Schon 2010 wurde der Kanzlerin ein Urlaub in dem schweizerischen Hochtal durch eine Erkältung vergällt. Jetzt muss Merkel wegen einer Verletzung des Beckenknochens einige Termine absagen, will aber die Regierungsgeschäfte weiterführen.

Berlin. So war das nicht gedacht. Die neue Bundesregierung scheint ihre Arbeit bald mehrheitlich von Zuhause aus zu erledigen. Erst kündigten Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) an, wegen ihrer Familien möglichst oft „home office“ machen zu wollen. Auch Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) will an jedem Mittwochnachmittag Zeit mit seiner Tochter verbringen. Nun wird auch Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Weile von ihrer Wohnung aus arbeiten. Wahrscheinlich sogar im Liegen.

Schuld ist ausgerechnet ihr Langlaufurlaub im Engadin. Dort ist Merkel laut Informationen des Sprechers der Bundesregierung, Steffen Seibert, beim Langlaufen „hingefallen“. Sie werde drei Wochen eine Gehhilfe benötigen. „Wir gehen von niedriger Geschwindigkeit aus“, sagte Seibert. Es wirkte wie eine Anspielung auf den Ski-Unfall von Formel-1-Star Michael Schumacher. Ob Schumacher zu schnell war, ist eine der zentralen Fragen.

Beim Langlauf werden auch eigentlich nur niedrige Geschwindigkeiten erreicht. Zu Fragen, ob es Fremdeinwirkung gegeben habe, ob Merkel also geschubst oder sonst irgendwie zu Fall gebracht wurde, wollte oder konnte der Sprecher nichts sagen. Ihren Krankheitsbefund schilderte er hingegen genauer: Sie habe sich einen unvollständigen Bruch im linken hinteren Beckenring zugezogen. Eine sogenannte Infraktion. Merkel ging wohl zunächst von einer einfachen Prellung aus. Sie setzte den Urlaub fort und konsultierte anschließend ihre Ärzte. Die rieten ihr offensichtlich, sich, um einen optimalen Heilungsprozess zu gewährleisten, zu schonen und „möglichst viel Zeit im Liegen zu verbringen“.

Merkel will Kabinettsitzungen leiten

Sie werde also in den kommenden drei Wochen möglichst keine öffentlichen Termine wahrnehmen. Abgesagt wurde ein für Mittwoch geplanter Antrittsbesuch der Kanzlerin in Polen und der Besuch des neuen luxemburgischen Ministerpräsidenten Xavier Bettel am Donnerstag in Berlin. Die Kabinettssitzungen werde sie hingegen leiten. „Sie ist handlungsfähig und kommunikationsfähig“, sagte Seibert. Die erste Kabinettssitzung findet bereits am kommenden Mittwoch statt. Am 22. und 23. Januar ist darüber hinaus eine Kabinettsklausur geplant. „Wir schauen“, sagte Seibert dazu. Am heutigen Dienstag will Merkel im Kanzleramt wie alle Jahre die Sternsinger empfangen, dieser Termin soll nicht abgesagt werden. Ebenso wird sie am Donnerstag den Bundespräsidenten beim Neujahrsempfang treffen.

Für Merkel selbst dürfte ihre Situation höchst nervig sein. Nicht nur aufgrund der Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit. Sie macht um ihre Gesundheit nämlich eigentlich kein Aufhebens. Das Jammern über dieses oder jenes Zipperlein ist ihr vollkommen fremd. Das kann sie sich erlauben, weil ihr die Gesundheit nur sehr selten den Dienst verweigert. Sie gilt als Rossnatur. Als eine, die mit wenig Schlaf auskommt, lediglich den Schlaf in ihrem eigenen Bett wenn irgend möglich einem im Hotel vorzieht. Dafür nimmt sie es lieber in Kauf, zu später Stunde noch in den Flieger zu steigen. Das hat bisweilen den Charakter einer Flucht Hals über Kopf. In unguter Erinnerung ist dem Gefolge der Kanzlerin etwa der Kurztrip nach Santiago de Chile im vergangenen Jahr, der trotz 17-Stunden-Flug nur zwei Tage dauern durfte. Auch das schöne Abendessen mit US-Präsident Barack Obama anlässlich der Verleihung der Freedom Medal vor drei Jahren verließ Merkel fast vor der Zeit. Der Lohn: ein freier Abend. Der Preis: In ihrer Abwesenheit überredeten die USA die anderen europäischen Staats- und Regierungschefs, einen Text zu Syrien zu unterzeichnen, den Merkel abgelehnt hatte.

Gerade dann, wenn die Mitreisenden schon schwächeln, taut Merkel noch einmal auf. Hintergrundgespräche werden dann meist länger als geplant. Es scheint ihr eine gewisse Befriedigung zu verschaffen, so viel auszuhalten. Erstaunlich für viele steigt Merkel nach langen Flugreisen oft aus dem Flugzeug und eilt zum nächsten Termin. Ihre Müdigkeit kann sie zwar nicht gut verbergen, krank oder gar verletzt hat man die Kanzlerin allerdings selten gesehen.

Am Stock ging sie freilich schon einmal. Es gibt Bilder aus diesen wenigen Tagen im April 2011. Ende März 2011 hatte sie sich heimlich, still und tatsächlich unbemerkt in die Berliner Charité begeben und sich einer Meniskus-OP unterzogen. Der Innenmeniskus am linken Knie war eingerissen und wurde erfolgreich behandelt. Woher die Verletzung rührte, wusste die Kanzlerin nicht. Damals ließ sie sich nicht einmal auf eine Vollnarkose ein. Sie hatte sich ab der Hüfte abwärts narkotisieren lassen und konnte den 30-minütigen Eingriff am Bildschirm beobachten. Sie war die zweite Regierungschefin, die sich einer solchen OP unterziehen musste. Ihr Vorvorgänger Helmut Kohl hatte sich 1995 behandeln lassen. Damals ließ Merkel kaum Termine ausfallen. Bald waren die Krücken wieder verschwunden. Das war in Merkels Sinn. Denn Bilder von sich, auf denen sie „nicht funktioniert“, schätzt sie überhaupt nicht.

Schon wieder Frust im Engadin

Der Winterurlaub im Engadin wurde Merkel schon einmal vergällt. Dort holte sie sich Ende 2010 eine heftige Erkältung. Tagelang wurde sie nicht gesichtet, ihr Ehemann Joachim Sauer holte Medizin aus der Dorfapotheke. Die Erkältung hielt viele Tage an und behinderte Merkel noch im Januar. Wieder ging sie souverän mit der Situation um. Normalerweise spricht sie jede Woche eine Videobotschaft ein. Die dauert mehrere Minuten. Das ging in Anbetracht ihrer Heiserkeit aber diesmal nicht. Sie trat dennoch auf. Sie wusste sich ja in guter Gesellschaft Hunderttausender Bürger. „Wie viele von Ihnen hat auch mich eine Erkältung erwischt. Deshalb ist meine Stimme heute nicht besonders geeignet für eine Video-Podcast-Aufzeichnung“, sagte Merkel sehr heiser. Sie bat, den ganzen Text nachzulesen. In der Botschaft ging es um das Thema Gesundheit.

Doch diese wenigen Momente stellen im Wesentlichen die bekannte Krankengeschichte der Bundeskanzlerin dar. Von schweren Heimsuchungen wie sie etwa CSU-Chef Horst Seehofer in seiner Zeit als Minister erlebte, der eine schwere Virus-Grippe beinahe nicht überlebt hätte, ist die 59-Jährige bisher verschont geblieben.