Florierende Wirtschaft zieht Arbeitskräfte an. Kabinett setzt Ausschuss zur Missbrauchsprüfung ein. Zuwanderung gleicht Bevölkerungsschwund aus

Berlin. Deutschland hat 2013 so viele Zuwanderer angezogen wie seit 20 Jahren nicht mehr. Erstmals seit 1993 kamen im vorigen Jahr wieder 400.000 mehr Menschen aus dem Ausland als fortzogen, wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch auf Grundlage vorläufiger Zahlen mitteilte. Die Wirtschaftskrise in Europa machte Deutschland vor allem für Zuwanderer aus Osteuropa und den Euro-Krisenländern attraktiv. Nach Daten der Bundesagentur für Arbeit findet ein Großteil von ihnen hier einen Job. Die Bundesregierung setzte am Mittwoch dennoch einen Staatssekretärsausschuss ein, der prüfen soll, ob Zuwanderer Sozialleistungen missbrauchen.

Anlass für den Ausschuss ist auch die Debatte über Bulgaren und Rumänen, die seit Jahresanfang freien Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt haben. Verabredet sei, dass das Gremium bis Juni Ergebnisse vorlegen solle, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Dabei werde es darum gehen, ob sich aus der Analyse der Lage Konsequenzen für die Gesetzgebung ergäben.

Die Bundesregierung war zugleich bemüht, die Einsetzung des Ausschusses nicht als Abwehrmaßnahme erscheinen zu lassen. Zuwanderung und Freizügigkeit für Arbeitnehmer der EU-Mitgliedstaaten würden „ausdrücklich von der Bundesregierung begrüßt und gewollt“, sagte Seibert. Einzelne Kommunen hätten aber mit Problemen zu kämpfen, die im Zusammenhang stehen könnten mit Migration. Vor allem Ballungsräume wie Duisburg, Dortmund und Berlin klagen über hohe Kosten für einzelne Bevölkerungsgruppen aus Bulgarien und Rumänien. Der Großteil von ihnen ist allerdings erwerbstätig.

CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt forderte noch stärkere Einschränkungen der Sozialleistungen für Zuwanderer. „Deshalb schlagen wir vor zu prüfen, ob es nicht in den ersten drei Monaten ein generelles Aussetzen von Sozialleistungen gibt“, sagte Hasselfeldt bei der Klausurtagung der CSU-Bundestagsabgeordneten. EU-Ausländer, die zur Arbeitssuche nach Deutschland kommen, haben zurzeit keinen Anspruch auf Hartz IV. Sozialgerichte haben dies zum Teil anders entschieden. Das Bundessozialgericht hat den Streit dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt, ob das deutsche Verbot gegen EU-Recht verstößt.

Die hohe Zuwanderung sorgt dafür, dass die Bevölkerungszahl in Deutschland steigt, obwohl mehr Menschen sterben als geboren werden. Das Statistische Bundesamt geht von einer Zunahme von gut 80,5 auf knapp 80,8 Millionen Einwohnern im Jahr 2013 aus. Deutschland verzeichnet erst seit 2010 wieder einen Überschuss zwischen Fort- und Zuzügen. 2012 waren 369.000 mehr Menschen nach Deutschland gekommen als fortzogen.

Zwei Drittel der Zuwanderer nach Deutschland kommen aus der EU

Zu den Herkunftsgebieten der n Zuwanderer liegen für 2013 nur Zahlen zum ersten Halbjahr vor. Demnach kamen in den ersten sechs Monaten 212.900 mehr ausländische Zuwanderer nach Deutschland als weggingen. Die größte Gruppe davon kam mit rund 44.200 aus Polen, gefolgt von rund 32.800 Rumänen. Aus Bulgarien kamen demnach unter dem Strich rund 11.900 Menschen im ersten Halbjahr nach Deutschland. Im Jahr 2012 waren im Saldo rund 70.000 Rumänen und Bulgaren nach Deutschland zugewandert. Von den Euro-Krisenländern stellten Italien (15.000), Spanien (9800) und Griechenland (8500) im ersten Halbjahr 2013 die meisten Zuwanderer.

Dass sich Deutschland als Zuwanderungsmagnet erweist, dürfte auch daran liegen, dass Deutschland nach Österreich mit 5,2 Prozent die zweitgeringste Arbeitslosenquote aller 28 EU-Staaten aufweist. In Spanien beträgt sie mehr als 26 Prozent. Die florierende deutsche Wirtschaft nehme die Arbeitssuchenden offenbar weitgehend auf, sagt Werner Eichhorst, Direktor für Europäische Arbeitsmarktpolitik am Institut für die Zukunft der Arbeit (IZA): „Es gibt keine Anzeichen für eine Zuwanderung in Arbeitslosigkeit oder Armut. Die Arbeitssuchenden, die kommen, finden in der Regel Jobs, ohne einheimische Arbeitskräfte zu verdrängen.“ Das werde ganz deutlich, wenn man bedenke, dass die Arbeitslosigkeit nicht steige.

Zwei Drittel der Zuwanderer kommen aus der EU, Menschen aus Polen stellen dabei die größte Gruppe. Aber Arbeitsmarktexperten beobachten auch einen steigenden Zustrom von Arbeitssuchenden aus südeuropäischen Staaten, in denen in der Krise die Arbeitslosigkeit und vor allem die Jugendarbeitslosigkeit stark gestiegen sind. Vor allem aus Spanien kommen viele Menschen nach Deutschland. Die Zuwanderung der Arbeitssuchenden aus Südeuropa entlastet damit die Volkswirtschaften an der Peripherie der Euro-Zone, die nach Konjunktureinbrüchen und Sparprogrammen mit hoher Arbeitslosigkeit kämpfen.

Tatsächlich sinkt nach den Berechnungen der Statistikbehörde Eurostat in den Krisen-Volkswirtschaften die Zahl der Arbeitslosen allmählich. In Portugal ging die Arbeitslosenquote zwischen Herbst 2012 und Herbst 2013 von 17 Prozent auf – immer noch sehr hohe – 15,5 Prozent zurück. In Spanien schrumpfte das Heer der Arbeitssuchenden zwischen September und November um 24.000 Personen. Das ist eine positive Nachricht, trotzdem bleibt die Arbeitslosigkeit dort die zweithöchste in der EU nach Griechenland.

Auch für den deutschen Arbeitsmarkt ist die verstärkte Zuwanderung aus den europäischen Nachbarstaaten eine gute Nachricht. Denn wegen der demografischen Entwicklung hierzulande braucht Deutschland nach Ansicht von Experten langfristig zusätzliche Arbeitskräfte, um die Bevölkerung und die Erwerbstätigkeit zu stabilisieren. So hat der Ökonom Herbert Brücker in einer Analyse für die Bertelsmann-Stiftung ausgerechnet, dass langfristig eine Nettozuwanderung von jährlich 400.000 Personen nötig wäre, um auch künftig offene Stellen in den Unternehmen besetzen zu können.