Bundeskanzlerin trifft in Athen Start-up-Unternehmer und einen Premier, der stolz ist, wieder Geld am Kapitalmarkt zu erhalten

Athen. Am Flughafen war Angela Merkel noch vom Ministerpräsidenten im grauen Zweireiher und einem Spalier von Soldaten mit aufgepflanzten Bajonetten begrüßt worden, doch kaum in Athen angekommen, verlor sich die Anmutung eines Staatsbesuches. Junge Griechen in Jacketts und Jeans, einige auch mit aufgekrempelten Hemdärmeln oder in Sommerkleidchen warteten auf die Kanzlerin. Merkel – die alle mit Handschlag begrüßen wollte – übersah einige, weil sie genauso aussahen wie die Kabelträger der Fernsehsender. Auch in Berliner Straßencafés oder einer italienischen Uni wäre dieser Trupp niemandem aufgefallen, aber in Griechenland sind sie nicht weniger als die Hoffnung ihres Vaterlandes.

„Das neue Griechenland“ nennt Antonis Samaras, ihr Ministerpräsident, sie gleich mehrmals: „Mit diesen jungen Menschen kann Griechenland ein Zentrum der Innovation werden.“ Die Zeit, in der sich sein Land „auf große Unternehmen oder den Staat stützte, ist vorbei“. Seine Regierung arbeite gezielt am Aufbau eines wirtschaftsfreundlichen Umfelds und neuer Technologien. „Die Griechen haben den unternehmerischen Geist. Wenn sie es wagen, kann es zum Ziel führen.“

Da gucken die jungen Leute fast ein bisschen betreten. Es sind junge Gründer von Firmen – auch in Griechenland sagt man längst „Start-up“. Ihre Geschäftsideen sind meist softwarebasiert und dienstleistungsorientiert. Georgios Gatos etwa bringt mit „Incrediblue“ Besitzer von Yachten und Segelbooten mit möglichen Kunden zusammen, Thomas Douzis vermarktet griechische Lebensmittel im Netz, und Anthia Klassopoulou vermittelt mit www.athensinsiders. com Touristen an Einheimische, die als authentische Stadtführer arbeiten. Alles schöne Ideen – aber genug, um eine Volkswirtschaft zurück auf die Beine zu bringen?

Denn um nicht weniger geht es ja bei diesem Nachmittag, den Merkel in Griechenland verbringt. Am Vortag hat die Regierung zum ersten Mal seit Mai 2010 wieder Geld auf den Finanzmärkten aufnehmen können. Drei Milliarden Euro für weniger als fünf Prozent Zinsen. Ökonomisch ergibt das nicht wirklich Sinn, weil Griechenland das Geld ja noch billiger aus dem europäischen Rettungsschirm haben könnte, aber politisch wird damit eine Botschaft gesendet: Wir sind wieder da!

Merkel macht sich mit ihrem Besuch diese Botschaft zu eigen. Auch wenn sie vor den jungen Unternehmern mit deutlich weniger Pathos spricht als ihr griechischer Gastgeber Samaras. „In diesem Land steckt einiges an Möglichkeiten“, sagte Merkel, „was noch gar nicht ganz erfasst ist.“ Für die Start-ups, so Merkel, sei „das Allerschwerste die Frage, wie komme ich an Geld, wie an Kapital, wie kann ich überhaupt wachsen.“ Sie kündigt deshalb die Gründung einer griechischen „Förderbank für kleine Unternehmen“ mit deutscher Hilfe an. Griechische Journalisten lästern anschließend, diese Bank sei schon bei den vergangenen drei Besuchen von deutschen Politikern versprochen worden. Tatsächlich gibt der Haushaltsausschuss des Bundestages nun aber 100 Millionen Euro frei.

Merkel baut auf ihren Reisen gerne Treffen mit begabten jungen Leuten ein und wirkt auch in Athen gut gelaunt. Bei ihrem letzten Besuch hier, im Oktober vor zwei Jahren, raste sie unter wolkenverhangenem Himmel über leere Autobahnen in eine Stadt, wo wütende Demonstranten auf Heerscharen von Polizisten trafen. Merkel hat Fragen, ob es ihr zugesetzt habe, in der Euro-Krise für die Verarmung ganzer Generationen verantwortlich gemacht zu werden, immer zurückgewiesen mit dem Verweis, sie sei eine Anhängerin der Meinungsfreiheit.

An diesem Tag ist Athen frühlingshaft hell, die Stadt ist wieder abgesperrt, gleicht aber diesmal keinem Heerlager. Demonstrationen haben, als Merkel eintrifft, noch nicht begonnen. Vielleicht möchte Merkel hier doch nicht nur den griechischen Aufschwung unterstützen, sondern auch mit neuen Bildern die alten überlagern: den wütenden Mob vergessen machen, der Merkel-Fotos mit Hitler-Bärtchen schwenkt. Fast ironisch sagt sie zu den jungen Unternehmern: „Ich weiß nicht, was man in Ihrem Bekanntenkreis denkt, wenn Sie sagen, dass sie sich mit einer deutschen Kanzlerin treffen. Ob sie sich da überhaupt noch sehen lassen können?“ Die Angesprochenen lachen nicht.

Politisch ist dies kein völlig ungefährlicher Besuch. Dem Gastgeber, Antonis Samaras, einem konservativen Premier, und noch mehr seinem leidensfähigen sozialdemokratischen Koalitionspartner stärkt Merkel vor Kommunal- und Europawahlen den Rücken gegen Links- und Rechtsradikale, die gegen die Reformen polemisieren. Aber auch in Deutschland wird bald gewählt: Mitten im Europawahlkampf bekennt sich Merkel mit dieser Reise nach Athen noch einmal deutlich dazu, Griechenland nicht aus dem Euro gestoßen zu haben. Das haben ihr die Euro-Kritiker nicht verziehen – weder die von der Alternative für Deutschland noch die aus der eigenen Unionsfamilie.

Der stellvertretende CSU-Vorsitzende Peter Gauweiler verschickt extra eine wütende Mitteilung an alle Journalisten, die er kennt. Die Rückkehr Griechenlands an den Kapitalmarkt, die Merkel hier feiert, nennt er „ein Alarmsignal: Die Marktteilnehmer haben schon wieder jedes Risikobewusstsein verloren.“ Griechenland werde „definitiv nicht in der Lage sein“, die Schulden zurückzuzahlen. „Bezahlen müssen diesen Wahnsinn die Steuerzahler der Geberländer“, schimpft Gauweiler. Nicht jeder glaubt eben an das neue Griechenland. Das neue ZDF-Politbarometer zum Beispiel ergab, dass nur 22 Prozent der Deutschen die Euro-Krise für überwunden ansehen. Eine Mehrheit von 51 Prozent ist jedoch der Meinung, dass von Griechenland keine große Gefahr für die Stabilität des Euro ausgeht. Deutliche Sorgen macht die Wirtschaftskrise in Griechenland 45 Prozent der Befragten.