Der Versorgungsgrad steigt vor allem im Westen. Die Qualität der Betreuung ist aber weit von den Standards entfernt, die Experten fordern

Berlin. Vor einer „Kitastrophe“ hatten Kommunalverbände im vergangenen Jahr gewarnt. Der im August eingeführte Rechtsanspruch für Kinder ab einem Jahr werde zu Massenklagen von Eltern führen, die keinen Betreuungsplatz bekämen. Denn die Kommunen könnten ja nicht Plätze aus dem Nichts zaubern. Allein der Deutsche Städte- und Gemeindebund sprach von möglichen Schadenersatzklagen im dreistelligen Millionenbereich.

Die Sorge hat sich nicht bestätigt. Nach Auskunft des Familienministeriums ist es bei den Verwaltungsgerichten seit Inkrafttreten des Rechtsanspruchs bis Ende 2013 bundesweit nur zu 242 Verfahren gekommen. In nicht allen davon ging es um einen Betreuungsplatz, sondern teilweise auch um die Betreuungsgebühren. Diese sind von Kommune zu Kommune unterschiedlich, werden teils von den Trägern selbst festgelegt. Laut Statistik besuchten zum 1. März 2014 84,8 Prozent der betreuten unter Dreijährigen Kitas, die übrigen 15,2 Prozent eine Tagespflegemutter oder einen Tagespflegevater. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich die Zahl der Kindertageseinrichtungen um 1,9 Prozent auf 53.466 erhöht; die Zahl der Tagespflegemütter und -väter ist um zwei Prozent auf 44.835 gestiegen. Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) zeigte sich erfreut über den Zuwachs an Plätzen: „Die Zahlen zeigen, dass wir hier auf einem guten Weg sind.“

21.765 Kinder unter drei Jahren werden in Hamburg derzeit in Kitas und in der Kindertagespflege betreut. Das sind rund 2400 Kinder mehr als vor einem Jahr, wie die Hamburger Sozialbehörde mitteilte. Das bedeute eine Steigerung um 13 Prozent. Die Krippenbetreuungsquote liege damit bei 43 Prozent, 4,6 Prozentpunkte mehr als im Vorjahr. Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) äußerte sich erfreut über den Erfolg des Krippenausbauprogramms in der Hansestadt. Seit Beginn 2008 habe sich die Zahl der Betreuungsplätze für unter Dreijährige um 10.700 erhöht und damit fast verdoppelt. Grund für die hervorragende Entwicklung sei nicht zuletzt das unbürokratische Hamburger Kita-Gutscheinsystem.

Deutschland hat in den vergangenen zehn Jahren das Angebot an Betreuungsplätzen für Kleinkinder kräftig ausgebaut. Ziel der Krippenoffensive war es, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu erleichtern. Flankiert wurde der Ausbau von der Einführung des Elterngeldes, das seit 2007 in den ersten 14 Monaten nach der Geburt gezahlt wird, und dem Rechtsanspruch für Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr. Die Betreuung der Ein- und Zweijährigen in Kindertagesstätten oder durch Tagesmütter biete Anregungen und fördere überdies bei Migrantenkindern die Deutschkenntnisse, so argumentieren die Befürworter. Studien zeigen allerdings, dass die Qualität der staatlich geförderten Kleinkindbetreuung fast überall weit von den Standards entfernt ist, die von Experten gefordert werden. Und während Ostdeutschland zwar quantitativ deutlich vor dem Westen liegt, sieht es bei der Qualität genau umgekehrt aus.

Vor allem beim Personalschlüssel hapert es. Jugendforscher empfehlen, dass sich eine Erzieherin um maximal drei Kleinkinder kümmern sollte, um angemessen auf die Bedürfnisse der Ein- und Zweijährigen eingehen zu können. Laut der jüngst von der Bertelsmann Stiftung veröffentlichten Bildungsstudie gibt es auch zwei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung noch immer eine tiefe Kluft zwischen Ost und West. Die größten Gruppen, die eine Erzieherin betreuen muss, gibt es in Sachsen-Anhalt, das mit einer Quote von knapp sieben Kindern pro Fachkraft den schlechtesten Standard hat. Tatsächlich sind es sogar noch mehr Ein- und Zweijährige, die eine Erzieherin beaufsichtigt. Denn beim Personalschlüssel sind die Zeiten für Dokumentation oder Elterngespräche nicht berücksichtigt, die mit 25 Prozent der Arbeitszeit zu Buche schlagen.

Da der Großteil der Kleinkinder noch gewickelt werden muss und oft auch Hilfe beim Essen benötigt, dürfte kaum viel Zeit für anderes bleiben, wenn sich ein Erwachsener um neun Knirpse kümmern muss. Dass es bei solchen Verhältnissen mit der „frühkindlichen Bildung“ nicht weit her sein dürfte, liegt auf der Hand. Und fraglich ist auch, ob die stark geforderten Fachkräfte überhaupt die Möglichkeit haben, die Ein- und Zweijährigen auch einmal auf den Arm zu nehmen, wenn sie getröstet werden müssen.

Doch auch im Westen gibt es zwischen den Bundesländern erhebliche Unterschiede. Während Bremen mit einer Quote von 3,2 Kindern pro Erzieher deutschlandweit den besten Wert erreicht, hat Hamburg mit 5,4 einen deutlich schlechteren Personalschlüssel. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 4,5 Kindern. Dabei steht der Westen mit durchschnittlich 3,7 Kindern deutlich besser da als der Osten, wo eine Kindergärtnerin auf sechs Kinder aufpasst.

Noch schlechter sieht es aus, wenn die Kleinen nicht in altershomogenen Gruppen betreut werden. „Die Bildungschancen der unter Dreijährigen verschlechtern sich deutlich, wenn sie statt einer Krippe eine andere Gruppenform besuchen, in der auch ältere Kinder betreut werden“, heißt es in dem Bildungsreport. So haben sich in den vergangenen Jahren viele Kindergärten für Zweijährige geöffnet. Mitunter besuchen sogar Einjährige gemeinsam mit Vorschulkindern dieselbe Gruppe. Im Westen und im Osten sind in solchen gemischten Gruppen die Personalschlüssel schlechter als in den Krippen. In den neuen Bundesländern hat der überwiegende Teil der Kinder einen Ganztagsplatz. Mehr als 70 Prozent werden mindestens 35 Stunden in der Woche betreut. Im Westen sind dagegen nur gut 40 Prozent der Plätze für die unter Dreijährigen Ganztagsplätze.