Dem BKA lag zwei Jahre lang der Name des SPD-Abgeordneten vor – doch niemand will das bemerkt haben

Berlin. Es ist ein sehr ungewöhnlicher Name. Nur ein paar wenige Male überhaupt taucht er im Telefonbuch auf: Edathy. Wer ihn hört, vergisst ihn nicht so schnell. Vor allem nicht, seitdem sich vor ein paar Jahren ein junger SPD-Politiker aus Niedersachsen mit eben jenem Namen auf den Weg gemacht hatte, um im politischen Berlin eine beachtliche Karriere hinzulegen. Spätestens seit dem Jahr 2005, als Sebastian Edathy den Vorsitz des Innenausschusses des Bundestag übernahm, ist er bundesweit bekannt – vor allem in den Sicherheitsbehörden. Kaum ein Politiker analysierte derart messerscharf Ungereimtheiten bei Polizei oder Verfassungsschutz wie Edathy, zuletzt als Vorsitzender des Untersuchungsausschusses zum Behördenversagen bei der Suche nach den Rechtsterroristen des NSU. Dieser Job brachte Edathy in die Hauptnachrichten des Fernsehens, er saß sogar in Talkshows.

Und trotzdem will ausgerechnet das Bundeskriminalamt (BKA) über Jahre nicht bemerkt haben, dass auf einer innerhalb der Behörde kursierenden Liste von 800 Kunden eines kanadischen Kinderporno-Händlers auch der Name Edathy steht. „Es ist absolut nicht plausibel, dass die Informationen über Edathy im BKA zwei Jahre lang nicht ausgewertet wurden“, sagte der Linke-Vorsitzende Bernd Riexinger der „Bild“-Zeitung. „Viel wahrscheinlicher ist, dass die Spitze der Behörde über das belastende Material Bescheid wusste, als sie vom NSU-Ausschuss befragt wurde. Da tun sich Abgründe des kalkulierten Staatsversagens auf.“ FDP-Vize Wolfgang Kubicki hält die Darstellung des BKA für unwahrscheinlich: „Entweder da waren Trottel am Werk oder man wollte einen Skandal vermeiden.“ Letzteres dementiert die Behörde scharf.

Es war BKA-Chef Jörg Ziercke persönlich, der die Bombe vor ein paar Tagen in einer Sondersitzung des Innenausschusses des Bundestages platzen ließ. Laut dem vertraulichen Protokoll der Innenausschusssitzung („Nur zur dienstlichen Verwendung“) vom Mittwoch vergangener Woche erklärte Ziercke, dass dem BKA Ende bereits im Oktober 2011 eine Festplatte mit 450 Gigabyte Beweismaterial zu rund 800 deutschen Kunden jener kanadischen Firma übergeben wurden. „Diese Kundendaten enthielten Vor- und Zunamen“, sagte Ziercke. Weitere Merkmale in diesem Datensatz waren Rechnungsanschriften, Bestellanschriften, Kreditkartennummern, E-Mail-Adressen und selbst Wohnanschriften. Lediglich die Geburtsdaten fehlten. Damit ist belegt: Von diesem Moment an lag der Name von Sebastian Edathy den Ermittlern beim BKA vor. Doch warum dauerte es dann zwei Jahre, bis sich diese Information ihren Weg bahnte und bei der Staatsanwaltschaft landete?

Dafür gibt es verschiedene Mutmaßungen: Demnach habe des BKA lange Zeit niemanden auf den brisanten Fund aufmerksam gemacht, um den brisanten Vorwurf nicht in einen Zusammenhang mit Edathys Rolle als NSU-Chefaufklärer zu bringen. Zur Erinnerung: Der SPD-Politiker hatte sich mit Ziercke bei dessen Befragung im Untersuchungsausschuss heftig angelegt. Das war im Sommer 2012. Da lag die Liste aus Kanada bereits beim BKA. Eine zeitnahe Veröffentlichung der Vorwürfe gegen Edathy hätte wie eine Revanche wirken können. Und noch eine andere Theorie frisst sich durch Berlin: Vielleicht bunkerte das BKA das Wissen, falls es im Zuge der NSU-Ermittlungen doch einmal heikel für die Behörde werden könnte.

BKA-Chef Ziercke hält von alldem nichts. Er hat eine andere, sehr viel einfachere Erklärung: Keinem seiner Mitarbeiter sei aufgefallen, dass in der Liste mit Verdächtigen ein Bundestagsabgeordneter namens Sebastian Edathy gestanden habe. Dies sei erst am 15. Oktober 2013 der Polizeiinspektion Nienburg aufgefallen. Dort, in der Provinz, merkten die Beamten innerhalb von Minuten, was beim BKA zwei Jahre lang nicht aufgefallen sein soll. Der BKA-Chef findet das alles überhaupt nicht verdächtig. Eine Panne in seiner Behörde sieht er auch nicht. Aus dem Ablauf folgerte Ziercke vor den Bundestagsabgeordneten vielmehr: „Daraus kann man schließen, dass wir alle Fälle gleich behandeln. Einen Promibonus gibt es nicht.“ Im BKA habe niemand nach der Devise gehandelt: „Ist da jemand, der besonders bekannt ist, sondern hier ist jeder gleich behandelt worden.“

Edathy selbst geht in der Affäre in die Offensive. Er forderte über seinen Anwalt Christian Noll die niedersächsische Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz (Grüne) auf, die gegen ihn ermittelnden Staatsanwälte von dem Verfahren gegen ihn zu entbinden. Er stellte zudem erneut Strafanzeige gegen die Ermittlungsbehörden. „Die Ermittlungsbehörden haben bei ihrem Umgang mit Sebastian Edathy jedes Maß verloren“, so Noll. Konkret nannte er die Missachtung der Unschuldsvermutung sowie die Nennung von Details aus der Privatsphäre seines Mandanten.

Das SPD-Präsidium beschloss auf einer Schaltkonferenz unterdessen einmütig die Begründung zur der bereits vor einer Woche angeordneten Aussetzung der Mitgliedsrechte Edathys, wie Generalsekretärin Yasmin Fahimi mitteilte. Sie wies darauf hin, damit sei zugleich ein Parteiordnungsverfahren eingeleitet worden, das zum Ausschluss Edathys aus der SPD führen könnte.