David McAllister stürzt sich wieder ins politische Geschäft. Im Interview spricht der CDU-Spitzenkandidat für die Europawahl über Siege, Niederlagen und seine Europa-Visionen.

Hannover. Gut ein Jahr nach einer nahezu traumatischen Wahlniederlage, die den damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten David McAllister für einen Moment komplett aus der Bahn geworfen hatte, stürzt sich der 43-jährige Deutsch-Schotte erneut ins politische Gefecht. An diesem Freitag hat ihn der CDU-Vorstand zum bundesweiten Spitzenkandidaten für die Europawahl nominiert.

Hamburger Abendblatt: Vor einem Jahr ging es Ihnen ziemlich schlecht, oder?

David McAllister:

Der äußerst knappe Wahlausgang war für uns alle nicht einfach. Letztlich haben 334 Erststimmen in einem Wahlkreis zum entscheidenden 55. Direktmandat für die CDU gefehlt. Aber das ist Vergangenheit. Der Blick ist klar nach vorne gerichtet.

Was war das Schlimmste damals?

McAllister: Es war sehr schade, dass die bemerkenswerte Aufholjagd von CDU und FDP am Ende auf den letzten Metern nicht gereicht hat.

Sie sind danach ein paar Tage herumgelaufen wie Falschgeld. Wer hat Ihnen bei der Aufarbeitung der Niederlage geholfen?

McAllister: Die Familie, Freunde, politische Weggefährten. Auch der große Zuspruch von Menschen aus dem ganzen Land, den ich bekommen habe.

Und wer hat nachgetreten?

McAllister: Es gab kein Nachtreten. Im Gegenteil: In der niedersächsischen CDU haben wir zusammengehalten und die Oppositionsrolle kraftvoll angenommen.

Haben Sie überlegt, ganz mit der Politik aufzuhören?

McAllister: Ja. Auch so eine Option habe ich geprüft. Aber mir war bald klar: Ich möchte weiter anpacken und gestalten.

Wer oder was hat Sie vom Gegenteil überzeugt?

McAllister:

Viele Freunde und Kollegen haben mich davon überzeugt, dass ich leidenschaftlich gerne Politik gemacht habe und weiter aktiv einen Beitrag leisten möge.

Hat die Bahn Ihnen auch ein Angebot gemacht?

McAllister:

Nein.

Mercedes vielleicht? Oder VW?

McAllister:

Nein. Wir können das abkürzen. Ich habe mich sehr bewusst für eine Kandidatur für das Europäische Parlament entschieden. Europa ist so wichtig für die Menschen in Deutschland. Hier möchte ich etwas bewegen.

Sollte es so etwas wie eine Quarantäne-Frist für wechselwillige Politiker geben?

McAllister:

Es sollte allgemein in Deutschland mehr Durchlässigkeit zwischen Wirtschaft und Politik geben. Wir brauchen viel mehr Austausch. In der einen wie in der anderen Richtung. Dazu gibt es Regeln.

Welche Rolle hat die Bundeskanzlerin für Ihre Entscheidung, in der Politik zu bleiben, gespielt?

McAllister:

Angela Merkel hat mir nach der Niedersachsen-Wahl eindrucksvoll zur Seite gestanden. Dafür bin ich sehr dankbar.

Es gibt nicht so viele ehemalige Ministerpräsidenten oder Spitzenkandidaten in der CDU, die das von sich sagen können.

McAllister:

Das sehe ich nicht so: In der Politik ist es am Ende wie im Sport. Man verliert zusammen, und man gewinnt zusammen. Die Entscheidung, wie es persönlich weitergeht, trifft am Ende jeder für sich.

Wer ist auf die Idee mit der Kandidatur für das Europa-Parlament gekommen?

McAllister:

Die Idee hat sich entwickelt, als Hans-Gert Pöttering, Niedersachsens Nummer Eins bei den vergangenen Europawahlen und Spitzenkandidat der CDU, erklärt hat, dass er in diesem Jahr nicht mehr antreten wird.

Sie waren doch eigentlich ein überzeugter Provinzpolitiker.

McAllister:

Was meinen Sie mit dem Begriff „Provinzpolitik“? Landespolitik ist die Kernaufgabe eines Ministerpräsidenten, der ich auch immer mit Engagement und Freude nachgegangen bin. Aber Landespolitik und Europa schließen sich nicht aus, im Gegenteil: Sie ergänzen sich doch viel mehr! Es geht doch gerade darum, Europa so zu gestalten, dass es einen Nutzen für die Menschen in unserem Land bringt. Und wer die Verhältnisse vor Ort nicht kennt, der kann sich auch nicht in Brüssel sinnvoll einbringen.

Berlin war Ihnen damals eher suspekt.

McAllister:

Nein. Wenn es darum ging, niedersächsische Interessen in Berlin zu vertreten, war ich stets präsent und hellwach.

Und Brüssel? Das ist doch eine Schlangengrube.

McAllister:

Das finde ich nicht. Meine Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Parlament, Kommission und Rat waren und sind gut.

Jedenfalls werden Sie viel reisen müssen. Ihr Heimatort Bad Bederkesa liegt weit ab von Brüssel und Straßburg. Dazu kommt, dass Sie als künftiges Mitglied des CDU-Präsidiums auch wieder häufig nach Berlin müssen. Wo bleibt da eigentlich Ihre Work-Life-Balance?

McAllister:

In den vergangenen Monaten hatte ich mehr Zeit für Familie und Freunde. Die wird mir schon fehlen, das stimmt. Aber es gibt Berufe, die den Menschen viel mehr abverlangen. Politik ist zwar zeitaufwendig, aber bestimmt kein Grund, sich zu beklagen. Niemand wird dazu gezwungen. Ein öffentliches Amt oder Mandat wahrzunehmen ist eine Ehre.

Im Moment wirkt sogar Angela Merkel so, als ginge ihr allmählich die Luft aus.

McAllister:

Ich habe ihre Regierungserklärung im Bundestag verfolgt. Da hat die Bundeskanzlerin den Kurs sehr deutlich abgesteckt. Die Bundeskanzlerin gibt klar die generelle Linie vor. Richtig so.

Sie finden den Start der Großen Koalition gelungen?

McAllister:

Die neue Bundesregierung hat ihre ersten Beschlüsse gefasst. Der neue Bundestag hat die parlamentarische Arbeit aufgenommen. Nun warten wir doch erst einmal ab.

Ihre zentrale Botschaft?

McAllister:

Für ein starkes Deutschland in einem stabilen Europa. Deshalb CDU.

Und damit wollen Sie Wähler gewinnen?

McAllister:

Ja. Denn genau darauf kommt es jetzt an. Deutschland wird es auf Dauer nur gutgehen, wenn es Europa gut geht. Friede, Freiheit, wirtschaftliche Stabilität gehen nur gemeinsam. Wenn Sie sich umsehen an den Grenzen Europas, dann ist die EU ein Hort der Stabilität.

Das ist der Blick von außen. Von innen sehen viele Menschen die EU deutlich skeptischer.

McAllister:

Die Krise hat nicht nur eine ökonomische Dimension. Sie ist, wie der Bundespräsident es formuliert hat, auch eine Krise des Vertrauens. Es gibt also deutlichen Erklärungsbedarf bei den Menschen. Das sollten wir sehr ernst nehmen. Die EU ist unsere einzige Chance, die globalen Herausforderungen, vor denen wir stehen, zu bewältigen, und zwar gemeinsam, nicht jeder für sich. Das gilt für Wirtschaftswachstum und die Sicherung unseres Wohlstands. Das gilt aber auch für die Außen- und Sicherheitspolitik, für die Abwehr des internationalen Terrorismus oder für die Bewältigung von Flüchtlingsströmen. Die europäische Einigung zu gestalten ist sowohl eine Frage der Vernunft als auch eine Herzenssache. Unser Leitbild ist dabei ein bürgernahes Europa.

Sehen Sie als Hauptgegner eher die SPD oder die AfD, also die Alternative für Deutschland?

McAllister:

Wir Christliche Demokraten werben für unser Programm und für unsere Kandidaten. Wir kämpfen dafür, dass die Europäische Volkspartei, also unserer Parteienfamilie, im nächsten Europäischen Parlament die stärkste Fraktion bleibt.

Zur SPD müssen Sie in den kommenden Monaten jedenfalls ganz lieb sein, oder?

McAllister:

Im Berliner Koalitionsvertrag steht, dass CDU, CSU und SPD bei der Europawahl in einen fairen Wettbewerb gegeneinander antreten. Wir wollen also in der Sache engagiert und im Umgang fair die Argumente austauschen.

Und das heißt?

McAllister:

Die CDU steht auch in Zukunft dafür, dass der Euro stabil bleibt und Europa gestärkt aus der Krise kommt. Solidarität und Solidität gehören zusammen. Deshalb sind wir gegen die systematische Vergemeinschaftlichung von Schulden. Eurobonds oder Schuldentilgungsfonds wird es mit uns nicht geben. Da stehen wir an der Seite einer großen Mehrheit der Deutschen.

Welche Rolle werden die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei spielen?

McAllister:

Gerade angesichts der noch nicht überwundenen Wirtschafts- und Finanzkrise muss in den nächsten Jahren die Festigung der EU Vorrang vor weiteren Erweiterungen haben. Die strategische und wirtschaftliche Bedeutung der Türkei für Europa ist offenkundig. Ebenso sehen wir die gewachsenen, vielfältigen Beziehungen zwischen den Menschen in der EU und in der Türkei. Vor allem die türkischstämmigen Menschen in Deutschland stellen eine wichtige Brücke zwischen unseren Ländern dar. Wir wollen daher eine möglichst enge Zusammenarbeit zwischen der EU und der Türkei sowie eine strategische Zusammenarbeit in außen- und sicherheitspolitischen Fragen. Eine EU-Vollmitgliedschaft der Türkei lehnt die CDU jedoch ab.