Kanzlerin Merkel: Terrorgruppe IS gefährdet „auch unsere Sicherheit“. Bundestag beschließt, irakische Kurden mit Panzerabwehrraketen aufzurüsten

Berlin. Der Bundestag befürwortet Waffenhilfen für die Kurden im Irak, Tausende Gewehre, Panzerabwehrraketen und Handgranaten. Die Rückendeckung für die Regierungslinie ist eine klare Ansage, und sie gilt den Terroristen vom Islamischen Staat (IS): „Wir lassen euch nicht gewähren“, rief Unions-Fraktionschef Volker Kauder gestern im Parlament. Die Waffen, die geliefert werden, haben allerdings „keinen Rückholschein“, wie sein Kollege Thomas Oppermann (SPD) sagte. Beide Fraktionschefs nehmen das Risiko in Kauf, dass die Waffen in falsche Hände geraten oder in anderen Kriegen eingesetzt werden. „Das, was ist, wiegt in diesem Fall schwerer, als das, was sein könnte“, sagte Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Ihrer Logik sind sie gefolgt.

Man muss sich die Vorgeschichte in Erinnerung rufen: das Ausrufen eines Islamischen Staates am 29. Juni, der schnelle Vormarsch der Terroristen, ihre Brutalität, die Not der Flüchtlinge. „Das Leid vieler Menschen schreit zum Himmel“, sagte Merkel. Die Kanzlerin erläuterte in ihrer Rede im Bundestag, vor welcher „weit reichenden Entscheidung“, vor welcher Wahl ihre Regierung stand: die Kurden aufrüsten und riskieren, dass sie nach einem Sieg gegen den IS die Waffen einsetzen, um sich vom Irak loszulösen. Oder: nicht liefern und die Kurden ihrem Schicksal überlassen. Letzteres entspreche „nicht unserer Vorstellung von Verantwortung“.

Die Kanzlerin begründete die Waffenlieferungen auch mit deutschen Sicherheitsinteressen. Die von den IS-Kämpfern betriebene Destabilisierung einer ganzen Region wirke sich „auch auf Deutschland und Europa aus“. Wenn sich Terroristen dort einen Rückzugsort schaffen könnten, „dann wächst auch für uns die Gefahr, dann sind unsere Sicherheitsinteressen betroffen“. Merkel wies darauf hin, dass sich unter anderem mehr als 400 Deutsche dem IS angeschlossen hätten. „Wir müssen befürchten, dass diese Kämpfer eines Tages zurückkehren und unsere Sicherheit auch ganz unmittelbar bedrohen.“ Deswegen könne der IS-Terror „uns in keinem Fall kaltlassen“, sagte Merkel.

Bei der gleichen Abwägung kommen die Mehrheit der Grünen und die Linkspartei allerdings zu einem anderen Ergebnis: nicht liefern. Der Chef der Linksfraktion, Gregor Gysi, hatte schon mit dem Termin der Debatte Probleme. Am 1. September jährt sich der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Am selben Tag Waffenlieferungen zu unterstützen, empfand Gysi als „mehr als stillos“. Anders als die Linken sind die Grünen zerrissen.

In fast allen Lagern rumort es, auch in der SPD. Darauf deutet Thomas Oppermanns Mahnung hin, die Waffenhilfe sei keine Abkehr vom Regierungskurs.

Viele Fragen wurden während der Sondersitzung im Bundestag nur in den Raum gestellt, aber dann nicht wirklich erörtert: Fragen zum Beispiel nach der Verantwortung der USA für das Machtvakuum im Irak, nach einem Uno-Mandat, nach einem Verbot des IS in Deutschland, nach einem konkreten Kontingent für die Aufnahme von Flüchtlingen oder auch danach, warum die Terroristen Erdöl verkaufen und Geld von arabischen Potentaten annehmen dürfen, ohne dass Bankkonten gesperrt werden. Und wer wollte schon genau wissen, warum die Bundeswehr panzerbrechende Waffen liefert. Dass die Kurden sie wollen, ist nicht verwunderlich.

Aber Panzer passen nicht zu einer Reaktion auf den schnellen IS-Vormarsch; sie würden eher bremsen. Brauchen die Kurden sie für den Kampf gegen den IS oder später gegen den Irak? Und schließlich: Kann es sein, dass der IS den Zenit seiner Macht schon überschritten hat? Dies gehört jedenfalls zu den Szenarien, die der Bundesnachrichtendienst für die Regierung durchgespielt hat.

Merkel ging auf Details nicht ein. „Wir haben jetzt die Chance, das Leben von Menschen zu retten und weitere Massenmorde zu verhindern.“ Die Chance müsse man nutzen, sagte die Bundeskanzlerin.

Es war ihre erste große Regierungserklärung mit einem militärischen Schwerpunkt. Sie wirkte überaus entschlossen, weit über die Irak-Entscheidung hinaus.