Einen Tag vor der Präsidentenwahl tötet ein Polizist die Journalistin in ihrem Auto

Kabul. Einen Tag vor der Präsidentenwahl in Afghanistan ist die deutsche AP-Fotografin Anja Niedringhaus am Freitag von einem Polizisten erschossen worden. Eine weitere AP-Journalistin aus Kanada wurde verletzt, wie ein Mitarbeiter berichtete, der Zeuge der Schießerei im Osten des Landes war. Auch Mediziner in der Stadt Chost bestätigten den Tod der 48-Jährigen, die mit ihren Fotos viele Preise gewonnen hatte.

Der Polizist habe das Feuer auf das Auto eröffnet, in dem die beiden gesessen hätten, sagte der Mitarbeiter. Niedringhaus sei sofort tot gewesen. Die verletzte Journalistin Kathy Gannon sei in medizinischer Behandlung. Ihr Zustand sei stabil. Beide Frauen hatten jahrelange Erfahrung in der Region und in anderen Konfliktgebieten.

Die beiden Journalistinnen reisten in einem Konvoi mit Wahl-Mitarbeitern, die Wahlzettel aus dem Zentrum von Chost in die Randgebiete liefern sollten. Der Konvoi wurde durch die afghanische Armee und Polizei geschützt. Die Frauen saßen in ihrem eigenen Auto, in dem auch ein Fahrer und der freie Mitarbeiter mitfuhren.

Sie hatten kurz vor dem Vorfall das schwer bewachte Gelände des Bezirks erreicht. Als sie darauf gewartet hätten, dass sich der Konvoi in Bewegung setzen würde, sei ein Kommandeur der Einheit mit dem Namen Nakibullah zum Auto gelaufen, habe gebrüllt „Allahu Akbar“ („Gott ist groß“) und das Feuer mit seiner Kalaschnikow auf die Frauen im Fond eröffnet. Er habe sich dann den anderen Polizisten ergeben und sei festgenommen worden. Die verletzte Gannon, 60, hatte über die Unruhen und Kriege in Afghanistan und Pakistan seit drei Jahrzehnten berichtet.

Die deutsche Botschaft in Kabul ist „mit Nachdruck um Aufklärung bemüht“

AP-Chefredakteurin Kathleen Carroll sagte: „Anja und Kathy verbrachten zusammen Jahre in Afghanistan und berichteten über den Konflikt und die Menschen dort. Anja war eine lebhafte, dynamische Journalistin, viel geliebt für ihre einfühlsamen Aufnahmen, ihr warmes Herz und ihre Lebensfreude. Wir sind untröstlich über den Verlust.“

Anja Niedringhaus suchte inmitten von Kämpfen und Schießereien die ruhigeren Bilder. „Ich bin ja nicht auf der Suche nach diesem Bängbäng, weil ich glaube, dass andere Fotos viel mehr zeigen können – wenn man zeigen kann, wie Zivilisten jahrelang in einem Krieg weiterleben können, wie die ihr tägliches Leben halt organisieren“, sagte sie 2011 im Deutschlandradio Kultur. Sie wusste um die Gefahren ihrer Arbeit.

Ihre Bilder vom Mauerfall in Berlin brachten ihr 1990 einen Posten bei der European Press Photo Agency (EPA) in Frankfurt ein, wie sie auf ihrer Webseite berichtete. In den folgenden Jahren berichtete sie für die EPA aus dem Jugoslawien-Konflikt. Seit 2002 fotografierte Niedringhaus für die US-Nachrichtenagentur AP, vor allem über Kriege und politische Auseinandersetzungen in Israel und Palästina, in Libyen, Afghanistan und Pakistan. Für ihre Berichte aus dem Häuserkampf im Irak wurde sie gemeinsam mit ihren AP-Kollegen 2005 mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet. „Kriegsfotografin“ wollte die vielfach Preisgekrönte aber nie sein. „Den Titel hasse ich“, kommentierte sie auf Twitter mit dem Hinweis „so true“ (so wahr) vor einigen Wochen ein Interview mit ihrem Kollegen Don McCullin. Vielmehr wollte sie die menschlichen Folgen der Kriege zeigen, nicht die Militärmaschinerie. Die erfahrene Reporterin hatte die Gefahren stets im Blick: „Natürlich habe ich Angst. Vielleicht weniger als derjenige/diejenige, die die Situation nicht kennt. Ich finde, Angst, eine gewisse Grundangst, ist lebenserhaltend.“ Sie wurde mehrfach in den Einsätzen selbst verletzt. Ihr Arbeitsgerät war dabei auch Schutz: „Ich bin froh, dass ich eine Kamera habe, die mir da einen gewissen Abstand vermitteln kann oder auch Sicherheit.“ Am Ende reichte dieser Schutz nicht mehr.

Auch die Bundesregierung hat sich eingeschaltet. Die deutsche Botschaft in Kabul sei „mit Nachdruck um Aufklärung bemüht“, sagte eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes am Freitag in Berlin. „Der Angriff zeigt, wie extrem gefährlich Afghanistan für Journalisten immer noch ist“, sagte Christian Mihr, Geschäftsführer der Organisation Reporter ohne Grenzen.

Trotz der angespannten Sicherheitslage vor den Präsidentenwahlen in Afghanistan am Sonnabend sieht der frühere Repräsentant von Caritas International, Patrick Kuebart, Grund zur Hoffnung für das Land: „Untersuchungen zeigen, dass sehr viele Afghanen die Wahlen für sehr wichtig halten und daran teilnehmen wollen. Die Mehrheit wünscht sich eine funktionierende Demokratie.“

Immer mehr junge Menschen identifizierten sich mit Afghanistan als Gesamtstaat; die ethnischen Grenzen in dem Vielvölkerstaat seien nicht mehr so starr gezogen, sagte Kuebart, der bis Mitte März als Landesrepräsentant für Caritas International vor Ort an Entwicklungshilfeprojekten gearbeitet hat und inzwischen für die Max-Planck-Stiftung für Internationalen Frieden und Rechtsstaatlichkeit tätig ist.

Allerdings sei die Gefahr groß, dass es bei der Wahl mancherorts zu Manipulationen komme. Zwar seien Tausende Wahlbeobachter unterwegs, doch wie bei der vorherigen Abstimmung sei davon auszugehen, dass besonders in unsicheren Provinzen Wahlfälschungen vorkämen. Zudem rechnet der Entwicklungsexperte mit weiteren Angriffen der Taliban, die alles daransetzten, den Ablauf der Wahl zu stören.

Die Wahlbeobachter müssen von Schwerbewaffneten beschützt werden

Die Wahl soll das Land auf die Zeit ohne den Schutz der internationalen Isaf-Truppen vorbereiten, die 2015 beginnt. „Warum das eine gute Wahl werden muss? Damit die Taliban nicht zurückkommen. So einfach ist das“, sagt der 18-jährige Rahmatullah Barakzai. „Und dafür brauchen wir eine gerechte Wahl. Damit ein Präsident an die Macht kommt, der hier Frieden und Wohlstand bringt.“ Rahmatullah weiß sehr gut, was die Herrschaft der Taliban bedeutet. Er kommt aus ihrer alten Hochburg Kandahar. Sein Vater setzte sich dort für die Menschenrechte ein, darum wurde seine Familie immer öfter angegriffen, zuletzt mit Raketen. Vor ein paar Jahren floh sie nach Kabul.

Damit so etwas nicht wieder Alltag in Afghanistan wird, geht Rahmatullah nicht nur wählen, sondern wird auch als Wahlbeobachter fungieren. Doch selbst das Haus in einem vergleichsweise ruhigen Wohnviertel, in dem er mit etwa 50 anderen Männern und Frauen ausgebildet wird, muss von schwer bewaffneten Wachen geschützt werden.

Die Taliban greifen in Kabul derzeit alle zwei Tage an, vorzugsweise Einrichtungen, die mit der angeblich unislamischen Wahl zu tun haben. Rahmatullah wird das nicht abhalten, am Sonnabend rauszugehen. Er will aufpassen. „Diesmal muss wirklich der Beste gewinnen. Der, den die Leute haben wollen.“

Wer gewinnt, ist nicht so entscheidend. Wichtiger ist, wie sicher und fair sie verläuft. 2014 könnte das Jahr werden, in dem Afghanistan der erste friedliche und demokratische Machtwechsel in seiner Geschichte gelingt.