50 Prozent der Bürger sind für strengere Kontrollen. Brüssel versucht nach zahlreichen Betrugsfällen das Vertrauen zurückzugewinnen

Brüssel. Wie „bio“ sind die Eier, das Brot oder die Milch wirklich? Diese Frage sollen EU-Bürger künftig eindeutiger beantworten können. Das möchte der europäische Agrarkommissar Dacian Ciolos mit einem Vorschlag zur Überarbeitung der EU-Öko-Verordnung erreichen, den er am Montag vor dem Agrarministerrat vorgestellt hat. Damit soll das Vertrauen in ökologisch produzierte Produkte gestärkt werden. „Der Bio-Sektor basiert auf dem Vertrauen der Konsumenten“, sagte Ciolos. „Wenn wir es nicht schaffen, den Erwartungen der Konsumenten gerecht zu werden, dann riskieren wir, ihr Vertrauen zu verlieren.“

Eine Umfrage der Kommission 2013 ergab, dass 74 Prozent der EU-Bürger sich eine Verschärfung der Richtlinien für Bio-Produkte wünschen. Der Vorschlag setzt unter anderem auf Kontrollen, die sich von der Produktion stärker auf die Weiterverarbeitung und den Vertrieb konzentrieren. Zudem sollen Ausnahmeregelungen auf ihre Notwendigkeit überprüft werden. Innerhalb der EU und für Importe aus Drittländern will man die Öko-Richtlinien vereinheitlichen. Der Vorschlag enthält einen Aktionsplan, der das Wachstum des Bio-Marktes vorantreiben soll.

Der deutsche Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) äußerte die Sorge, dass die überarbeitete Version mehr Aufwand für die Bauern mit sich bringen könnte. „Ich will, dass wir den Ökobauern nicht durch eine überbordende bürokratische Regelung die Lust an der Ökoproduktion vergällen“, sagte er in Brüssel.

Für die Bio-Bauern wird entscheidend sein, wie stark die bisherigen Ausnahmeregeln eingeschränkt werden. Immer noch wird von vielen Bio-Landwirten zur Abdeckung der großen Nachfrage auch konventionelles Saatgut oder Futtermittel eingesetzt. „Wir müssen kontrollieren, welche Ausnahmen wirklich nötig sind“, sagte Ciolos. EU-weit ist die biologisch bewirtschaftete Fläche von 5,6 Millionen Hektar 2002 auf 9,6 Millionen Hektar 2011 gewachsen. Der Umsatz mit Bio-Lebensmitteln in Deutschland hat sich von 3,2 Milliarden Euro 2003 auf über sieben Milliarden 2013 mehr als verdoppelt.

Angesichts des Fortschritts und des Wachstums des Bio-Marktes hält der Bund der Ökologischen Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) eine Überarbeitung der Verordnung grundsätzlich für wichtig. Für den Spitzenverband landwirtschaftlicher Erzeuger, Verarbeiter und Händler ökologischer Lebensmittel in Deutschland ist bei all den Änderungen vor allem ein Faktor wichtig: „Das Tempo der Weiterentwicklung der Verordnung muss mit dem Tempo übereinstimmen, in dem sich die Wirklichkeit entwickelt. Wenn das nicht der Fall ist, dann bringt der gesetzliche Rahmen diese Entwicklung zum Stillstand“, sagt Felix Prinz zu Löwenstein, Vorstandvorsitzender des BÖLW.

Die Geschwindigkeit der Änderungen ist für die Landwirte besonders bei der Begrenzung von Ausnahmeregelungen entscheidend. EU-Kommissar Ciolos beklagt die gestiegene Zahl dieser Abweichungen: „In einigen Bereichen haben wir mittlerweile mehr Abweichungen als Grundregeln.“ Das bedeute nicht, dass alle Ausnahmen verboten werden sollten. Beim Saatgut oder dem Tierfutter werde es weiter Ausnahmen geben, stellte er klar. Grundsätzlich habe niemand etwas gegen mehr Klarheit in diesem Bereich einzuwenden, sagt der BÖLW-Vorstandsvorsitzende zu Löwenstein. „Aber jetzt muss man genau schauen, was der Vorschlag regelt.“

Denn Zugeständnisse beispielsweise im Bereich des Saatguts oder Tierfutters sind auch ihm wichtig. Der Landwirt hält es allerdings für möglich, den Anteil an Zukäufen aus konventioneller Herstellung nach und nach zu senken, wenn es ausreichende biologisch produzierte Alternativen gibt. Einige Ausnahmeregelungen, etwa für Bauern, die aufgrund der Lage ihres Hofs nicht alle Regelungen zum Auslauf der Tiere befolgen könnten, müssten aber dauerhaft bestehen bleiben.

50 Prozent der befragten EU-Bürger waren neben einer Verschärfung der Regeln strengere Kontrollen der Einhaltung von Bio-Richtlinien wichtig. Eine Tendenz, die den vielen Betrugsfällen geschuldet sein dürfte. Ende 2011 war in Italien eine Bande aufgeflogen, die 700.000 Tonnen angeblicher Bio-Produkte in europäische Länder verkauft hatte. Aktuell steht in Deutschland die Erzeugergemeinschaft Fürstenhof GmbH in Mecklenburg-Vorpommern unter Verdacht, Eier von Hühnern fälschlicherweise als „bio“ deklariert zu haben. Die Gemeinschaft aus 14 Agrarbetrieben hat den Vorwurf zurückgewiesen. Die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen eingestellt.

Aus solchen Fällen werden jetzt Konsequenzen gezogen. „Die Schlussfolgerung ist, dass wir die Kontrollen auf die gesamte Handelskette und nicht nur auf die Produktion fokussieren sollten“, sagte EU-Kommissar Ciolos. Betrug sei häufig in der Verarbeitung und im Vertrieb vorgekommen. Das bedeute keine Zunahme der Kontrollen, sondern eine bessere Analyse der Risikobereiche und eine gezieltere Überprüfung. Die steigende Betrugsgefahr führt er auf die große Nachfrage im Bio-Sektor zurück, die immer mehr Menschen anziehe, die sich eher für die wirtschaftlichen Aspekte als für die Prinzipien des Bio-Anbaus interessieren würden. Bei Landwirten, die aus Überzeugung biologisch produzieren, müsse man sich keine Sorgen machen.

Der Kommissionsvorschlag sieht vor, die Regelungen für Bio-Lebensmittel innerhalb der EU und mit Drittstaaten besser in Einklang zu bringen, indem man Ausnahmen in Produktion und Kontrolle aufhebt. Ein Bereich, den auch die Bio-Landwirte vereinheitlicht wissen wollen. Die Weiterentwicklung der Kontrollen befürwortet BÖLW-Chef zu Löwenstein ebenfalls. Allerdings: „Wenn man die Kontrollen bis zum Einzelhändler ausdehnt, gewinnt man keine Sicherheit, aber man schafft Bürokratie und Kosten, die ein Bio-Produkt unsinnig teurer machen.“