Protestanten kämpfen mit zunehmendem Bedeutungsverlust. Selbst unter den Mitgliedern wächst die Zahl derer, die ihr fernstehen

Berlin. Von Generation zu Generation verliert die evangelische Kirche an Bedeutung – selbst bei den eigenen Mitgliedern. Wie aus einer am Donnerstag in Berlin vorgestellten Untersuchung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hervorgeht, sinkt nicht nur die Zahl der Kirchenmitglieder kontinuierlich. Es wächst auch die Gruppe derjenigen Menschen, die zwar der Kirche angehören, sich ihr aber kaum oder gar nicht verbunden fühlen.

Nach den Ergebnissen der 5. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung fühlen sich 32 Prozent der Protestanten in Deutschland der Kirche allenfalls sehr schwach verbunden. 15 Prozent gaben an, der evangelischen Kirche sehr verbunden zu sein. Bei der Mitgliedschaftsuntersuchung von 1992 hatten sich lediglich 27 Prozent als kaum oder gar nicht verbunden eingeschätzt. Allerdings war damals auch der Anteil der sehr Verbundenen noch geringer und lag bei elf Prozent. Es wüchsen die Extreme, das Mittelfeld der immerhin noch schwach Verbundenen dünne aus, sagte der Religionssoziologe Detlef Pollack.

Der EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider äußerte sich bei der Vorstellung der Ergebnisse besorgt: „Wir müssen ganz nüchtern konstatieren, dass es eine zunehmende Indifferenz bei Kirchenmitgliedern gibt.“ Das müsse Anlass sein, sich ernsthaft mit der Situation auseinanderzusetzen.

Der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung sagte, Mitglied einer Kirche zu sein werde zunehmend zur Frage „eines klaren Ja oder Nein“. Die Kirche müsse versuchen, diese Polarisierung zu verstehen. Die zunehmende Zahl der Kirchenfernen sei nicht von kontroverser Auseinandersetzung und Abgrenzung geprägt, „sondern von nahezu vollständiger Gleichgültigkeit“, sagte Jung.

Gleichzeitig betonten die Geistlichen das Wachsen an der anderen Seite der Skala, auf der sich immer mehr hochverbundene Mitglieder finden. „Drei von vier Mitgliedern denken nicht daran, unsere Kirche zu verlassen“, unterstrich Schneider.

Einen Kirchenaustritt lehnen nach der aktuellen Studie inzwischen 73 Prozent der Protestanten ab, 1992 waren es nur 55 Prozent. Pollack wies allerdings auch hierbei auf das Wachsen des anderen Extrems hin: Während vor zehn bis 20 Jahren nur eine kleine Gruppe von zwei bis vier Prozent angegeben habe, bald aus der Kirche austreten zu wollen, „sind wir jetzt bei acht Prozent“, sagte Pollack, der zum Beirat der Untersuchung gehört.

Als Grund für das Wachsen der Gruppe der kirchenfernen Mitglieder nennt die Studie, dass eine religiöse Erziehung auch in protestantischen Familien nicht mehr die Regel ist. Von den Evangelischen ab 60 Jahren wurden nach eigenen Angaben etwa 83 Prozent religiös erzogen.

Von den Kirchenmitgliedern unter 30 Jahren sagen das nur noch 55 Prozent. „Religiöse Sozialisation erfolgt in der Familie. Doch die Weitergabe des Glaubens von Generation zu Generation ist keine Selbstverständlichkeit mehr“, sagte Gerhard Wegner, Direktor des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD.

Zwar gibt es etwa ein wachsendes Interesse bei Eltern, für ihre Kinder einen Platz an einer evangelischen Schule zu finden. Doch für diese Wahl könnten ganz pragmatische Gründe wie eine bessere Qualität der konfessionellen Schule den Ausschlag geben.

Zu dieser generativen Traditionserosion kommt hinzu, dass Konfessionslosigkeit, vor zwei Jahrzehnten überwiegend in Ostdeutschland anzutreffen, auch im Westen mittlerweile als Normalfall gesehen wird. Der Kirche den Rücken zu kehren – aus Ärger über politische Leitartikel von der Kanzel, Verdruss über ethische Vorgaben, aus finanziellen Motiven oder Gleichgültigkeit gegenüber Sinnfragen – gilt nicht mehr als sozial anstößig.

Der bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm sagte, man müsse mehr deutlich machen, welchen „hochrelevanten Fundus an Sozialkapital“ die evangelische Kirche berge. Dabei verwies er auf ein Ergebnis der Umfrage, wonach sich Kirchenmitglieder leicht häufiger auch in nicht kirchlichen Ehrenämtern engagieren. Dieser Aspekt sei auch wichtig für die vielen Diskussionen, in denen staatliche Unterstützung für die Kirchen infrage gestellt werde, sagte Bedford-Strohm.

Bestärkt durch die Untersuchung sehen sich die evangelischen Medienhäuser. Laut den Ergebnissen sei die wöchentliche Kirchenzeitung nach der Tageszeitung und dem Gemeindebrief die drittwichtigste Informationsquelle über die evangelische Kirche, betonte Christof Vetter, Vorsitzender des Evangelischen Medienverbands in Deutschland (EMVD).

Für die Untersuchung hat das Emnid-Institut Ende 2012 insgesamt 2016 Protestanten und 1011 Konfessionslose befragt. Die evangelische Kirche legt seit 1972 im Abstand von zehn Jahren Mitgliederstudien vor. Ende 2012 gehörten 23,4 Millionen Menschen den evangelischen Landeskirchen an. 24,3 Millionen Einwohner waren Katholiken. Fünf Jahre zuvor waren noch 24,8 Millionen Mitglied der evangelischen, 25,5 Millionen der römisch-katholischen Kirche.