Der Wirtschaftsminister will für deutsche Firmen neue Märkte erschließen. Treffen mit Bürgerrechtsanwalt fällt aus

Peking. Etwas müde sieht Sigmar Gabriel (SPD) aus, aber der guten Laune des Bundeswirtschaftsministers tut das auf seiner Chinareise keinen Abbruch. Auf dem Flug nach Peking antwortet der SPD-Chef ironisch-süffisant auf kritische Fragen, wo er sonst schon mal gern die Keule rausholt. Und er erzählt von seiner Verbundenheit zu China. So habe ihn 2005 etwa der damalige chinesische Staatschef Hu Jintao mal zu Hause besucht, weil Hu das Stammhaus von Siemens sehen wollte – das zufällig in Gabriels Wohnort Goslar steht.

Gabriel selbst sagt von sich, er sei kein Chinakenner. Und doch kennt der SPD-Chef das Land und dessen Repräsentanten gut: Es ist bereits seine neunte oder zehnte Reise in die Volksrepublik, so genau weiß Gabriel es nicht mehr. Und noch im März hatte er Staatspräsident Xi Jinping getroffen. Eigentlich ist der Trip nach China also wenig spektakulär. Für Gabriel ist es dennoch etwas Besonderes: Es ist seine erste große Auslandsreise als Bundeswirtschaftsminister.

60 Prozent der Gewässer in China sind verschmutzt, Städte leiden unter Smog

Für den 54-Jährigen beginnt damit eine neue Etappe in seiner Amtszeit. In den ersten Monaten hat ihn die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes vollständig in Beschlag genommen. Jetzt hat er endlich auch Zeit für andere Themen. Zwar bleibt Energie auf absehbare Zeit das wichtigste politische Feld für den Wirtschaftsminister. Aber Gabriel braucht auch die Handels- und Wirtschaftspolitik, die Reisen mit den Wirtschaftsdelegationen ins Ausland, die staatsmännischen Fotos, um sein Wirtschaftsprofil als „roter Erhard“ zu schärfen.

Und so gibt Gabriel in China die Rolle, die ein deutscher Wirtschaftsminister im Ausland geben muss: Den obersten Werber für heimische Investoren. „China weiß, dass sein Wachstumsmodell an seine Grenzen gestoßen ist“, sagt Gabriel. 60 Prozent der Gewässer in China sind verschmutzt. In den Großstädten wie Peking oder Shanghai ist die Luft so verpestet, dass das Wohnen dort laut Studien mittlerweile lebensbedrohlich ist. Inzwischen gibt es bis zu 200.000 Demonstrationen im Jahr im Land, die meisten wegen Umweltverschmutzung. Die Volksrepublik hat deshalb in ihrem jüngsten Reformprogramm beschlossen, eine große Offensive gegen Umweltverschmutzung zu starten.

Gabriel sieht darin eine Chance für deutsche Unternehmen – und versucht das Know-how deutscher Unternehmen in der Umwelttechnik den Chinesen schmackhaft zu machen. „Das Thema Energieeffizienz stößt in China auf riesiges Interesse“, sagt Gabriel nach Gesprächen mit Vertretern der chinesischen Regierung. Die machen dem Minister in der Tat Mut: „Deutschland hat bei der Umwelttechnik die weltweit führenden Technologien und auch führende Produkte sowie das modernste Konzept“, sagt der Vorsitzende der chinesischen Reformkommission (NDRC), Xu Shaoshi. Er wünsche sich daher eine engere Zusammenarbeit. Eine vertiefte Kooperation könne es beim Städtebau oder bei Elektroautos geben.

Das wünscht sich auch Gabriel. Aber dafür müssten auch die Rahmenbedingungen stimmen, mahnt der Wirtschaftsminister. „Es gibt eine ganze Reihe von Handelshemmnissen, die den deutschen Mittelständlern das Leben in China richtig schwer machen.“ So seien etwa bei Ausschreibungen von Großprojekten in China viele deutsche Firmen außen vor. Ein weiteres großes Problem sei der Missbrauch von Patenten. So müssten deutsche Mittelständler unter 600.000 angemeldeten Patenten ihre eigenen zwei Patente finden und die Löschung beantragen. In der Realität kann das kein Mittelständler umsetzen – und er verliert seinen Patentschutz.

Für den Herbst sind deutsch-chinesische Regierungskonsultationen geplant

Auch sei es ein Problem, dass in wichtigen Bereichen wie der Auto- oder der Pharmawirtschaft deutsche Firmen in China nur in Gemeinschaftsunternehmen mit lokalen Partnern am Markt tätig werden könnten. „Wir wünschen uns von den Chinesen, dass deutsche Investoren genauso behandelt werden wie ihre Investoren in Deutschland“, sagt Gabriel. Für die Themen gebe es eine große Offenheit in der chinesischen Regierung, sagt der Wirtschaftsminister nach einem Gespräch mit dem Chef der Reformkommission. Das bedeute aber nicht, dass schnell Abhilfe zu erwarten sei, so Gabriel. Der SPD-Chef hat in China mit seiner Rolle als Sprachrohr für die deutsche Wirtschaft keine Anpassungsprobleme. Allerdings ist Gabriel wichtig, dass er nicht nur als Interessenvertreter deutscher Investoren wahrgenommen wird. Am Mittwochabend will er sich mit Oppositionellen treffen.

Chinas Sicherheitsapparat hat aber am Dienstag bereits ein geplantes Treffen zwischen Gabriel und dem bekanntesten chinesischen Bürgerrechtsanwalt Mo Shaoping in Peking verhindert. Wie der Anwalt berichtete, seien die Polizisten bei ihm erschienen und hätten erklärt, „auf Anweisung von oben“ müssten sie ihm sagen, dass er Gabriel nicht treffen solle. Die Kanzlei von Mo Shaoping hat schon viele prominente Bürgerrechtler vertreten, darunter den inhaftierten Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo. Außerdem nutzt er den Besuch, um China erneut aufzufordern, seinen Einfluss auf Russland für eine Verhandlungslösung im Ukraine-Konflikt zu nutzen.

Der Besuch Gabriels in Peking reiht sich ein in einen ganzen Reigen von Treffen zwischen deutschen und chinesischen Spitzenpolitikern in diesem Jahr. Erst Ende März reiste Chinas Staatschef Xi Jinping nach Deutschland. Vergangene Woche besuchte Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) Peking. Und nach der Reise Gabriels stehen im Herbst die deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen auf dem Programm. Gabriel betont, in China müsse man ständig an die Tür klopfen, wenn man etwas erreichen wolle. „Hier höhlt nur steter Tropfen den Stein.“ Deshalb will er trotz der vielen Treffen in diesem Jahr nochmals gerne nach China reisen. Dann aber wohl nur in seiner Funktion als SPD-Chef – denn so lassen sich manche Gespräche informeller anbahnen.