Koalitionen mit Angela Merkels Union sind für andere Parteien gefährlich. Trotzdem muss eine ran

Kann man einer Partei guten Gewissens raten, eine Koalition mit Angela Merkel und der Union einzugehen? Nach dem gestrigen Wahlergebnis ist die Antwort eindeutig: nein. Die FDP startete 2009 als großer Sieger mit Rekordwerten in die schwarz-gelbe Koalition, um nach vier Jahren an Merkels Seite nicht einmal mehr die Fünfprozenthürde und den damit verbundenen Einzug in den Bundestag zu schaffen. Der SPD erging es in der Legislaturperiode zuvor nicht viel besser. Am Ende blieb für die Genossen nur der schlechteste Stimmenanteil aller Zeiten bei einer Bundestagswahl übrig.

Neben Angela Merkel gibt es für andere Parteien und Politiker offensichtlich nichts zu gewinnen. Das wissen natürlich all jene, die jetzt als Koalitionspartner, manche sagen: Opfer, Nummer drei infrage kommen. Und deshalb ist es wenig verwunderlich, dass weder die Sozialdemokraten noch die Grünen euphorisch ob der Aussicht werden, Merkel erneut zur Kanzlerin zu machen. Nun, einer von beiden wird trotz der beschriebenen Risiken und Nebenwirkungen den Weg in die Regierung mit der Übermächtigen gehen müssen, weil ein rot-rot-grünes Bündnis aktuell einer Selbstzerstörung gleichkäme.

Nur: wer? Die SPD wäre aus Wählersicht der Favorit, und tatsächlich dürften die inhaltlichen Übereinstimmungen mit CDU/CSU auch noch einen Tick größer sein als die Gemeinsamkeiten von Union und Grünen. Kommt hinzu, dass Merkel mit Sigmar Gabriel, der möglicher Außenminister und Vizekanzler wäre, gut kann. Gleichzeitig ist die Erinnerung der Genossen an ihr Wahldesaster nach der Großen Koalition von 2005 bis 2009 noch frisch, ehrlich gesagt haben sie sich bis heute nicht davon erholt – und damals war das Kräfteverhältnisse zwischen den beiden Volksparteien nahezu ausgeglichen (35,2 Prozent zu 34,2 Prozent). Heute liegt die SPD knapp 16 Punkte hinter der CDU, wäre also wirklich nur ein Juniorpartner mit ungewisser Zukunft.

Da kann es auch aus strategischen Überlegungen im Hinblick auf die Wahl 2017 für die Sozialdemokraten besser sein, in die Opposition zu gehen. Dort wären sie klar die Nummer eins, dort könnten sie die Kanzlerin in einem ausschließlich linken Umfeld und ohne Störgeräusche aus der FDP attackieren wie noch nie. Ganz zu schweigen davon, dass man sich eine Opposition, die nur aus Linken und Grünen besteht, gar nicht vorstellen mag. Es gebe schlicht kein Gegengewicht zur Regierung, die Sitzungen des Bundestages wären nicht halb so interessant wie jene des Bundesrates. Auch von dort könnte die SPD als Oppositionspartei Merkel viel direkter angreifen, als wenn sie ein Teil der Regierung wäre.

Rein rechnerisch spricht selbst aus der Sicht der Union wenig für eine erneute Partnerschaft mit der SPD. Denn Angela Merkel braucht ja nur eine Handvoll Sitze zur absoluten Mehrheit, und nicht 192. In der aktuellen Situation wäre es für die Kanzlerin optimal gewesen, wenn die FDP mit irgendetwas knapp über fünf Prozent in den Bundestag gekommen wäre. Ist sie aber nicht, und so stellt sich für Merkel und die CDU die Frage, ob das, was den Anteil der Stimmen angeht, „kleinere Übel“ nicht diesmal die bessere Wahl wäre.

Die Grünen und die CDU? Nun, erst einmal brächte dieser Koalitionspartner nur etwa ein Drittel der Stimmen mit, auf die die SPD gekommen ist, dürfte also bei der Vergabe von Ministerämtern deutlich weniger Ansprüche stellen. Merkel hätte einen moderaten Mehrheitsbeschaffer, endlich gäbe es das von vielen auf beiden Seiten gewünschte Experiment Schwarz-Grün auf Bundesebene. Das größte inhaltliche Hindernis existiert sowieso nicht mehr: In der Energiepolitik hat Merkel in der ihr eigenen Cleverness bekanntermaßen eine grüne Position zu der ihren gemacht. Der Ausstieg aus der Atomenergie ist beschlossen, und so schlecht würde es gar nicht passen, wenn der Weg dorthin künftig von einem grünen (Energie-)Minister geebnet würde. Damit hat sich die schwarz-gelbe Koalition in den vergangenen Jahren sowieso schwergetan, damit könnte Angela Merkel zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Erstens hätte sie attraktives ein Angebot für die Grünen, die im Gegenzug ihren Wunsch nach Steuererhöhungen für klassische CDU-Klientel einschränken müssten. Zweitens wäre sie das schwierige Thema, wäre sie die Verantwortung für die Energiewende los – und hätte zudem den größten Kritiker in diesem Bereich in die Verantwortung genommen. Eigentlich ein klassischer Merkel!

Der Autor ist Chefredakteur des Hamburger Abendblatts