Die Qual nach der Wahl: In dieser Woche entscheidet sich, ob Angela Merkel als Kanzlerin künftig mit der SPD regieren kann oder mit den Grünen will.

Berlin. Jetzt kommen die Karten auf den Tisch. In den kommenden Tagen fällt die Vorentscheidung, auf die ganz Deutschland seit der Bundestagswahl am 22. September wartet: Wird Deutschland in den kommenden vier Jahren von einer Großen Koalition regiert oder erstmals in der Geschichte der Republik von einem schwarz-grünen Bündnis?

Noch wird mächtig gepokert, wild taktiert und wüst spekuliert. Doch wenn die neuerlichen Sondierungsgespräche vorbei sind, die CDU und CSU heute mit den Spitzen der SPD und am Dienstag mit den Unterhändlern der Grünen führen, dürfte endgültig klar sein, wohin die politische Reise geht.

Klar ist schon jetzt: Die Mehrheit der politischen Beobachter in Berlin rechnet eindeutig mit einer Großen Koalition. Die Spitzen der Parteien lassen ihre Präferenzen inzwischen auch klarer durchblicken. So ist es ein offenes Geheimnis, dass die CSU ein Bündnis mit den Sozialdemokraten vorziehen würde. In der CDU denken die wichtigen Leute auch eher in diese Richtung.

In der SPD erklärte inzwischen sogar der Parteilinke Ralf Stegner aus Schleswig-Holstein, Schwarz-Rot sei die wahrscheinlichste Variante. Auch der stellvertretende Parteichef, Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz, positionierte sich klar für Schwarz-Rot. „Die Wähler haben uns beauftragt, aus dem Wahlergebnis etwas zu machen“, sagte Scholz dem Magazin „Der Spiegel“ und hielt den zahlreichen Skeptikern unter seinen Genossen entgegen: „Die SPD hat vor vier Jahren nicht wegen ihrer Beteiligung an der Großen Koalition ein so miserables Ergebnis erzielt.“ Eine Niederlage sei „keine Gesetzmäßigkeit nach einer Großen Koalition“.

Der Hamburger spielt damit offenkundig auf das Trauma an, das vielen Sozialdemokraten seit ihrem Wahldebakel 2009 tief in den Knochen sitzt. Damals hatte die SPD nach vier Jahren Großer Koalition ihr bis dahin schlechtestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl erzielt und war auf desaströse 23 Prozent abgestürzt. Seither sind viele Sozialdemokraten von der Vorstellung durchdrungen, ein Bündnis mit der Union mache CDU und CSU groß, die SPD hingegen klein.

Verdrängt wird in diesem Szenario allerdings, dass nach der ersten Großen Koalition von 1966 bis 1969 die SPD keineswegs unter die Räder kam, sondern anschließend für 13 Jahre die Kanzler stellte, erst Willy Brandt und dann Helmut Schmidt.

Doch die traumatische Erfahrung der Wahlniederlage von 2009 prägt das Bewusstsein vieler Sozialdemokraten weit stärker als die Erinnerung an 1969. Auch deshalb kann sich die SPD-Führung jetzt nur sehr vorsichtig, gleichsam auf Zehenspitzen, dem Projekt Große Koalition nähern. Denn die Spitzengenossen um Parteichef Sigmar Gabriel müssen sorgfältig darauf achten, ihre Basis nicht zu verprellen oder gar einen Aufstand der Genossen gegen ein Bündnis mit der Union zu riskieren. Der könnte die Parteiführung hinwegfegen, sogar die Partei spalten.

Außerdem dämmert längst etlichen höherrangigen Sozialdemokraten, dass der Gang in die Opposition die weit schlechtere Alternative wäre als erneut Juniorpartner von Bundeskanzlerin Angela Merkel zu werden.

Der Grund: Sollten sich Union und Grüne zusammenraufen und dann in einem schwarz-grünen Regierungsbündnis häuslich einrichten, könnte die SPD auch über die nächste Bundestagswahl im Jahr 2017 hinaus ohne Koalitionspartner dastehen. Die SPD wäre dann womöglich auf sehr lange Zeit auf die Oppositionsbank verdammt. Keine verlockende Perspektive. Dann wohl doch lieber Große Koalition.

Allerdings muss die Union sich darauf einstellen, dass die SPD sich diesmal extrem teuer verkaufen möchte und auch muss, um vor ihrer eigenen Mitgliederschaft bestehen zu können. Die Unterhändler der SPD müssen große politische Trophäen vorweisen können, wenn sie die eigene Basis für ein neuerliches Bündnis mit der Union erwärmen wollen. Generalsekretärin Andrea Nahles hat in der „Bild am Sonntag“ eine solche Bedingung schon formuliert und gesagt: „Ohne die Vereinbarung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro wird es eine Regierungsbeteiligung der SPD nicht geben.“

Doch die SPD kann die Preise für den Eintritt in eine Koalition nicht beliebig in die Höhe treiben, weil die Grünen ja durchaus noch im Spiel sind und eine schwarz-grüne Koalition nicht vollkommen ausgeschlossen ist. Allerdings überwiegt bei den Grünen eher die Skepsis. Der neue Fraktionschef Anton Hofreiter sagte sogar, die Grünen wollten sich in der neuen Wahlperiode auf Koalitionsoptionen mit der Union und auch den Linken vorbereiten. So redet keiner, der schon jetzt mit einem Eintritt in eine Regierung rechnet.

Unter Bundespolitikern der Union ist die Leidenschaft für ein Bündnis mit den Grünen auch deshalb gering, weil Schwarz-Grün im Bundesrat eine erdrückend große Mehrheit gegen sich hätte.

Wenn nach den Sondierungsgesprächen in den nächsten Tagen klar ist, wer dann über die Regierungsbildung verhandeln wird, dann geht es in die wirklich heiße Phase. Dann warten noch heftige inhaltliche Gefechte, ob zur Steuerpolitik, zum Betreuungsgeld, der Energiewende oder den Euro. Und nicht minder heftig werden die Scharmützel um Posten und Personen sein. Wer leer ausgeht oder was wird, ist – abgesehen von Angela Merkel als Kanzlerin – noch offen. Aber sicher ist: Wer sich jetzt auf Koalitionsverhandlungen mit der Union einlässt, kann sich in den nächsten Wochen einen Rückzieher nur noch schlecht leisten.

Andreas Thewalt, 57, war von 1993 bis 2006 Parlamentskorrespondent und arbeitet heute bei „Bild.de"