Leserinnen und Leser von Hamburger Abendblatt und „Thüringer Allgemeiner Zeitung“ debattieren über Ost und West 25 Jahre nach dem Mauerfall

Hamburg/Eisenach. Zwei Dutzend Leserinnen und Leser des Hamburger Abendblatts starten an diesem Montag ihre Reise zum Parlament der Einheit auf der Wartburg in Eisenach. Sie wurden aus mehr als 300 Bewerbern ausgelost. Auf der Wartburg treffen die Abgeordneten Hamburgs auf 24 Leserinnen und Leser der „Thüringer Allgemeinen Zeitung“ und ziehen gemeinsam mit ihnen eine Bilanz der Einheit. Drei Generationen beraten und streiten beim Parlament der Einheit darüber, wie sie Ost und West heute sehen und was die 25 Jahre seit dem Mauerfall gebracht haben.

Jeweils zwei Hamburger und zwei Thüringer Abgeordnete leiten als Parlamentspräsidenten die Diskussion. Eine der Hamburger Parlamentspräsidenten ist Aya Isabel Kleine. Die Politikstudentin ist überzeugt, dass Demokratie von Debatten lebt. „Besonders spannend finde ich die Frage, wieso die Gesellschaft seit der friedlichen Revolution in der DDR apathisch geworden ist“, sagt die 24-Jährige.

In der zweiten Hälfte der Debatte ist Dr. Hans Krech Gesprächsführer. Der Friedensforscher wurde in Halle (Saale) geboren und verfasste den vermutlich einzigen ermittelten literarischen Aufstandsaufruf in der Geschichte der DDR. Nach 42 Ausreiseanträgen zog es Hans Krech kurz vor dem Mauerfall ins Ruhrgebiet und 1990 dann nach Hamburg, wo er bis heute lebt. Auf der Wartburg möchte der 58-Jährige „die Gründe der Bürgerrechtsbewegung für den Sturz des SED-Regimes erklären“. Wie Hans Krech haben einige der teilnehmenden Hamburger Leserinnen und Leser eine DDR-Vergangenheit. So zum Beispiel Jörn Hauschildt, 70, der sich auf den Besuch seiner Geburtsstadt Eisenach freut. Nach der Vereinigung übernahm er als Stabsoffizier ein Bataillon in Ostdeutschland. Im Parlament der Einheit möchte der Rentner „die vielen Vorurteile zwischen Ost und West“ abbauen.

Auch Gerlinde Jörg lebte und arbeitete im thüringischen Eisenach. Die 59 Jahre alte Sozialpädagogin erhofft sich, bei der Diskussion Themen „über die Grenzen der einzelnen Bundesländer hinweg öffentlich zu machen“ und damit vielleicht „Mauern in den Köpfen einzureißen“.

Es gibt viel zu diskutieren beim Parlament der Einheit. Schicksale und individuelle Lebenserfahrungen werden die Diskussionen prägen. Darin sieht Teilnehmer Mike Reimann einen großen Vorteil: „Wir alle sind Zeitzeugen eines bisher einzigartigen Ereignisses, der friedlichen demokratischen Wiedervereinigung einer Nation.“ Der Projektmanager, 43, glaubt, dass sich daraus Chancen und Möglichkeiten für die zukünftige Politik ergeben.

Aber auch die Abgeordneten der jungen Generation, die nicht Zeitzeugen der Wende waren, möchten ihren Teil zu dem Eisenacher Manifest beitragen. Christopher Kahl wurde 1990 als Kind der Einheit geboren. Er hat nie selbst erlebt, wie es sich angefühlt haben muss, in einem geteilten Deutschland zu leben. Beim Parlament der Einheit freut er sich darauf, seine Erfahrungen aus dem vereinten Deutschland weitergeben zu können.

„Dass wir den Weg nach der Wiedervereinigung so erfolgreich gemeistert haben und den wohl entscheidendsten Beitrag zur Versöhnung von Ost- und Westeuropa geleistet haben, darauf dürfen wir stolz sein. Ich finde, dieses Gefühl fehlt vielfach“, sagt der 27 Jahre alte Martin Fischer, der ebenfalls als Hamburger Abgeordneter auf die Wartburg reist. Als Vertreter der ersten gesamtdeutschen Generation sieht er das Treffen in Eisenach als Chance, „dieses Gefühl, stolz auf seine Nation sein zu dürfen“, zu vermitteln.

Bei der Debatte an historischer Stätte soll es vor allen Dingen darum gehen, gemeinsame Forderungen für die Zukunft der deutschen Einheit zu formulieren: Was muss die Politik leisten, damit Deutschland weiter zusammenwächst?

„Ost und West beraten hier zusammen als eine Einheit. Eine Veranstaltung mit dem Titel Parlament der Einheit lenkt den Blick über das Trennende hinaus auf das Einigende, das Miteinander, was Verständnis von beiden Seiten füreinander voraussetzt“, sagt Abendblatt-Leserin Angelika Hebben-Beck, 63. Sie hofft darauf, mit den Teilnehmern „über deren eigene Themen sprechen und so Thüringen erfahren zu können“.

Die Ergebnisse der Debatte formulieren die 48 Abgeordneten aus Ost und West im Eisenacher Manifest. Veröffentlicht wird es in der Abendblatt-Ausgabe für den 2./3. Oktober.