Eine Studie untersucht die wechselvolle Karriere Andreas Predöhls, Gründungsdirektor des Deutschen Übersee-Instituts in Hamburg. Öffentliche Podiumsdiskussion am 11. September.

Hamburg. Die verhängnisvollen politischen und gesellschaftlichen Umbrüche in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben viele akademische Karrieren in Deutschland abrupt beendet, manche Wissenschaftler wurden aus politischen oder rassischen Gründen verfolgt und verloren sogar ihr Leben. Andere hingegen konnten sich offenbar mühelos den jeweiligen Gegebenheiten anpassen, begannen ihre wissenschaftliche Laufbahn in der Weimarer Republik, führten sie in der NS-Zeit erfolgreich fort und konnten sie in der jungen Bundesrepublik nahezu bruchlos fortsetzen. Und diese wendigen Kollaborateure waren keineswegs zwangsläufig schlechte Wissenschaftler, sondern konnten mitunter auf bemerkenswerte Leistungen zurückblicken. Der heute weitgehend vergessene Hamburger Ökonom Andreas Predöhl (1893–1974), der 1964 zum Gründungsdirektor des Deutschen Übersee-Instituts in Hamburg berufen wurde, gehört in diese Kategorie.

Anlässlich seines 50-jährigen Bestehens hat das Institut, das sich 2007 in GIGA (German Institute of Global and Area Studies) umbenannte, den Politikwissenschaftler Wolfgang Hein und den Wirtschaftswissenschaftler Robert Kappel beauftragt, die akademische Karriere von Predöhl und dessen persönliche Verstrickung in das NS-Systems zu untersuchen. „Raum, Welt, Wirtschaft: Andreas Predöhl – eine deutsche Wissenschaftskarriere“ heißt der Aufsatz, in dem die beiden Autoren die widersprüchliche Laufbahn des Ökonomen nachzeichnen und zugleich danach fragen, was sein Vermächtnis heute noch bedeuten kann.

Predöhl wurde als Sohn des Hamburger Bürgermeisters Max Predöhl geboren, besuchte das Johanneum und studierte Jura und Wirtschaftswissenschaften. Nach der Promotion wurde er Assistent am Institut für Weltwirtschaft und Seeverkehr der Kieler Uni, an der er sich auch habilitierte. Schon früh interessierte er sich für wirtschaftliche Standortfaktoren. Er unternahm Forschungsreisen nach Großbritannien und in die USA, aber auch in die Sowjetunion. 1932 wurde er Ordinarius in Kiel, wo er nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten nichts dabei fand, anstelle des politisch missliebigen Bernhard Harms den Direktorenposten des Instituts für Weltwirtschaft zu übernehmen. Über Predöhls Rolle im nationalsozialistischen Wissenschaftsbetrieb resümiert Robert Kappel in der Studie: „Predöhls Theorie von einem Großwirtschaftsraum und der Expansion gen Osten passte den Nazis gut ins Konzept – und er fütterte sie mit neuen Ideen.“

Geschadet hat ihm das nach 1945 keineswegs, so brachte er es in der Bundesrepublik zum Rektor der Universität Münster und 1964 zum Gründungsdirektor des renommierten Deutschen Übersee-Instituts in Hamburg. Und auch die SPD, der er in den frühen 1920er-Jahren bereits einmal angehört hatte, bediente sich seiner unbestreitbaren wirtschaftswissenschaftlichen Kompetenz und nahm ihn in den Kreis jener Experten auf, die das Godesberger Programm formulierten, mit dem die ehemalige Arbeiterpartei 1959 den Schritt zur marktwirtschaftlich orientierten Volkspartei theoretisch begründete. Predöhl dachte über nationalstaatliche Grenzen weit hinaus, betonte die Chancen großer Industriezentren und propagierte die Montanunion, aus der schließlich die EWG hervorging. Seine Forschungen zum Spannungsverhältnis zwischen nationalökonomischen Interessen und globalisierter Wirtschaft könnten heute interessante Impulse zum Verständnis der aktuellen ökonomischen Probleme bieten. Seit seine Verstrickung in das NS-Regime in den 1970er-Jahren öffentlich thematisiert wurde, spielt Andreas Predöhl in der Fachdiskussion jedoch kaum mehr eine Rolle. Nach Meinung der beiden Autoren würde sich aber gerade die Beschäftigung mit dieser moralisch und politisch belasteten akademischen Karriere lohnen. „Predöhls aktive Verstrickung in das Terrorregime des Nationalsozialismus“, so das Fazit der Studie, „weist darauf hin, dass der Wissenschaft als Element politischer Praxis eine wichtige Verantwortung zukommt.“

Der Aufsatz über Andreas Predöhl steht seit heute auf der Website des GIGA. Am 11. September 2014 veranstaltet das Institut eine öffentliche Podiumsdiskussion über das schwierige Vermächtnis seines Gründungsdirektors. Infos: www.giga-hamburg.de