Hamburger Wissenschaftlerin Boll glaubt, dass die Mütter dadurch ihre Karriere behinderten und den Vorsprung männlicher Kollegen zementierten

Hamburg. In Deutschland liegt die Geburtenrate seit rund 40 Jahren bei gut 1,4 Kindern pro Frau. 2012 kamen hierzulande 673.544 Kinder auf die Welt. Zwar ist die Zahl der Geburten in den vergangenen Jahren leicht gestiegen. Blickt man etwas zurück, ist diese positive Entwicklung jedoch mit Händen zu greifen. Im Jahr 1991 beispielsweise wurden in Deutschland noch 830.019 Babys geboren. Experten zufolge sind in Deutschland derzeit rund 70 Prozent der Mütter minderjähriger Kinder erwerbstätig – allerdings zählten dazu auch Teilzeitjobs.

Nach Ansicht von Christina Boll, Forschungsdirektorin am Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut, verlassen sich hierzulande noch immer viele Mütter auf den Partner als Ernährer. „Sie geben sich mit geringeren Gehältern zufrieden und bedenken nicht, dass diese Lücke durch Teilzeitjobs immer größer wird.“ Sie glaubt, dass Frauen in Deutschland zu lange Babypause machen. Sie behinderten damit ihre berufliche Karriere und zementierten den „Vorsprung“ männlicher Kollegen vor allem beim Gehalt, sagte die Wissenschaftlerin am Mittwoch. Einer der Gründe für diese Entwicklung liege darin, dass deutsche Frauen oft dann noch Teilzeit arbeiteten, wenn ihre Kinder weiterführende Schulen besuchten. „Das liegt nicht nur an den fehlenden Betreuungseinrichtungen, sondern auch an den Frauen selbst“, beklagte Boll und fügte hinzu: „Gerade bei Akademikerinnen ist das bürgerliche Ideal von der Frau, die es nicht nötig hat zu arbeiten, erstaunlich weit verbreitet.“

Marita Meyer-Kainer, Landesvorsitzende der Frauen Union in Hamburg, reagierte zurückhaltend auf die Kritik der Wissenschaftlerin. Ihre Partei wolle Frauen und Familien nicht vorschreiben, wie sie ihr Leben gestalten sollten. „Bewusst haben wir immer die Wahlfreiheit vertreten“, sagte die CDU-Politikerin. Zudem sei es sinnvoll, „das Familienleben nicht allein den Geboten der Wirtschaft unterordnen“. Meyer-Kainer äußerte Verständnis dafür, wenn Mütter oder Väter nach der Geburt eines Kindes ein Jahr zu Hause blieben. „Die Arbeit in der Familie, wer immer sie leistet, Mütter und/oder Väter, muss deutlich mehr wertgeschätzt werden.“ Die Erziehung der Kinder sei eine wertvolle Aufgabe, „die wir nicht hoch genug schätzen können".

Als Elternzeit wird in Deutschland ein Zeitraum unbezahlter Freistellung von der Arbeit nach der Geburt eines Kindes bezeichnet. Arbeitnehmer müssen in dieser Zeit nicht arbeiten, können aber, sofern sie es wünschen, bis zu 30 Stunden pro Woche in Teilzeit tätig sein. Allerdings haben Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen nach Rückkehr aus der Elternzeit keinen Anspruch auf den früheren Arbeitsplatz, sondern lediglich auf einen vergleichbaren Arbeitsplatz. Nach der Elternzeit „entscheiden sich viele Frauen bewusst für Teilzeit, um Zeit für die Kinder zu behalten und den Übergang fließend zu gestalten“, sagte Meyer-Kainer. Ziel müsse sein, es den Frauen zu ermöglichen, anschließend wieder in Vollzeit oder eine vollzeitnahe Tätigkeit zu wechseln, sagte die Unionspolitikerin. Meyer-Kainer forderte Frauen und Unternehmen auf, aufeinander zugehen: „Die Wirtschaft durch familienfreundliche Arbeitszeitmodelle, und die Frauen, indem sie bereit sind, Verantwortung zu übernehmen und dies auch deutlich machen.“ Mit einer 30-Stunden-Woche könne viel erreicht werden. „Wir brauchen mehr vollzeitnahe Teilzeitstellen und Jobsharing-Modelle für Führungspositionen.“

Für Boll sind auch Führungspositionen für Frauen mit Kindern nicht tabu. „Man muss in einer Führungsposition nicht rund um die Uhr im Büro sitzen, aber mit 25 oder 30 Wochenstunden geht das nicht.“ Die Wissenschaftlerin ist Mutter von drei Kindern im Alter von neun, 13 und 15 Jahren.

Einer Studie zufolge haben es aber Frauen in Deutschland weiterhin schwer, Führungspositionen zu erreichen. In den Vorständen der großen DAX-Unternehmen sei der Frauenanteil um eineinhalb Prozentpunkte auf 6,3 Prozent zurückgegangen, heißt es im Managerinnen-Barometer 2014 des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Union und SPD haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass börsennotierte Unternehmen von 2016 an in ihren Aufsichtsräten eine Frauenquote von 30 Prozent erfüllen müssen.