Entwicklungsminister Müller (CSU) warnt vor verheerenden Auswirkungen von Dürre und Überschwemmungen

Berlin. Die Bundesregierung prophezeit ein düsteres Flüchtlingsszenario, wenn es in der Klimapolitik nicht gelinge, die Erderwärmung zu begrenzen. „Wir müssen mit 200 Millionen Klimaflüchtlingen rechnen“, sagte Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) dieser Zeitung und verwies auf entsprechende Warnungen von Klimaforschern. Demnach droht in Afrika eine massive Ausbreitung von Dürrezonen, zudem könnten Hitzeperioden ungeahnten Ausmaßes entstehen. Bereits heute ist Europa kaum in der Lage, den Ansturm von Kriegs- und Armutsflüchtlingen zu bewältigen.

Aus diesen Gründen sieht Müller Deutschland in der Pflicht, mit Wissen und Know-how die Schwellen- und Entwicklungsländer zu unterstützen. Moderne Klima- und Umwelttechnik dürften auch in diesen Ländern kein Luxus sein, sondern müssten zum Alltag gehören. „Sonst gibt es wie in Peking nur noch wenige Tage, an denen die Menschen durch den Smog die Sonne sehen, sonst fangen die Fischer keine Fische mehr, sonst bringen die Bauern keine Ernte mehr ein, weil Wetterextreme wie Dürren und Überschwemmungen alles zunichtemachen“, sagte Müller.

Anlass seiner Warnungen ist die am Montag in New York beginnende Weltklimakonferenz, die von Hollywoodstar Leonardo DiCaprio eröffnet wird – es ist sein erster Auftritt als Uno-Friedensbotschafter. Am Dienstag will Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon wieder Tempo in die internationalen Klimaverhandlungen bringen. Entwicklungsminister Müller und Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) nehmen an der Konferenz teil. Schließlich gehe es bei der Klimapolitik „um die Überlebensfragen der Menschheit“, sagte Müller und fügte hinzu: „Wer das jetzt nicht versteht, wird dafür teuer bezahlen müssen.“

Ohne weitreichende Schritte werde sich die Erde bis Ende des Jahrhunderts um drei bis fünf Grad Celsius erwärmen, warnte der Entwicklungsminister. Allein die Maßnahmen der Industrieländer gegen den Klimawandel reichten nicht mehr aus. China habe die USA inzwischen als größter Produzent von Treibhausgasen überholt. Ohne Schwellen- und Entwicklungsländer gehe beim internationalen Klimaschutz nichts mehr.

Die Konferenz in New York soll die Voraussetzungen für eine neue Klimapolitik schaffen, die Ende des Jahres beim nächsten Treffen der Staatengemeinschaft in der peruanischen Hauptstadt Lima in einen neuen Klimavertrag einfließen. Ein Jahr später könnten die beteiligten Staaten das Papier in Paris unterzeichnen. In Kraft treten soll der Vertrag im Jahr 2020. „Wir können diese Herausforderungen nur gemeinsam lösen oder gar nicht“, sagte Müller.

Schon jetzt fordert die Flüchtlingsproblematik ungeachtet der drohenden Klima-Flüchtlinge nach Ansicht der Bundesregierung gesamteuropäische Anstrengungen. So forderte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) wegen des ungebrochenen Zustroms von Flüchtlingen nach Deutschland eine gerechtere Verteilung von Asylbewerbern in Europa. „Es kann nicht sein, dass vier, fünf Länder die größte Anzahl der Flüchtlinge aufnehmen“, sagte er dem „Spiegel“. „Das entspricht nicht der erforderlichen gesamteuropäischen Solidarität, die wir hier dringend benötigen.“

De Maizière machte sich dafür stark, Flüchtlingskontingente auf alle EU-Mitgliedstaaten zu verteilen. „Wenn alle die verabredeten Regeln einhalten, könnten Länder wie Italien, wo überproportional viele Flüchtlinge ankommen, so freiwillig unter der Berücksichtigung der schon erfolgten Aufnahmen und zeitlich befristet entlastet werden.“ Angesichts steigender Asylbewerberzahlen betonte der CDU-Minister, die Aufnahmebereitschaft der Deutschen habe Grenzen. „Wir können nicht alle Armutsprobleme der Welt in unserem Land lösen. Priorität muss grundsätzlich die Verbesserung der Verhältnisse vor Ort sein, um den Betroffenen eine Perspektive in ihrer Heimat zu geben.“

NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) sieht ebenfalls die EU in der Pflicht: „Die Bundesregierung muss sich für ein gesamteuropäisches Konzept einsetzen, das humanitäre Lösungen für den stetig wachsenden Zustrom der bei uns Zuflucht suchenden Menschen aufzeigt“, sagte er der „Welt am Sonntag“. Schleswig-Holsteins Innenminister Andreas Breitner (SPD) sagte der Zeitung, das Kanzleramt solle kurzfristig zu einem „nationalen Flüchtlingsgipfel“ einladen. Zudem müsse der Bund finanzielle Unterstützung leisten. „Dazu kann auch gehören, verfügbare Liegenschaften, etwa der Bundeswehr, zu angemessenen Konditionen zur Verfügung zu stellen.“ Hessens Sozialminister Stefan Grüttner (CDU) hält ebenfalls eine nationale Asylkonferenz „zeitnah für dringend geboten“, auch um die Kommunikation zwischen den Ländern zu verbessern.

In der vergangenen Woche hatte der Bundesrat die Abkürzung der Asylverfahren für Menschen aus Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina ermöglicht. Zustande gekommen war die Entscheidung, weil der grüne baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann entgegen der Linie seiner Partei zugestimmt hatte. Für seinen Alleingang war er heftig von Grünen-Politikern kritisiert worden. Am Wochenende stärkten ihm jedoch auch einige den Rücken. Die Berliner Grünen-Chefin Bettina Jarasch verteidigte Kretschmanns Alleingang. „Wir wissen, dass es uns allen um Verbesserungen für die Flüchtlinge geht“, sagte sie. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Tom Koenigs sagte dem Sender hr-Info: „Ich hätte es anders abgewogen, aber ich kann mir vorstellen, dass ein Ministerpräsident, der für das ganze Land sprechen muss, da zu einer anderen Einschätzung kommt.“