Der Wirtschaftsminister will Rüstungsexporte eindämmen, obwohl die Branche vor Jobverlusten warnt. In der Koalition knirscht es vernehmlich

Berlin. Sigmar Gabriel trägt einen ganzen Stapel Papiere unter dem Arm. Der SPD-Chef, Wirtschaftsminister und Vizekanzler setzt seine schwarze Lesebrille auf und zieht ein Blatt heraus, das vor 14 Jahren maßgeblich Gerhard Schröder mitformuliert hat. Gabriel zitiert aus den strengen rot-grünen Richtlinien für Rüstungsexporte aus dem Jahr 2000. Auch den aktuellen Koalitionsvertrag von Union und SPD hat er dabei. Denn der beruft sich beim Thema Waffengeschäfte ausdrücklich auf die rot-grünen Grundsätze. Die Botschaft lautet: Trotz großer Arbeitsplatzsorgen in der heimischen Branche will er an seinem Blockadekurs bei vielen Rüstungsexporten festhalten. „Beschäftigungspolitische Gründe dürfen keine ausschlaggebende Rolle spielen“, sagt Gabriel.

Nach ein paar Minuten wird klar, dass der frühere Lehrer das Treffen mit rund 20 Betriebsräten großer deutscher Rüstungskonzerne nutzen will, um seinen Kritikern, die „nicht genug Textkenntnis“ hätten, eine Nachhilfestunde zu geben. Zum Beispiel dem wirtschaftspolitischen Sprecher der Unionsfraktion, Joachim Pfeiffer, der den Wirtschaftsminister wegen seiner strikten Linie bei der Genehmigung von Waffenverkäufen ins Ausland öffentlich zum nationalen Sicherheitsrisiko erklärt hat. So werde Deutschlands Bündnisfähigkeit und Verlässlichkeit infrage gestellt, kritisiert Pfeiffer. In der Großen Koalition knirscht es vernehmlich.

In der Union wittern einige angesichts der Irak-Krise ihre Chance, die Sozialdemokraten, die als Friedenspartei punkten wollen, zu entzaubern. Tatsächlich steckt Gabriel in der Klemme, weil er einerseits erklärt hat, weniger Panzer und Kleinwaffenverkäufe genehmigen zu wollen, andererseits aber als ultima ratio (letzter Ausweg) deutsche Waffenlieferungen an die von der Terrormiliz IS bedrängten Kurden, also in ein Krisengebiet, mittragen würde.

Für Gabriel ist das kein Widerspruch, zumal in den Richtlinien Ausnahmen im Einzelfall erlaubt sind, wenn „besondere außen- oder sicherheitspolitische Interessen der Bundesrepublik Deutschland unter Berücksichtigung der Bündnisinteressen“ eine Rolle spielen. Unter Schwarz-Gelb sei aber die Ausnahme zur Regel geworden. Und wenn die Bundeswehr die Kurden oder den Irak mit panzerbrechenden Waffen gegen die islamistischen IS-Terroristen aufrüsten würde, wäre das ohnehin ein Geschäft zwischen Regierungen – kein normaler Rüstungsdeal, der über den Schreibtisch des Wirtschaftsministers geht. Überhaupt hält der SPD-Chef das Wehklagen aus der Union für völlig übertrieben.

Keine deutsche Rüstungsfirma sei vom Geschäft auf der arabischen Halbinsel abhängig, sagt er. Wieder zitiert der Vizekanzler die Rüstungsleitlinien, die auch die Union unterschrieben hat: „Beschäftigungspolitische Gründe dürfen keine ausschlaggebende Rolle spielen.“ Gabriel will bei seiner harten Linie bleiben und fühlt sich von der Historie bestätigt. Gerade im Irak hätten Ost und West mit Waffenlieferungen über Jahrzehnte die „Büchse der Pandora“ aufgefüllt: „Die Büchse ist randvoll mit Waffen“, meint er.

Doch ganz so einfach dürfte Gabriel das Thema nicht loswerden. An diesem Sonnabend wird die SPD-Spitze bei einer Klausurtagung in Berlin darüber diskutieren. In SPD-Parteikreisen wird kritisiert, Gabriel habe die Komplexität des Themas unterschätzt, im Ministerium stapelten sich immer mehr Exportanträge. Man müsse hier dringend eine eindeutige Linie finden, damit die deutschen Rüstungsunternehmen Planungssicherheit hätten. So wettert Unions-Mann Pfeiffer: Ohne eine politische Debatte in der Koalition würden Exportanfragen widerrufen oder liegen gelassen. „Selbst Verbündete wie Japan oder Australien sind bei Rüstungsanfragen auf einmal suspekt“, sagt der Gabriel-Kritiker.

Doch die Union kann wenig machen. Kanzlerin Angela Merkel bleibt wohlweislich in Deckung. Da im geheim tagenden Bundessicherheitsrat, dem die Kabinettschefin und acht ihrer Minister angehören, in der Regel schon eine Nein-Stimme etwa von Gabriel einen Export blockieren kann, sind CDU und CSU die Hände gebunden. Wie abgestimmt wird, darf niemand sagen, seit Mai wird im Zuge einer Transparenzoffensive aber immerhin mitgeteilt, was genehmigt wurde.

Gabriel hat die Losung ausgegeben: „Keine Geschäfte mit dem Tod.“ SPD-Vize Ralf Stegner betont: Man müsse den Betriebsräten der Rüstungsgüterfirmen klar sagen: „Lieferungen zum Beispiel nach Saudi-Arabien könnt ihr vergessen.“ Die SPD müsse sich als Friedenspartei profilieren. An die fünf größten Empfängerländer gingen 2013 deutsche Rüstungsgüter im Wert von 2,76 Milliarden Euro, bei einer Beschränkung auf Nato- und EU-Staaten hätte sich dieser Wert auf 610 Millionen Euro reduziert.

Gerade in Süddeutschland, wo Waffenschmieden wie Heckler & Koch und Krauss Maffei sitzen, ist der Ärger groß. CSU-Chef Horst Seehofer will eine klare Linie für die Koalition – am 11. September treffen sich die Spitzen der beiden Unionsparteien und der SPD im Kanzleramt. Gabriel würde das Problem am liebsten lösen, indem er es auf mehr Schultern verteilt: So will er unter anderem Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und Finanzminister Wolfgang Schäuble (beide CDU) dafür gewinnen, dass die Branche als Ausgleich für reduzierte Ausfuhrgenehmigungen neue Aufträge von der Bundeswehr bekommt. Und er betont, Rüstungsexporte seien kein Instrument der Wirtschaftspolitik. „Das ist im Kern ein Instrument der Außen- und Sicherheitspolitik.“ Damit könnte er die Hauptzuständigkeit an seinen Parteifreund und Außenminister Frank-Walter Steinmeier abschieben.