Rainer Brüderle rechnet mit seinen Kritikern ab. Parteiführung wittert Störung des Neuaufbaus

Berlin. Politik in der außerparlamentarischen Opposition ist ein Kampf um Aufmerksamkeit. Ohne die große Bühne im Berliner Reichstag, ohne die personelle und finanzielle Schlagkraft einer Bundestagsfraktion ist es schwieriger für eine Partei, ihre Botschaften unters Volk zu bringen. Die FDP bekommt das seit ihrer historischen Niederlage bei der Bundestagswahl im September vorigen Jahres schmerzhaft zu spüren. Wenn es gut läuft, dann erhalten zwei Freidemokraten Einladungen in die Fernseh-Talkshows mit ihrem Millionenpublikum: Christian Lindner und Wolfgang Kubicki. Das Duo hat volle Terminkalender. Dem 62-jährigen Kubicki steht die Last der Tour durch sämtliche Winkel der Republik mittlerweile ins Gesicht geschrieben.

Eigentlich müsste es Lindner und Kubicki also freuen, wenn ein alter Weggefährte nun ankündigt: „Jetzt rede ich!“ Rainer Brüderle, als ehemaliger Wirtschaftsminister, Fraktionschef und Spitzenkandidat der FDP zweifellos bundesweit prominent, hat ein Buch geschrieben. Am Mittwoch wird es in Berlin vorgestellt, und zwar vom Fraktionschef der Linken, Gregor Gysi. Erstmals will sich Brüderle in dem Werk über die Sexismus-Vorwürfe einer jungen „Stern“-Journalistin äußern, über Altherrenwitze an der Hotelbar, Dirndl-Dekolletés und „Frauenrechtlerinnen wie Alice Schwarzer im Kampfmodus“, wie er dem „Handelsblatt“ in einem ersten Appetithappen mitteilte.

Der FDP sind damit Schlagzeilen sicher. Nur: Es werden Schlagzeilen sein, die Lindner und Kubicki nicht gebrauchen können. Denn Brüderle gehört zu jener Riege liberaler Politiker, die für den Niedergang verantwortlich sind. Oder, um es mit Kubicki zu sagen: die dazu beigetragen haben, dass die FDP als Marke „generell verschissen“ hat.

Die Liberalen wollen nicht mehr die Skandalnudel des Politbetriebs sein

Lindner drückt es etwas gewählter aus. „Die FDP hat über vier Jahre massiv an Vertrauen und Glaubwürdigkeit verloren.“ Das lasse sich nicht in wenigen Monaten reparieren, dafür brauche es Geduld. Die Liberalen wollen nicht mehr als Skandalnudel des Politbetriebs, sondern als Stimme „für eine starke Wirtschaft und solide Finanzen, in Verbindung mit Bürgerrechten und gesellschaftspolitischer Sensibilität“, wahrgenommen werden, so Lindner.

Wenn sich Brüderle nun mit einem persönlichen Rechtfertigungsfeldzug in Erinnerung bringt, wird das den Prozess des Neuaufbaus der FDP verzögern, glaubt man in der neuen Führung. Zumal nicht nur von ihm Unheil droht. Die Liberalen fürchten ganz generell eine mediale Auferstehung ihrer Veteranen, von Dirk Niebel über Guido Westerwelle bis zu Philipp Rösler. Aber Ungemach droht nicht nur aus der Reihe ehemaliger Kabinettsmitglieder. Auch durch die Kampagne zur Europawahl mäandern liberale Namen von gestern. Während Alexander Graf Lambsdorff, der Spitzenkandidat der FDP für Brüssel, bemüht ist, dem Wahlvolk seriös den Unterschied zwischen der Annexion der Krim und der dem nicht vergleichbaren Fall Kosovo zu erläutern, produzieren seine Kollegen die knackigeren Schlagzeilen. Alexander Alavaro zum Beispiel, der zwar nicht mehr aufgestellt wurde, aber mit einem Strafverfahren wegen fahrlässiger Tötung auffällt. Oder Silvana Koch-Mehrin, die auch nicht mehr kandidiert, aber bis in den Februar mit einem Gerichtsverfahren wegen ihres entzogenen Doktortitels für Gesprächsstoff sorgte.

Brüderle, Westerwelle, Koch-Mehrin: Das sind aber noch immer die Namen, mit denen die meisten Bürger die FDP identifizieren.