Wie Gustl Mollath seine Zukunft zu gestalten gedenkt, lässt er in der ARD-Talkshow „Beckmann“ weitestgehend offen. Nur so viel steht fest: Er will in Nürnberg bleiben

Hamburg. Gustl Mollath ist ein gefragter Mann. Just an dem Tag, an dem der „Stern“ ein Interview mit ihm bringt, das zwischen den Zeilen durchaus die Frage nach seiner Zurechnungsfähigkeit aufwirft, strahlen ihn schon die hellen Scheinwerfer im Fernsehstudio frontal an. Bei Reinhold Beckmann im Ersten rechnet Gustl Mollath ab mit dem „System der Psychiatrie“, in dem er seit 2006 untergebracht war. Gefragt nach seinen Zukunftsplänen, belässt es der 56-Jährige bei vagen Andeutungen: „Ich muss mich noch um eine Unterkunft kümmern und schauen, wie ich meinen Lebensunterhalt sichere.“ Eines sei jedoch sicher: „Ich lasse mich nicht aus Nürnberg vertreiben.“

„Ist der Fall Mollath ein Einzelfall? Und warum weckt er solche Ängste?“, fragt Beckmann am Beginn seiner Sendung. Mollath sitzt da, schwarzes Jackett, weißer Kragen – ein wenig sieht er aus wie die Richter, die über sein Schicksal entschieden. Am Tisch sitzen nur Unterstützer Mollaths. Journalisten, die keinen „Fall Mollath“ sehen, wurden eingeladen, kamen aber nicht.

„Ich bin im Moment nicht obdachlos, aber wohnungslos und habe nette Mitbürger, die mir ein Dach gewähren“, so schildert der wohl bis zum sechsten August prominenteste Insasse einer psychiatrischen Forensik in Deutschland seine derzeitige Situation. Überraschend war seine Freilassung gerichtlich verfügt worden. Beckmann nennt Mollaths Schicksal dann auch „einen der bewegendsten Justizskandale der vergangenen Jahre“.

Eine gewagte Feststellung: Immerhin hatte auch der Bundesgerichtshof das erstinstanzliche Urteil gegen Mollath bestätigt. Er wurde 2006 freigesprochen, aber nicht, weil er seine Frau nicht geschlagen hat, und auch nicht, weil er keine Reifen zerstochen haben soll: Gutachter und später auch der Richter hatten ihn für schuldunfähig befunden, weil er psychotisch gewesen sein soll.

„Die Einzigen, die diesen Vorwürfen damals nachgingen – die Justiz wollte ja nicht –, war die HypoVereinsbank“, beschreibt der Journalist und Buchautor Uwe Ritzer das, was aus seiner Sicht den eigentlichen Skandal im Fall Mollath ausmacht. Ritzer hat zusammen mit einem Kollegen ein Buch geschrieben, er kennt sich in dem Fall aus wie kaum andere Journalisten in Deutschland. Und er macht kein Hehl daraus, dass er auf Mollaths Seite steht.

Immer wieder wird in der Sendung erwähnt, dass Mollaths Verdächtigungen, die er auf teilweise über 100 Seiten an die Justiz geschickt hatte, bereits 2003 in einem internen Revisionsbericht der HypoVereinsbank bestätigt worden seien. Dort hatte seine Frau gearbeitet, die, so Mollaths These, quasi kofferweise in seinem Ferrari Schwarzgeld in die Schweiz geschafft haben soll.

Wenn der Bericht schon 2003, 2004 bekannt gewesen wäre, dann wären Vorwürfe, vor allem, dass Herr Mollath einem paranoiden Wahn erliegen würde, so nicht entstanden, sagt Mollaths Anwalt Gerhard Strate. Die HypoVereinsbank, sagt Mollath, habe ihn wissentlich „über die perfideste Klinge springen lassen, die in Deutschland möglich ist“: die Zwangseinweisung. „Das bedeutet in Deutschland im Zweifel bis zum Lebensende.“

Beckmann lässt Mollath im Laufe des Gesprächs unbewiesene Vorhaltungen gegen Behörden machen: „Es war eine Situation, die mich an die dunkelsten Zeiten dieser Republik erinnert hat“, sagt Mollath über seine Festnahme und spätere Unterbringung. „Das waren Umstände, die so außergewöhnlich sind, die würde ich meinem ärgsten Feind nicht wünschen.“ Kritisch wird Beckmann kurz, als er ihm vorhält, Mollath habe beim ersten Prozess aus NS-Protokollen vorgelesen. Das steht so im Gerichtsprotokoll von 2006.

„Die Vorgänge, die geschildert wurden, waren so nicht gegeben!“, behauptet Mollath. Wenn man erleben müsse, dass es kein Recht für einen gebe und wenn die Ehefrau sage, „wir machen dich fertig“, dann reagiere man so, wie er das damals getan habe während des Prozesses. In der Sendung wirkt Mollath ruhig, er wählt seine Worte genau. Es gehe ihm nun darum, im Wiederaufnahmeverfahren vor Gericht Gerechtigkeit zu erstreiten. „Dann werde ich als unbescholtener, freier Bürger aus dem Gerichtssaal gehen.“

Den Vorhalt, er habe die Schläge gegen seine Frau im ersten Gerichtsprozess 2006 nicht abgestritten, pariert Mollath mit den Worten: „Wenn Sie sich gegen einen Schlag schützen, dann habe ich mich aus meiner Sicht gewehrt.“ Gleichzeitig ließ er sich damals nicht psychiatrisch untersuchen. Der Leiter des Klinikums in Bayreuth, in dem Mollath später zeitweise und bis vor Kurzem untergebracht war, schrieb sein Gutachten aufgrund von Beobachtungen, etwa wie Mollath tagsüber seinen Tee zu sich nahm. Er wähnte bei Mollath ein „paranoides Wahnsystem“.

Die Psychologin Hanna Ziegert räumt auf Nachfrage Beckmanns ein, ihr gegenüber habe sich noch nie ein zu Begutachtender grundsätzlich verweigert. Richtig ist, dass Mollath kaum selbst einen Psychologen gesprochen hatte, wohl aber legten diese Gutachten vor. Doch warum wollte Mollath nicht mit dem Gutachter sprechen? „So vermessen es auch klingen mag: Mir war leider klar, was da angestrebt wird.“ Ziegert, die selbst vor Gericht Gutachten abgibt, sagt: „Ich weiß nicht, ob ich mich jemals begutachten lassen würde.“

„Werden Sie sich für das neue Verfahren psychiatrisch untersuchen lassen?“, will Beckmann wissen. Mollaths Antwort zeigt, wie schwierig er es den Psychiatern, Psychologen und Richtern machte: „Mit Sicherheit, wenn überhaupt, muss ich mir sicher sein können, dass da jemand auch tatsächlich auf wissenschaftlicher Grundlage objektiv und wahrheitsgemäß tätig wird. Dass er sich keinen Beeinflussungen von außen beugt und die Wahrheit feststellt.“ Mollaths Wahrheit.

Zudem stellt er Bedingungen: Eine Person seines Vertrauens solle mit dabei sein, und die Gespräche mit dem Gutachter sollten in Wort und Bild festgehalten werden, „die mir dann uneingeschränkt zur Verfügung stehen. Damit ich auch Ihnen zeigen kann, wie ich mich in einer solchen Situation verhalten habe“, sagt Mollath. Verteidiger Strate indes glaubt, er müsse sich gar nicht mehr begutachten lassen. „Das ist meine Einschätzung, wie die bayerische Justiz mit dem Fall umgehen wird.“

Zum Schluss der Sendung bleibt die Frage im Raum, was es mit einem Menschen macht, der wirklich in den Fallstricken einer Psychose steckt: Ist der Medienrummel dann nicht sogar ein Verstärker? Der Studiogast wirkt, als würde er ihn gelassen zur Kenntnis nehmen, gleichzeitig aber kräftig austeilen und für seine Wahrheit kämpfen. Beckmanns Talk war dabei nur die erste Runde. Interview um Interview wird folgen.

Am Ende werden es wieder Richter sein, die in Regensburg wohl Ende des Jahres prüfen müssen: War all dies nur ein Hirngespinst, was Gustl Mollath damals in langen Pamphleten an Steuerbehörden, Richter und Staatsanwälte schickte?