Bundespräsident zu Besuch im Flüchtlingslager für Syrer. Heute politische Gespräche mit Erdogan

Kahramanmaras. Selbst hier, im Süden der Türkei, kann Joachim Gauck an seine eigenen Erfahrungen anknüpfen. In einem Container, der „Kinderfreundlicher Raum“ heißt, spricht er mit kleinen Bürgerkriegsflüchtlingen aus Syrien. „Als ich ein Kind war, konnte ich nicht glauben, dass ich einmal in einem freien Land leben werde“, erzählt er Fatima, Jassid und den anderen. Und doch ist es so gekommen. Das wünsche er den kleinen Syrern auch.

Das Lager, das der deutsche Bundespräsident am ersten Tag seinen Staatsbesuchs in der Türkei besucht, ist eine Kleinstadt am Rande der Großstadt, und sie wird nicht so schnell verschwinden. Mit etwa 16.000 Flüchtlingen ist das Lager nahe der 500.000 Einwohner großen Stadt Kahramanmaras voll ausgelastet, es gibt Schulen, eine Krankenstation und eine Apotheke. Es gibt Supermärkte, jeder Flüchtling erhält über eine elektronische Karte umgerechnet 27 Euro im Monat, um sich zu versorgen.

Auch Gauck und seine Lebensgefährtin Daniela Schadt bekommen im Supermarkt des Uno-Welternährungsprogramms so eine Karte – und geben sie weiter. Ein Kilo Tomaten kosten rund 60 Cent, fünf Kilo Reis gut drei Euro. Draußen rufen ein paar Dutzend Jugendliche „Tod für Assad“ und jubeln „Erdogan! Erdogan!“ Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan ist einer der erbittertsten Gegner von Syriens Machthaber Baschar al-Assad.

Gauck nutzt die Gelegenheit, der Türkei hier im Grenzgebiet zu Syrien zu danken und ihren sicherheitspolitischen Beitrag zu preisen. Dass Deutschland mehr tun könnte bei der Aufnahme syrischer Flüchtlinge, sagt Gauck auch hier. „Großen Respekt“ zeigt er für die türkische Bereitschaft, rund eine Million Flüchtlinge aufzunehmen. Dass im Vergleich zu den wenigen Tausend Syrern, die in Deutschland Zuflucht gefunden haben, die Relation nicht stimmt, lässt er deutlich erkennen und will darüber zu Hause auch mit Kanzlerin Angela Merkel sprechen.

Mit viel Lob für das türkische Engagement bereitet Gauck aber auch den Boden für das, was am Montag kommen muss. Das Vorgehen ist inzwischen auf den Auslandsreisen des deutschen Staatsoberhaupts vertraut. Erst einmal werden die Gastgeber gepriesen, dann folgen die offenen Worte: Grundrechte wie Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit, aber auch religiöse Vielfalt oder der Schutz von Minderheiten müssten geachtet werden. Gauck wird sie wohl heute beim Treffen mit Erdogan sprechen.

Wenige Monate ist es her, da hat Gauck Deutschland zu mehr internationaler, auch militärischer Verantwortung aufgerufen. In Kahramanmaras kann er überprüfen, wie die Praxis aussieht. Auf den Hügeln der Stadt sichern deutsche und türkische Soldaten mit Patriot-Raketen das dicht besiedelte Gebiet vor syrischen Raketenangriffen. Nur 10 mal 15 Kilometer groß ist die Fläche, die der Nato-Einsatz „Active Fence“ effektiv schützen kann und noch musste keine Rakete abgeschossen werden. Dass der Einsatz trotzdem sinnvoll ist, daran lässt Gauck keinen Zweifel.