Der neue EU-Kommissionspräsident präsentiert sein Team – die großen Länder bekommen keine einflussreichen Posten

Brüssel. Als der designierte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker die Presstribüne betritt, liegen viele Nächte ohne Schlaf hinter ihm. Er hat, erzählt der 59-Jährige, lange verhandelt und an seinem neuen Team gebastelt. Jetzt steht die „Juncker-Kommission“ fest, austariert nach Parteien, Ländergrößen und Geschlecht: neun Frauen und 19 Männer, 15 Konservative, acht Sozialdemokraten und fünf Liberale. Sie werden die Gesetzgebung in Europa in den kommenden fünf Jahren maßgeblich prägen.

„Heute will ich eine Mannschaft auf das Spielfeld bringen. Ich bin überzeugt, dass das ein Siegerteam ist“, sagt Juncker. Er hat die Machtgewichte zwischen den 28 EU-Kommissaren neu verteilt. Außerdem will er seine Kommission politischer ausrichten. „Die Kommissare sind nicht leitende Beamte hier, sie sind Politiker.“ Und Juncker zeigt Selbstbewusstsein: „Wir sind nicht die Ableger und Befehlsempfänger der nationalen Regierungen.“ Ein Seitenhieb in Richtung Berliner Kanzleramt, wo unter anderem Angela Merkels Europa-Abteilungsleiter Nikolaus Meyer-Landrut seit Jahren versucht, die Brüsseler Politik maßgeblich zu bestimmen.

Junckers „Siegerteam“ steckt voller Überraschungen: London und Paris konnten punkten, Berlin nicht. Ausgerechnet der ehemalige französische Wirtschaftsminister Pierre Moscovici wird neuer EU-Währungskommissar. Er hat den Haushalt im Krisenland Frankreich niemals in den Griff bekommen. Zudem war die Bundesregierung strikt gegen den Franzosen. Warum hat Juncker ihn trotzdem zum Währungskommissar gemacht? Erstens: Juncker hatte den Sozialisten den Posten des Währungskommissars versprochen. Zweitens: Der Kommissionschef setzt darauf, dass „Schuldensünder“ Moscovici in den Krisenstaaten mit laxer Haushaltsdisziplin besonders Gehör findet und Finanzstabilität besser durchsetzen kann. Drittens: Moscovici bekommt einen Aufpasser: den konservativen ehemaligen lettischen Regierungschef Valdis Dombrovskis, der als Vizepräsident für die Themen „Euro und sozialer Dialog“ über ihm steht.

Auch Günther Oettinger, bisher EU-Energiekommissar, hat einen Vizepräsidenten vor die Nase gesetzt bekommen. Er wollte Handelskommissar werden, nun ist er einfacher Kommissar für „digitale Agenda/Telekom“ geworden. Die großen Linien in diesem für Juncker so wichtigen Feld sollen aber vom ehemaligen estnischen Ministerpräsidenten Andrus Ansip vorgegeben werden. Er koordiniert als Vizepräsident alle Fragen zum digitalen Binnenmarkt und arbeitet Juncker direkt zu. Oettinger sieht sich aber nicht als Verlierer. Der Schwabe sagt: „Ich bin teamfähig, nicht eitel und gleichzeitig der Meinung, dass meine Verantwortung nicht durch mehrfache Filter gehen darf. Ich werde meine Arbeit selbst vertreten und zuvor selbst machen.“

Juncker hat die Kommission komplett umgebaut. Die neue Entscheidungsstruktur ist hoch komplex. Neben dem Chef Juncker sind sieben Vizepräsidenten den 20 einfachen Kommissaren wie Oettinger übergeordnet. „Die Vizepräsidenten sollen sich mit den großen politischen Prioritäten befassen“, so Juncker. Dazu gehörten Wachstum, Jobs, Energie, der digitale Binnenmarkt. Der Vizepräsident soll alle Fachkommissare, die mit diesen Themen zu tun haben, koordinieren und führen.

Große Gewinne des Brüsseler Postenpokers sind die osteuropäischen Länder – und die Frauen. Osteuropäer und Balten stellen fünf Vizepräsidenten, die großen Mitgliedstaaten Frankreich, Deutschland und Großbritannien bekamen nur ‚einfache‘ Kommissare. Das war ein bewusster Schachzug von Juncker, der als Luxemburger Regierungschef und Vorsitzender der sogenannten Eurogruppe häufig unter der Dominanz der großen Länder in Brüssel gelitten hat. Insofern ist dies auch ein Stück Wiedergutmachung für ihn. Juncker hatte auch versprochen, wichtige Dossiers an Frauen zu verteilen. Das hat er gehalten. Kleinere Länder wie Dänemark und Schweden bekamen Ressorts, die sonst großen Ländern vorbehalten sind: Die Dänin Magarethe Vestager wird neue Wettbewerbskommissarin, die Schwedin Cecilia Malmström ist künftig für Handel zuständig.

Der neue starke Mann in der Kommission wird neben Juncker der Holländer Frans Timmermans sein. Juncker bezeichnet den derzeitigen Außenminister der Niederlande als „Freund“. Timmermans hält nun alle Fäden in der Hand: Als Vizepräsident für Bürokratieabbau, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte, der als einziger Kommissar bei Gesetzesvorschlägen mit einem Veto-Recht ausgestattet ist, kann er die gesamte EU-Gesetzgebung kontrollieren. Kein Kommissar kann gegen seinen Willen einen Gesetzesvorschlag machen. „Meine rechte Hand“, nennt Juncker ihn. „Er wird auch mein Stellvertreter sein, wenn ich physisch oder geistig nicht da sein werde.“

Pikant aus Sicht des EU-Parlaments: Der Brite Jonathan Hill wird für den Finanzsektor verantwortlich sein. Der Grünen-Abgeordnete Sven Giegold ätzte: „Das ist eine Provokation, ein Bankenlobbyist ist für die Finanzmarktregulierung zuständig.“ Einige Parlamentarier unterstellen Hill zu große Nähe zur Bankenmetropole London. Für Juncker ist der einflussreiche Posten für den Euroskeptiker Hill die ausgestreckte Hand an David Cameron. Großbritanniens Regierungschef hatte Juncker als Kommissionschef verhindern wollen.