Mit einem neuen Schutzkonzept reagiert Ursula von der Leyen auf die Pannen in deutschen Bundeswehrstandorten

Berlin. Manchmal braucht es eine Panne historischen Ausmaßes, um einen Missstand zu erkennen und zu korrigieren. Eine solche Panne widerfuhr der Bundeswehr am 7. Februar 2014 zwischen 4.30 Uhr und 7 Uhr morgens. Unbekannte stahlen 32.981 Patronen aus der Fallschirmjägerkaserne im niedersächsischen Seedorf. Das sei der schwerste Fall dieser Art seit 30 Jahren, hieß es im Verteidigungsministerium. Mittlerweile ist klar: Es war der größte Munitionsdiebstahl seit Bestehen der Bundeswehr.

Das Schlimmste: Die Straftat hätte verhindert werden können. Bereits 2006 hatte eine Expertenkommission unter Beteiligung des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) eine technische Sicherung der Seedorfer Munitionsbunker mit einem Zaun und einer Einbruchmeldeanlage empfohlen. Doch der Ratschlag wurde nicht umgesetzt.

Für Gerd Hoofe, den Vertrauten von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) im Rang eines beamteten Staatssekretärs, war der Fall Seedorf der Anlass, ein vertrauliches Papier noch mal überarbeiten zu lassen. Der Titel: „Konzept Neuausrichtung von Bewachung und Absicherung in der Bundeswehr (KBewAbsBw)“, gestempelt als „Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch“. Auf 56 Seiten ist nachzulesen, wie die Streitkräfte ihre Liegenschaften sichern wollen.

Die Konsequenzen aus der Panne finden sich auf Seite 31. Dort steht, dass den Sicherheitsempfehlungen des Militärgeheimdienstes künftig verpflichtend Folge zu leisten ist. Am 24. April unterzeichnete Hoofe das Konzept und wies die Umsetzung an.

Dass das Ministerium so schnell – für die Verhältnisse einer großen Behörde – reagieren konnte, lag daran, dass die Arbeit am neuen Bewachungskonzept bereits im Vorjahr begonnen hatte. Notwendig geworden war es durch die Bundeswehrreform. In Beamtendeutsch klingt das so: „Durch die mit der Neuausrichtung der Bundeswehr verbundene Reduzierung der Truppenstärke und der Aussetzung der Wehrpflicht steht den Streitkräften für Wachaufgaben heranzuziehendes Personal nicht mehr überall in ausreichender Zahl zur Verfügung“, heißt es in dem Papier. „Das erfordert eine weitere Entlastung der Streitkräfte von Wachaufgaben im Grundbetrieb.“ Übersetzt heißt das: Die Truppe hat nicht mehr genügend Personal, um ihre Kasernen selbst bewachen zu können. Und künftig wird es noch weniger sein.

Dabei ist der Schutz der Liegenschaften ein zentraler Beitrag zum „Erhalt der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr“, verrät das Konzept. „Die Bewachung und Absicherung von Liegenschaften der Bundeswehr im Grundbetrieb trägt zum Schutz von Personal und Material vor Spionage, Sabotage, Zersetzung, Extremismus und Terrorismus sowie vor Straftaten und Ordnungswidrigkeiten bei.“

In beinahe rührender Weise beteuern die Beamten, dass die Streitkräfte weiterhin stets in der Lage sein müssten, „sich selbst zu sichern beziehungsweise zu bewachen“. Diese „soldatische Grundbefähigung“ behalte einen hohen Stellenwert – allerdings vorzugsweise im Auslandseinsatz, auf Übungen oder unter „besonderen Lagebedingungen“. Im ganz normalen Alltagsbetrieb dagegen soll künftig die Vorgabe der Neuausrichtung konsequent umgesetzt werden, die da lautet: vom Einsatz her denken und sich auf die Kernaufgaben konzentrieren. Und dazu zählen Bewachungsaufgaben eben nicht mehr.

Dementsprechend werde die Bundeswehr „zur Deckung des Bedarfs der Streitkräfte an Bewachung und Absicherung von Inlandsliegenschaften zunehmend auf gewerbliche Wachunternehmen und technische Absicherungssysteme zurückgreifen“ müssen.

Das ist freilich keine neue Entwicklung. Seit den 1990er-Jahren werden private Sicherheitsunternehmen von der Bundeswehr engagiert. Mittlerweile aber ist das Gros, nämlich rund 360 von rund 450 bewachungsbedürftigen Liegenschaften, in der Obhut von gewerblichen Wachschützern. Im aktuellen Haushaltsentwurf für 2014 sind dafür 209 Millionen Euro veranschlagt.

Diese Entwicklung wäre noch kein Problem. Auf Kritik stieß aber zuletzt die Praxis der Wehrverwaltung, die Bewachungsaufträge in der Regel „zum niedrigsten Preis“ auszuschreiben – und sich damit zweifelhafte Wachschutzfirmen in die Kasernen zu holen. So hatte der Wehrbeauftragte des Bundestags, Hellmut Königshaus (FDP), gerügt: „Wenn man Kasernen zivilgewerblich bewachen lässt, dann muss auf Qualität geachtet werden. Vom billigsten Anbieter ist die nicht immer zu bekommen. Es wäre im Sinne der Sicherheit, wenn zertifizierte, bewährte Unternehmen beauftragt würden.“ Ähnlich äußerte sich der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Hans-Peter Bartels (SPD).

Auch diese Kritik hat das Ministerium aufgenommen. Zwar würden die Bewachungsleistungen weiterhin „unter Wahrung der Prinzipien der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit ausgeschrieben“, steht dort zu lesen. Aber außerdem heißt es: „Bei der Auswahl im Rahmen des Vergabeverfahrens ist nicht nur auf wirtschaftliche Aspekte zu achten, sondern insbesondere auch auf die Fähigkeit des Bieters zu einer nachhaltigen Leistungserbringung in der geforderten Qualität bei Einhaltung der jeweils anzuwendenden Tarifverträge Wert zu legen.“ Schließlich handele es sich bei der Bewachung militärischer Liegenschaften durch Private um „einen verteidigungs- und sicherheitsrelevanten Auftrag“.

Damit nicht genug. Um die Bewachungsqualität zu verbessern, sollen weitere „Optimierungsansätze“ verfolgt werden. In den kommenden Monaten soll die gesamte Regelungslandschaft zum Wachschutz von Grund auf durchforstet und bereinigt und in Pilotprojekten neue Formen von Absicherungslösungen getestet werden.