Bei der Visite des US-Außenministers demonstrieren beide Länder Einigkeit

Berlin. Ob Südkorea oder Australien, ob Südafrika oder Kanada: Wohin er auch reise, erzählte John Kerry, überall erinnerten Überreste der Berliner Mauer an den Kampf für die Freiheit, die „noch immer in zu vielen Teilen der Welt bedroht ist“. Nicht immer geht dieser Kampf so aus wie vor rund 25 Jahren in Deutschland. Es sei ihm deshalb besonders wichtig, sagte der amerikanische Außenminister, den Ort des Mauerfalls kurz vor dem Jahrestag des 9. November 1989 persönlich zu besuchen: „Es ist zutiefst bewegend, an diesem Ort zu sein, in dieser Stadt und zu diesem Zeitpunkt.“

Immerhin, so führte Kerry bei seiner Visite in der Mauer-Gedenkstätte an der Bernauer Straße aus, sei Berlin so etwas wie die Initialzündung für seine diplomatische Karriere gewesen. Der heute 70-jährige Amerikaner war elf Jahre alt, als sein Vater Richard 1954 an das US-Hochkommissariat am Rande des Grunewalds versetzt wurde. Die Stadt lag nach dem Weltkrieg in Trümmern, aber noch hatte die DDR die Teilung Berlins nicht mit dem Mauerbau zementiert. Der junge Kerry nutzte also seinen Diplomatenpass, um mit dem Fahrrad durch das Brandenburger Tor in den sowjetischen Sektor zu radeln. Er habe dort „den Unterschied gespürt zwischen Freiheit und Unterdrückung, zwischen Licht und Dunkelheit“: Die „graue Kleidung der wenigen Menschen dort und die ganze Atmosphäre“ habe ihm Angst gemacht, „sodass ich sehr schnell zurück in den amerikanischen Sektor fuhr“. Dieser erste Ausflug in die Welt der großen politischen Konfrontationen blieb ihm unvergesslich, die Erfahrungen an der Grenze zwischen Ost und West im Kalten Krieg prägen ihn bis heute.

Nun war die eigene Biografie natürlich nicht der einzige Grund dafür, dass Kerry nach seiner Teilnahme an der Vereidigung des neuen indonesischen Präsidenten Joko Widodo in Jakarta nach 17 Stunden Flug in der deutschen Hauptstadt einschwebte. Im aufziehenden US-Wahlkampf machen sich Bilder des demokratischen Außenministers vor historischem Hintergrund gut, zumal wenn sie von einem Dutzend „in Frieden, Freiheit und Wohlstand aufgewachsenen“ (Kerry) Gymnasiasten aus Berlin und Brandenburg sowie anerkennenden Worten des deutschen Amtskollegen Frank-Walter Steinmeier (SPD) flankiert werden. Die Überwindung der Teilung Deutschlands und Europas wäre „ohne die bedingungslose Unterstützung der USA nicht möglich gewesen“, lobte Steinmeier. „Das werden die Deutschen den Amerikanern nicht vergessen.“

Kerry revanchierte sich mit anerkennenden Worten über die „Führungsstärke und wichtige Rolle“, die Deutschland bei der Lösung internationaler Krisen übernehme. Dies gelte besonders für den diplomatischen Einsatz von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Steinmeier im Ukraine-Konflikt und die humanitäre Hilfe im Nordirak. Die USA seien dankbar für die enge Partnerschaft mit Deutschland. Nun wäre es interessant gewesen zu erfahren, wie Kerry diese Rolle am Abend zuvor beim vertraulichen Abendessen mit folgendem Gespräch im Kaminzimmer der Villa Borsig am Tegeler See bewertet hat.

Denn die USA wünschen sich abseits des öffentlichen Lobs mehr Tatkraft und weniger Zögerlichkeit von den Deutschen in den internationalen Krisen. So berichtete Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) jüngst dem Bundestag, dass die amerikanischen Partner hinter den Kulissen auf ein verstärktes Engagement der Bundeswehr bei der Ausbildung nicht nur kurdischer Soldaten im Nordirak, sondern auch der Streitkräfte der irakischen Zentralregierung drängten. Steinmeier deutete nun an, dass mit der humanitären Hilfe und den Waffenlieferungen an die Peschmerga noch nicht das Ende der deutschen Möglichkeiten erreicht sei. Es sei wichtig, dass Iraks Präsident Fuad Masum inzwischen Kurden und Sunniten an seiner Regierung beteiligt habe. Offiziell wertete Steinmeier das als Voraussetzung dafür, dass die aufseiten der IS-Terrormilizen kämpfenden sunnitischen Stämme von der Zentralregierung zurückgewonnen werden können. Beim mehrstündigen Gespräch mit Kerry dürfte es aber auch um über diplomatische Bemühungen hinausgehende Unterstützung für die Regierung in Bagdad gegangen sein.

Insgesamt waren Deutsche und Amerikaner bei der Kerry-Visite bemüht, einen engen Schulterschluss zu demonstrieren. Die NSA-Spähaffäre spielte in den Gesprächen mit Steinmeier so gut wie keine Rolle mehr. Auch die Bundeskanzlerin hob vor allem die intensive Kooperation mit den USA angesichts der großen internationalen Krisen hervor. Das Jahr 2014 stelle die Weltgemeinschaft vor „sehr viele, auch uns sehr fordernde Aufgaben“. Es sei gut, „dass wir in enger Partnerschaft und Abstimmung mit den Vereinigten Staaten von Amerika agieren“, sagte Merkel. Steinmeier hatte das so ausgedrückt: Derzeit gebe es so viele Konflikte, dass bei den Menschen der Eindruck entstehe, die Welt sei aus den Fugen geraten. Die Meinungsverschiedenheiten über die Spähaktivitäten der US-Geheimdienste sind damit zwar längst nicht ausgeräumt, sie sollen die politischen Beziehungen aber nicht länger belasten.

In den bilateralen Gesprächen jedenfalls ging es um anderes: Die Themenpalette reichte von der „russischen Aggression“ (Kerry) in der Ukraine und der daraus erwachsenen Gefahr einer neuen Spaltung Europas. Washington suche keinen Konflikt mit Moskau. Vielmehr werde Russland benötigt, um gemeinsam die weltweiten Krisen zu lösen, sagte Kerry. Alle Seiten müssten sich jetzt dafür einsetzen, dass das Minsker Abkommen vollständig umgesetzt werde. Kerry äußerte seine Hoffnung, dass die Ukraine eines Tages als „Brücke“ zwischen dem Westen und Russland dienen könne. Es ging auch um den IS-Terror im Irak und Syrien, den Ende November einer Entscheidung zustrebenden Atomkonflikt mit dem Iran, dem Dauerthema Israel und Palästina sowie dem Kampf gegen die Ebola-Epidemie. Auch die Verhandlungen über das transatlantische Handelsabkommen TTIP wurden angesprochen, dabei insbesondere die Frage, wie die gegenüber amerikanischen Chlorhühnchen skeptische deutsche Öffentlichkeit dafür zu gewinnen sei.

Die friedliche Weltordnung, sagten die Außenminister, gerate zunehmend in Gefahr. Angesichts dieser Lage, das war die wichtigste Botschaft des Kerry-Besuchs in Berlin, sei Erinnerung bedeutsam – daran, was Amerika und Deutschland gemeinsam erreichen können.