für die Leitung machen können.

Der 1966 verstorbene Wieland Wagner, Enkel von Richard Wagner, war 1938 in die NSDAP eingetreten. Die letzten Kriegsmonate arbeitete er im KZ-Außenlager Bayreuth. Nach Kriegsende distanzierte er sich von seiner Vergangenheit, wurde 1951 künstlerischer Leiter der Bayreuther Festspiele und prägte sie mit innovativen Inszenierungen. Nach seinem frühen Tod übernahm sein Bruder Wolfgang die alleinige Leitung. 2008 gab dieser die Position auf, um Platz für seine beiden Töchter, Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier, zu machen.

Kurz vor ihrer Wahl durch den Stiftungsrat bewarb sich auch noch Nike Wagner um die Leitung, verlor aber bei der Abstimmung. „Ich vertrete den rebellischen Teil der Familie Wagner“, sagte Gysi über sein Mandat. Nach dem Treffen am Donnerstag hoffe er nun, mit dem Stiftungsrat eine Lösung zu finden, die die Rechte von Nike, Daphne und Wolf-Siegfried Wagner bei der Gestaltung der Richard-Wagner-Festspiele garantiere. „Andernfalls müssen wir klagen“, sagte Gysi. Der Stiftungsrat soll nun zunächst eine schriftliche Stellungnahme von Gysi bekommen, die das Gremium „prüfen“ will.

Dass ausgerechnet er, ein Mann der Linken, von der Wagner-Familie beauftragt wurde, ist für Gysi Zeichen eines gesellschaftlichen Wandels: „Das wäre vor zehn Jahren wahrscheinlich noch nicht passiert.“ Zu Richard Wagner hat Gysi ein ambivalentes Verhältnis. „Ich halte Wagner für einen großen Komponisten, obwohl er ein fürchterlicher Antisemit war“, sagte Gysi. Er halte es da aber mit dem Dirigenten Daniel Barenboim: „Den Antisemitismus überwindet man nur, indem man Wagner neu erobert.“ Barenboim hatte 2001 bei einem Konzert in Israel ein Tabu gebrochen, als er als Zugabe einen Orchesterauszug aus „Tristan und Isolde“ spielte. Die Oper ist auch das Wagner-Lieblingswerk von Gysi: „,Tristan und Isolde‘ ist eine fantastische Oper.“

Mit anderen Werken von Wagner tue er sich schwerer, sagte der Linke-Politiker: „Das Bombastische löst auch bei mir manchmal eine Gänsehaut aus, und das finde ich an mir unangenehm.“ Bei den Bayreuther Festspielen war Gysi bislang nur ein einziges Mal, im Sommer 2012. Ihm habe die Atmosphäre gut gefallen, sagte Gysi: „Nur an die harten Parkettstühle und das hochbourgeoise Publikum musste ich mich gewöhnen.“

Sollte es zu einem Prozess kommen, könnte dies nach Auffassung von Gysi ein „langwieriges Verfahren“ werden. Der Mietvertrag mit der Festspiele GmbH war die Bedingung von Bund und Freistaat Bayern, für die Sanierung des Festspielhauses 30 Millionen Euro freizugeben. Festspiel-Chefin Katharina Wagner wird das Opern-Spektakel im kommenden Jahr zum letzten Mal mit ihrer Halbschwester Eva Wagner-Pasquier und danach allein leiten – ihr Vertrag wurde bis 2020 verlängert.

Die Bayreuther Festspiele wurden 1876 das erste Mal aufgeführt. Jährlich gibt es 30 Vorstellungen, die schon lange im Voraus ausverkauft sind. Auch viele Prominente aus Politik und Kultur reisen im Sommer zu den Aufführungen. So ist Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) seit mehr als 20 Jahren Stammgast auf dem Grünen Hügel.