OECD-Untersuchung belegt: In keinem anderen Staat ist die Belastung so hoch wie in Deutschland. Selbst in Skandinavien gibt es mehr vom Brutto

Berlin. Die Abgabenlast in Deutschland entwickelt sich im internationalen Vergleich gegen den Trend: In fast allen Staaten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), zu der 34 wichtige Industrieländer gehören, stieg die Abgabenlast im vergangenen Jahr um 0,2 Prozentpunkte auf eine Durchschnittsbelastung von 35,9 Prozent. Am stärksten stieg sie in Portugal, der Slowakei und den USA. „Damit setzt sich ein 2011 begonnener Trend fort“, erklärte die OECD. Bis 2010 hingegen war die Belastung in der Regel gesunken. Nur in elf Ländern sank die Belastung der Einkommen auch im vergangenen Jahr – darunter Deutschland. Verantwortlich für diese Entwicklung war vor allem der niedrigere Rentenbeitrag: Er sank Anfang vergangenen Jahres von 19,6 auf 18,9 Prozent. Die leichte Anhebung des Steuerfreibetrags wirkte sich dagegen offenbar kaum aus. Allerdings ändert diese positive Entwicklung nichts daran, dass Fiskus und Sozialversicherung hierzulande im internationalen Vergleich besonders kräftig zugreifen.

Für die einmal jährlich veröffentlichte Untersuchung „Taxing Wages“ berechnen die Wissenschaftler der OECD, wie stark die Einkommen von Arbeitnehmern mit Steuern und Sozialabgaben belastet werden. Dabei kommen die Ökonomen seit Jahren regelmäßig zu dem Ergebnis, dass in kaum einem Industrieland so viele Steuern und Sozialbeiträge gezahlt werden wie bei uns. Unter den OECD-Staaten sind nur noch in Belgien die Abgaben höher: Dort reduzieren Steuern und Abgaben das Einkommen des Durchschnittsverdieners um 55,8 Prozent. Hoch ist die Belastung auch in Österreich, Ungarn und Frankreich. Erstaunlicherweise bleibt den Arbeitnehmern in den skandinavischen Staaten weit mehr Netto vom Brutto als den Angestellten hierzulande – und das, obwohl die Sozialsysteme dieser Länder als vorbildlich gelten: In Dänemark beispielsweise gehen nur gut 38 Prozent des Einkommens an Fiskus und Sozialversicherung.

In Deutschland wurde ein Angestellter mit durchschnittlichem Gehalt, unverheiratet und ohne Kind im vergangenen Jahr im Schnitt mit 49,3 Prozent belastet. Im Jahr 2012 waren es noch 49,6 Prozent gewesen. Die Ökonomen betrachten für ihre Berechnung den Bruttolohn der Arbeitnehmer und zusätzlich die Beiträge der Arbeitgeber für die Sozialversicherung. Beim durchschnittlich verdienenden Single landen von diesen gesamten Arbeitskosten von 68.962 Euro also nur 34.963 Euro tatsächlich im Portemonnaie.

Am stärksten war der Rückgang bei Ehepaaren ohne Kinder, bei denen ein Teil durchschnittlich verdient und die Partnerin oder der Partner Geringverdiener ist. Bei dieser Konstellation sank die wegen des Ehegattensplittings ohnehin geringere Belastung noch einmal von 45,5 Prozent auf 45,1 Prozent. Für die hohe Belastung ist nicht die Einkommenssteuer verantwortlich, auch das zeigt die OECD-Studie deutlich. Deutschland ist im internationalen Vergleich kein Hochsteuerland. Allerdings sind die Sozialabgaben weit höher als in anderen wohlhabenden Volkswirtschaften.

Familien werden in Deutschland vom Staat zwar besonders stark entlastet, allerdings bevorzugt der Fiskus dabei immer noch das traditionelle Familienmodell, bei dem ein Elternteil arbeitet und der andere zu Hause bleibt. In allen Ländern der OECD ist die Abgabenlast für Familien mit Kindern geringer als für kinderlose Alleinstehende; Ausnahmen sind lediglich Mexiko und Chile. Hierzulande allerdings ist der Abstand zwischen beiden Gruppen am größten. Für eine Modellfamilie, bei der nur ein Elternteil arbeitet – in der Regel wohl der Mann – und dabei durchschnittlich verdient, ist die Belastung mit 33,8 Prozent sehr gering. Für eine Familie hingegen, in der der zweite Elternteil auch arbeitet, aber nur sehr wenig verdient, steigt die Belastung bereits auf 38,6 Prozent. Dies dürfte vor allem zutreffen, wenn der Zweitverdiener, in der Regel die Ehefrau, nur wenige Stunden in der Woche arbeitet. Arbeitet der Zweitverdiener allerdings mehr und rutscht sein Gehalt näher an das Gehalt des Hauptverdieners, steigt auch die Belastung der Familie auf 42,1 Prozent – erheblich mehr als bei der klassischen Traditionsfamilie, in der die Frau den Herd hütet.

Zur Ermittlung der Abgabenlast betrachten die Forscher die Arbeitskosten, die sich aus dem Bruttoeinkommen der Arbeitnehmer und den Sozialversicherungsbeiträgen der Arbeitgeber zusammensetzen. Transfers wie das Kindergeld werden ebenfalls berücksichtigt. Verantwortlich für die höhere Entlastung der Traditionsfamilie ist vor allem das Ehegattensplitting, dessen Effekt umso stärker ist, je weiter die Gehälter der beiden Ehepartner auseinanderliegen. Die Opposition fordert deshalb eine andere Familienpolitik: „Die Förderung der Familien sollte vom Trauschein entkoppelt und durch eine deutlich verbesserte direkte Förderung von Kindern ersetzt werden“, sagt Katja Dörner, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen. Besonders traurig sind die Ergebnisse des OECD-Vergleichs für Alleinerziehende. Zwar werden sie in Deutschland so stark entlastet wie keine andere Familienform: Für eine alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern und einem Einkommen unter dem Durchschnitt lag die Belastung im vergangenen Jahr nur bei 31 Prozent. Allerdings ist der Wert damit beinahe doppelt so hoch wie im Durchschnitt der OECD-Länder, wo er bei gut 17 Prozent liegt. Und eine ganze Reihe von Ländern unterstützt Alleinerziehende so umfangreich, dass die staatlichen Zuwendungen höher sind als alle Steuern und Sozialabgaben auf das Arbeitseinkommen.

Die Forscher haben auch untersucht, wie progressiv das Steuersystem in Deutschland ist, ob also mit steigendem Einkommen die prozentuale Steuer- und Abgabenlast steigt und Arbeitnehmer mit geringen Verdiensten weniger stark belastet werden. Dieses Muster finden die Ökonomen in allen Ländern der OECD – nur nicht in Deutschland, Österreich und Spanien. Hierzulande ist die Progressivität gedeckelt: Die Abgabenlast ist bei den Arbeitnehmern am höchsten, die das Anderthalbfache des Durchschnittseinkommens verdienen. Steigen die Einkommen darüber, geht die relative Belastung allerdings wieder zurück. Verantwortlich dafür sind die Bemessungsgrenzen, ab denen Sozialversicherungsbeiträge nicht weiter steigen. Dieses Muster hat sich laut den Befunden der Forscher in den vergangenen Jahren sogar noch verstärkt.

Zudem werden deutsche Arbeitnehmer künftig nicht mehr auf sinkenden Renten- oder Krankenkassenbeiträge hoffen können. Die Große Koalition sorgt mit ihrer Rentenreform und sonstigen Sozialpolitik dafür, dass die Überschüsse der Sozialversicherung abschmelzen und neue Milliardenausgaben auf die Kassen zukommen.