Schwarz-Rot will verstärkt gegen die sogenannte Armutseinwanderung aus Südosteuropa vorgehen. Bei Sozialmissbrauch soll es harte Strafen geben

Berlin. Die Bundesregierung will künftig verstärkt gegen die sogenannte Armutseinwanderung aus Südosteuropa vorgehen. Das Kabinett brachte am Mittwoch ein entsprechendes Gesetz auf den Weg. Grundlage ist der Abschlussbericht einer im Januar zu dem Thema eingesetzten Staatssekretärsrunde. Dieser sieht unter anderem härtere Strafen bei Sozialmissbrauch durch Zuwanderer und finanzielle Hilfen für die besonders betroffenen Städte vor. Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen.

Wie groß ist das Problem ?

Es gibt kein flächendeckendes Problem, erklärten Innenminister Thomas de Maizière (CDU) und Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) bei der Vorstellung des Abschlussberichts der Staatssekretäre. Es gebe aber Probleme in einigen Regionen, vor denen man nicht die Augen verschließen dürfe. Vor allem Großstädte in Westdeutschland sind betroffen. Im Bericht tauchen Berlin, Bremen, Dortmund, Duisburg, Frankfurt am Main, Hamburg, Hannover, Mannheim, München und Offenbach auf. Der Missbrauch von Sozialleistungen durch Zuwanderer wird in dem Bericht nicht beziffert. Er beschreibt aber das Ausmaß der Zuwanderung: 2012 wanderten per saldo 26.000 Bulgaren und 49.000 Rumänen ein, 2013 stieg die Zuwanderung aus den beiden osteuropäischen Staaten um 19 Prozent. Mit Einführung der vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit zum 1. Januar 2014 könnten in diesem Jahr bis zu 130.000 Bulgaren und Rumänen einwandern. Mitte Juni 2013 waren 40.000 Bulgaren und 127.000 Rumänen sozialversicherungspflichtig in Deutschland beschäftigt. Die Zahl der Hartz-IV-Empfänger stieg bis April 2014 gegenüber dem Vorjahr um 23.000 Personen oder 66 Prozent an. Der Anteil der Hartz-IV-Empfänger aus den beiden südosteuropäischen Staaten lag bei 12,9 Prozent und damit noch unter der Quote der Ausländer insgesamt mit 16,3 Prozent, aber über der Quote der Gesamtbevölkerung von 7,5 Prozent.

Was können die besonders betroffenen Kommunen erwarten?

Bereits im März hatte die Bundesregierung den von Armutszuwanderung betroffenen Kommunen 200 Millionen Euro zugesagt. Diese werden nun noch in diesem Jahr um weitere 25 Millionen aufgestockt, um damit Unterbringung, Sprachkurse oder Sozialarbeit in den problembeladenen Stadtquartieren zu finanzieren. Der Bund erhöht dafür seine Beteiligung an den Kosten für Unterkunft und Heizung für Hartz-IV-Empfänger. Das Gesundheitswesen der Kommunen wird um zehn Millionen Euro entlastet. Die Krankenkassen sollen künftig die Impfkosten für Kinder und Jugendliche der Zuwanderer übernehmen, auch wenn diese nicht versichert sind. Der Innenminister stellt 40 Millionen Euro für zusätzliche Integrationskurse zur Verfügung. Die Kommunen werden durch die Reform des Asylbewerberleistungsgesetzes entlastet, und zwar um bis zu 43 Millionen Euro im Jahr. Weitere Mittel sollen aus dem Programm „Soziale Stadt“ und Programmen europäischer Hilfsfonds fließen. Ende 2014 wird untersucht, was die Maßnahmen gebracht haben.

Wie soll der Missbrauch von Sozialleistungen bekämpft werden?

Wer die Regeln zur Freizügigkeit missbraucht und falsche Voraussetzungen vortäuscht, dem soll „von Amts wegen“ die Wiedereinreise untersagt werden können. Das Einreiseverbot soll fünf Jahre nicht überschreiten. Darüber hinaus drohen Bürgern aus EU-Staaten bis zu drei Jahre Haft oder eine Geldstrafe, wenn sie zur Beschaffung von Aufenthaltsbescheinigungen falsche oder unvollständige Angaben machen. Um Doppelzahlungen und Missbrauch beim Kindergeld zu unterbinden, muss ein Antragsteller für sich und das Kind die Steueridentifikationsnummern angeben. Darüber hinaus soll geprüft werden, ob das Kindergeld für Kinder, die im Ausland leben, an die Lebenshaltungskosten am Wohnort des Kindes angepasst werden kann. Ferner wird das Aufenthaltsrecht von EU-Bürgern zur Arbeitsuche befristet. Für einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten soll es nur erteilt werden, wenn die begründete Aussicht auf eine Anstellung besteht. Gewerbeanzeigen sollen künftig konsequent auf Anhaltspunkte für Scheinselbstständigkeit geprüft werden. Damit will die Regierung gegen Scheingewerbe vorgehen, die nur darauf zielen, Aufstockerleistungen der Jobcenter zu erhalten. Dafür soll die Zusammenarbeit mit der Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls intensiviert werden. Aber auch die Ausbeutung der Zuwanderer in Form von Mietwucher und „Arbeiterstrich“ müsse stärker geahndet werden, sagte der Innenminister.

Wie wirksam sind Wiedereinreisesperren in einem Europa der offenen Grenzen?

Innenminister de Maizière räumte ein, in einem Europa ohne Grenzkontrollen sei es schwierig, die Wiedereinreise zu verhindern. Er wies aber darauf hin, dass die Wiedereinreisenden keine Sozialleistungen mehr in Deutschland beantragen könnten, da ihre Daten abgeglichen würden. Die Behörden würden mit der neuen „einschneidenden Maßnahme“ behutsam umgehen, zeigte er sich überzeugt. Skeptisch äußerte sich der Deutsche Städtetag: Wie wirksam befristete Wiedereinreisesperren in eklatanten Fällen und zeitliche Befristungen für die Arbeitsuche seien, „müsse sich in der Praxis zeigen“.

Was sagen die Kritiker?

Die Regierung reagiere auf ein Problem, das es nicht gebe, kritisierten die Grünen. „Es gibt weder massenweisen Sozialleistungsbetrug durch Unionsbürger noch einen relevanten Missbrauch der Freizügigkeit“, sagte der innenpolitische Sprecher Volker Beck. Die Drohung mit Wiedereinreisesperren gegen EU-Bürger wegen des Verdachts auf Sozialmissbrauch verletze EU-Recht und sei „blanker Populismus“. „Die aktuelle Debatte um vermeintliche Armutszuwanderung und das betrügerische Erschleichen von Sozialleistungen durch EU-Zuwanderer macht Vorurteile und Diskriminierung salonfähig“, kritisierte Caritas-Präsident Peter Neher. Der DGB befand, die zentralen Herausforderungen wie die Ausbeutung der EU-Zuwanderer würden ignoriert.