Strafrechtler Christoph Degenhardt teilt die Kritik der Staatsanwaltschaft Hannover am Vorgehen des Ex-Innenministers Hans-Peter Friedrich. Dieser hatte SPD-Chef Sigmar Gabriel über Ermittlungen gegen Sebastian Edathy informiert.

Berlin. Nach dem Eingeständnis führender Sozialdemokraten, bereits im Oktober 2013 vom damaligen Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) über Verdachtsmomente gegen Sebastian Edathy (SPD) informiert worden zu sein, weitet sich der Fall zu einer Ermittlungsaffäre aus. Dabei gerät der jetzige Landwirtschaftsminister Friedrich zunehmend in die Kritik.

Die SPD bestätigte am Donnerstag, dass bereits im November 2013 in der SPD-Fraktionsspitze Edathys Karriereende beschlossene Sache war. Edathy hatte als Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses parteiübergreifend Anerkennung und Respekt geerntet und war überraschend in der neuen Legislaturperiode für keinerlei weiterführende Funktion genannt worden. Bislang hatten führende Sozialdemokraten sich im Fall Edathy ausschließlich auf Presseveröffentlichungen bezogen. Der 44-jährige Bundestagsabgeordnete Edathy hatte in der vergangenen Woche überraschend sein Mandat zurückgegeben und den Schritt mit seinem Gesundheitszustand begründet. Am Montag wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft Hannover Edathys Wohn- und Geschäftsräume hatte durchsuchen lassen. Nach Informationen dieser Zeitung waren Hinweise des BKA auf den Besitz und die Weitergabe von Kinderpornografie dafür der Auslöser.

Ex-Innenminister Hans-Peter Friedrich bestätigte am Donnerstag, Informationen über die Ermittlungen gegen Edathy an die SPD weitergegeben zu haben. Friedrich sei vom Bundeskriminalamt (BKA) über polizeiliche Untersuchungen im Ausland unterrichtet worden, in denen der Name Edathy auftauche, sagte Friedrichs Sprecher Jens Teschke. Friedrich habe daraufhin nachgefragt, ob es sich um strafrechtliche Vorwürfe handele. Es sei ihm zugesichert worden, dass das nicht der Fall sei. Friedrich habe sich wegen der politischen Dimension des Falles entschlossen, in einem vertraulichen Gespräch den SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel zu informieren.

Laut „Bild“-Zeitung soll Friedrich den Vorgang am Rande der Koalitionsverhandlungen von Union und SPD mit Gabriel angesprochen haben. Zugleich berichtete das Blatt, Ermittler hegten den Verdacht, dass Edathy einen Tipp erhalten und somit früh über die Ermittlungen gegen ihn Bescheid gewusst habe. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) war nach Angaben der Bundesregierung nicht frühzeitig in Informationen zum Fall des SPD-Innenpolitikers eingeweiht. Die Kanzlerin habe am Dienstag durch Berichterstattung der Medien von Ermittlungen erfahren, ließ sie am Donnerstag erklären.

Widersprüche bei Informationsabläufen

Allerdings ergeben sich erhebliche Widersprüche, was die Informationsabläufe angeht. So weist der Präsident des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke, die Darstellung von SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann zurück. Oppermann habe ihn im Oktober 2013 angerufen und über den Inhalt eines Gesprächs berichtet, das SPD-Chef Gabriel mit ihm geführt habe, teilte Ziercke am Donnerstag mit. Darin sei es um Ermittlungen im Ausland gegangen, in deren Rahmen der Name Edathy aufgetaucht sei. „Diese Darstellung habe ich mir angehört, aber Herrn Oppermann diese weder bestätigt noch Informationen zum Sachverhalt mitgeteilt.“ Oppermann bleibt aber bei seiner Darstellung, dass ihm der BKA-Präsident Verdachtsmomente gegen Edathy bestätigt habe. Oppermann: „Ich habe mir diese Informationen im Oktober 2013 in einem Telefonat von BKA-Präsident Jörg Ziercke bestätigen lassen.“

Neben den Widersprüchen in den Darstellungen der beteiligten Politiker und Strafverfolger werfen die Vorgänge auch juristische Fragen auf. Ein führender Staatsrechtler sieht keine Rechtfertigung dafür, dass Gabriel von Friedrich über Ermittlungen gegen Edathy informiert wurde. „Meines Erachtens hätte der Bundesinnenminister die Informationen nicht weitergeben dürfen“, sagte Christoph Degenhart, Staatsrechtler an der Uni Leipzig. „Ich teile deshalb die Kritik der Staatsanwaltschaft Hannover. Es muss im Ermessen der Strafverfolgungsbehörden liegen, wann sie ihre Ermittlungen bekannt geben wollen. Die Informationen hätten im Innenministerium bleiben müssen“, so Degenhart. Er betonte, Kinderpornografie sei ein „ziemlich massiver Vorwurf. Ich halte das Vorgehen im Fall Edathy, auf so dünner Verdachtsgrundlage eine Politikerkarriere zu zerstören, für problematisch.“

Wurden Ermittlungen gefährdet?

Tatsächlich schließt die Staatsanwaltschaft Hannover nicht aus, dass durch die frühzeitige Weitergabe von Informationen die Ermittlungen gefährdet wurden. Die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Kathrin Söfker, sagte: „Wenn Informationen über mögliche strafrechtliche Ermittlungen durchgestochen werden, ist das stets ein Vorgang, der Ermittlungen einer Staatsanwaltschaft erheblich gefährden kann.“

Auch nach Meinung der Opposition werfen die politischen Vorgänge um die Ermittlungen gegen Edathy viele Fragen auf: Michael Kellner, Politischer Bundesgeschäftsführer von Bündnis90/die Grünen sagte: „Das ist alles sehr merkwürdig. Weshalb hat die SPD-Spitze nicht bereits Anfang der Woche darüber informiert, dass sie Kenntnis von beabsichtigten Ermittlungen hatte?“ Der Vize-FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicke erklärte: „Vor diesem Hintergrund stellen sich aus unserer Sicht folgende Fragen: Ist das Bundestagspräsidium darüber unterrichtet worden, dass es gegen einen Bundestagsabgeordneten Ermittlungen gibt? Auf welcher Rechtsgrundlage hat der damalige Innenminister Hans-Peter Friedrich SPD-Chef Sigmar Gabriel über mögliche Ermittlungen gegen einen Bundestagsabgeordneten unterrichtet?“ Aus den Ermittlungen gegen Sebastian Edathy scheinen mehr und mehr Ermittlungen über den Umgang mit dem Fall seitens des Innenministers und der SPD-Spitze zu werden.