Ex-Sprecher des Bundespräsidenten wird zum Kronzeugen. Nach einem Beinahe-Eklat zwischen Staatsanwalt und Richter könnte es zur endgültigen Trennung der einstigen „siamesischen Zwillinge“ kommen.

Hannover. Alle Signale standen auf Freispruch am Donnerstag im Schwurgerichtssaal von Hannover. Auch der – bis dahin – letzte Zeuge, ein Ermittler des niedersächsischen Landeskriminalamts, hatte nichts wirklich Neues beizutragen; eher widerlegte er mit seinen Antworten das Bild einer allzu akribisch ermittelnden Behörde. So genau haben die Beamten dann doch nicht hingeschaut. Das Ende, ein Freispruch für Christian Wulff, schien greifbar nahe, als der Mann den Saal verließ. Doch dann attackierte die bisher so zurückhaltend agierende Staatsanwaltschaft doch noch einmal.

Mit einer Fülle von neuen Beweisanträgen versuchte sie, das Blatt im Korruptionsprozess gegen Ex-Bundespräsident Wulff und seinen Freund, den Filmunternehmer David Groenewold, doch noch zu wenden. Ihr neuer Kronzeuge: Ex-Wulff-Sprecher Olaf Glaeseker. Der einstige Wulff-Intimus soll bereits am 16. Januar verhört werden. Die von den Verteidigern geforderte rigorose Ablehnung aller Anträge der Ankläger vermochte das Gericht nicht zu folgen, auch wegen des Revisionsrisikos des Verfahrens durch den Bundesgerichtshof. Damit sind die jüngsten Planungen der 2. Großen Strafkammer, nach denen bereits im Januar ein Urteil gesprochen werden sollte, über den Haufen geworfen worden. Und so rief der Vorsitzende Richter Frank Rosenow dem Wulff-Verteidiger am Ende dieses Prozesstages bedauernd zu: „Ich habe mein Möglichstes getan, aber mit Ihrem Urlaub, das wird jetzt wohl nichts mehr.“

Anwalt Michael Nagel hatte aus privaten Gründen darauf gehofft, dass sein Mandant spätestens am 22. Januar freigesprochen wird. Nun wird sich der Prozess mindestens bis zum Februar hinziehen. Denn obendrein soll eine Sekretärin Groenewolds noch einmal befragt werden. Das Gericht will damit einen möglichen Revisionsgrund beseitigen. Es hatte an einem der ersten Prozesstage eine abermalige Ladung der Dame avisiert. Weitere Verhandlungstage für Plädoyers und Urteil müssen auch noch gefunden werden.

Das Verfahren bekommt eine weitere Dimension. Nun müssen die beiden „siamesischen Zwillinge“, so bezeichnete Wulff das Duo in besseren Zeiten, sich gegenseitig in ihren jeweiligen Korruptionsprozessen be- beziehungsweise entlasten. Wulffs Zeugenaussage im parallel laufenden Glaeseker-Verfahren ist für den 10. Februar terminiert. Gut möglich, dass Glaeseker zunächst Wulffs Aussage dort abwarten möchte, bevor er selbst als Zeuge in dessen Prozess aussagt. Der frühere Sprecher, der Schloss Bellevue zwei Monate vor Wulff den Rücken gekehrt hatte, kämpft vor den Hannoveraner Richtern auch um einen Teil seiner Altersvorsorge.

Glaeseker hat noch eine Rechnung offen

Bisher hatte sich der frühere Regierungssprecher in dem Verfahren gegen seinen ehemaligen Chef nicht äußern wollen. Glaeseker befürchtete, sich selbst zu belasten. Dieser Vorbehalt zieht nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft Hannover nun nicht mehr. Mit Ablauf des Jahres 2013, so Oberstaatsanwalt Clemens Eimterbäumer in seinem Beweisantrag, seien alle denkbaren Delikte verjährt.

Glaeseker, der sowohl Wulff als auch Groenewold bestens kennt, könnte dem Präsidentenprozess mit seinem Insiderwissen noch einmal eine unerwartete Wendung geben. Zumal zwischen den beiden ehemals besten Freunden inzwischen Funkstille herrscht. Die beiden haben vor eineinhalb Jahren das letzte Mal miteinander gesprochen. Glaeseker nimmt Wulff übel, dass dieser bei einer polizeilichen Vernehmung zu seinen Ungunsten ausgesagt hat. Eine Revanche wäre möglich.

Andererseits kennt auch Wulffs Richter diese Vorgeschichte. Und so ist fraglich, ob ihn der nun eingeschlagene Umweg noch einmal vom eingeschlagenen Pfad Richtung Freispruch abbringen wird. Frank Rosenow erweckte auch an diesem zehnten Prozesstag nicht den Eindruck, als wolle er das Verfahren auch nur eine Minute länger führen als nötig. Deshalb kam es vor den neuen Beweisanträgen der Staatsanwaltschaft beinahe zum Eklat im Landgericht von Hannover. Als Chefankläger Clemens Eimterbäumer seine Beweisanträge mit einer zusammenfassenden Wertung des bisherigen Prozessverlaufs einleiten wollte, unterbrach ihn Rosenow ungeduldig. Er wolle jetzt nicht wieder vorgezogene Plädoyers hören, bedrängte der Richter den zunächst verdatterten Staatsanwalt. Als dieser weiter vortragen wollte, setzte Rosenow nach: „Das habe ich so auch noch nicht erlebt“, wetterte er in Anspielung auf eine langwierige, aber gänzlich unergiebige Vernehmung eines Polizeibeamten bei einem früheren Prozess. Und Rosenow setzt nach: „Eine wirklich ungewöhnliche Art, einen Beweisantrag zu stellen. Nun machen Sie schon!“

Eimterbäumer konterte mit dem Verweis auf das „ebenfalls sehr ungewöhnliche“ Eingangsstatement des Angeklagten, das der Richter zu gelassen habe. Für einen Moment hatte man das Gefühl, die beiden Juristen würden sich jetzt lieber im Hof des Gerichtsgebäudes „aussprechen“. Stattdessen las der Staatsanwalt dann doch lieber seine Beweisanträge vor. Rosenow folgt dem Vortrag unwillig, macht schon durch Körperhaltung und Mimik deutlich, wie sehr ihn die weitere Verzögerung dieses Prozesses nervt.

Die Szene untermauert jenes Zerwürfnis zwischen Richtern und Staatsanwälten, das sich spätestens seit Rosenows „Zwischenfazit“ im Dezember offenbart hat. Der Richter zweifelt an der Qualität der von der Staatsanwaltschaft geführten Ermittlungen und glaubt offenbar nicht mehr daran, dass den beiden Angeklagten ein korruptives Delikt nachzuweisen sein wird. Die Ankläger ihrerseits werfen dem Richter dagegen inzwischen ziemlich unverhohlen vor, den Wulff-Prozess zu lax zu führen und sich nicht hinreichend intensiv mit der Aktenlage befasst zu haben. Sie wollen im Fall eines Freispruchs intensiv die Möglichkeiten einer Revision prüfen.

Andererseits würde auch die Verteidigung eine, immer noch unwahrscheinliche, Verurteilung ihrer Mandanten nicht widerspruchslos hinnehmen. Aus Sicht haben die bisherigen Verhandlungstage vor allem eins ergeben: Dass Christian Wulff einen persönlichen Vorteil durch seine strittige Reise zum Münchener Oktoberfest weder erlangt und erst recht nicht bewusst angenommen hat. Womit das „primäre Einstiegsmerkmal“ eines Korruptionsdeliktes entfalle. Ein Ende des Verfahrens ist dennoch nicht abzusehen.