Sieben Jahre war Gustl Mollath in der Psychiatrie eingesperrt. Jetzt muss er seine überraschende Freilassung verarbeiten. Bayerns Justizministerin bleibt in der Kritik.Mollath will vollständig rehabilitiert werden

München. So abrupt er in die Psychiatrie eingewiesen wurde, so unvermittelt muss sich Gustl Mollath jetzt wieder in der Freiheit zurechtfinden. Nur wenige Stunden hatte er Zeit, seine Sachen zu packen, dann stand er – nach siebeneinhalb Jahren in der Psychiatrie – plötzlich auf einem Parkplatz vor dem Bezirksklinikum Bayreuth. In der Hand eine Topfpflanze und den Kopf noch voller Gedanken, wie es weitergehen kann. Die Nürnberger Richter begründeten ihre Entscheidung auf Freilassung mit Zweifeln an einem Attest einer Arztpraxis. Die Praxis hatte vor Jahren die angeblichen Verletzungen dokumentiert, die Mollath seiner Ehefrau zugefügt haben soll. Nach Angaben des Gerichts war Mollaths Frau im Juni 2002 jedoch nicht von ihrer Hausärztin, sondern von deren Sohn untersucht worden. Damit sei das Attest ein „falsches Dokument“, was nach der Strafprozessordnung eine Wiederaufnahme des Verfahrens rechtfertige.

In einem ersten Interview kündigt Mollath an, die Auseinandersetzung in einem rechtsstaatlichen Prozess zu suchen. „Ich rechne mit großem Aufwand und viel Quälerei. Aber ich will vollständig rehabilitiert aus diesem Prozess gehen“, sagt er der „Süddeutschen Zeitung“. Zugleich übte er Kritik an Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU), die so tue, als habe er ihr die Wiederaufnahme seines Falles zu verdanken. Mollath will ein Buch schreiben, um seine Geschichte zu erzählen. „Es gibt viele Bürger, die nicht nur mein Fall interessiert, sondern das ganze System der Psychiatrie“, zitiert ihn die Zeitung. Es sei daher dringend erforderlich, „dass schlimme Dinge und grausame Schicksale an die Öffentlichkeit kommen, von denen sich die breite Bevölkerung keine Vorstellungen macht“.

Mollaths Anwalt Gerhard Strate kündigt für den Fall eines Freispruchs im Wiederaufnahmeverfahren einen Schadenersatzprozess gegen den bayerischen Staat an. Das werde wahrscheinlich ein sehr kurzes Verfahren werden und zugleich mit der Rehabilitierung Mollaths verbunden sein, sagte der Hamburger Anwalt im Bayerischen Rundfunk. Das sei aber im Moment eher nebensächlich. Auf keinen Fall werde sich Molath psychiatrisch begutachten lassen. „Es gibt keinen Hinweis, dass er unter einem Wahn gelitten hat.“

Besonders wichtig ist dem prominenten Ex-Patienten zunächst der formelle Nachweis seiner bürgerlichen Existenz: „Herr Mollath macht sich Gedanken, wie er jetzt schnellstmöglich an einen Ausweis kommen würde“, sagte seine Anwältin Erika Lorenz-Löblein. Aber es stellen sich noch ganz andere Fragen: wo wohnen, wie Geld verdienen, wer verhilft mir zu meinem Recht? Denn der 56 Jahre alte Ingenieur ist wohl mittellos. Seine persönlichen Habseligkeiten soll seine Ex-Frau beim Verkauf des gemeinsamen Hauses entsorgt haben.

„Er ist intelligent genug“

Geld hat er zwar keines – aber viele Freunde. An der Klinikpforte wurde Mollath von einem Mitglied seiner Fan-Gemeinde abgeholt: Robert Lindner aus Hersbruck, ein alter Schulfreund, war mit seinem weißen Transporter vorgefahren, um Mollath vorerst zu sich zu holen. „Um Herrn Mollath muss man sich keine Sorgen machen. Er ist intelligent genug, für seine Zukunft zu sorgen“, sagt Gerhard Dörner. Der ehemalige Altenpfleger aus Nürnberg gehört zum gut organisierten Unterstützerkreis: Seit Jahren kämpfen sie für ihren Gustl. Und das soll so weitergehen. Mollath sei bei einem Freund gut untergebracht. Wo genau, wollte er nicht sagen. „Ich habe das Gefühl, dass Mollath jetzt aber erst mal seine Ruhe braucht“, sagt Dörner. „Und wenn Strate jetzt aktiv wird, kommt er sehr bald zu Mitteln“, sagt Dörner.

„Das wird eine größere Summe sein“, schätzt auch Wilhelm Schlötterer aus dem Kreis der Mollath-Unterstützer. Der pensionierte hohe Ministerialbeamte glaubt, dass sich viele Amtsträger bis hinauf in die Ministerebene „schuldig gemacht“ haben und deswegen jetzt „strafrechtlich und haftungsrechtlich zur Rechenschaft gezogen“ werden müssen. Schlötterer ist als erbitterter CSU-Kritiker bekannt. In seinem jüngsten Buch „Wahn und Willkür – Strauß und seine Erben oder wie man ein Land in die Tasche steckt“ widmete er einen großen Abschnitt dem Fall. Er erkennt ein „Zusammenspiel“ vieler, die Mollath zu Fall brachten. Seit 2011 hat er Kontakt zu Mollath, der ihm aus der Psychiatrie geschrieben hatte. Zunächst war er vorsichtig, habe dann aber „sofort erkannt, was da gespielt wurde“, sagt Schlötterer.

Auch bei Dörner lebt der Glaube fort an die große Verschwörung von Politik, Wirtschaft und Justiz. „Das war eine konzertierte Aktion, da ist mit Vorsatz gearbeitet worden“, sagt er. Gemeint sind die dubiosen Geldgeschäfte von Mollaths ehemaliger Frau. Als sie bei der Hypovereinsbank Nürnberg arbeitete, soll sie Geld von Kunden zur Steuerersparnis in die Schweiz geschafft haben. Mollath hatte dies zur Anzeige gebracht und später auch in seiner Verteidigungsschrift dargestellt. Aber weder das Gericht noch die Steuerbehörden leiteten Ermittlungen ein. Mollaths Darstellung war offenbar zu wirr. Sie wurde mitentscheidend für seine Zwangseinweisung. Ein Revisionsbericht der Bank bestätigte später einige Vorwürfe. Nach dem Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg zur Wiederaufnahme wird auch darüber neu verhandelt werden.

In Bayerns Justiz befürchtet man, dass Mollath durch die Talkshows ziehen wird, um Geld zu verdienen – und Stimmung zu machen. Bayerns Justizministerin sei „unfähig, untragbar und eine Zumutung für das bayerische Volk“, sagt SPD-Fraktionsvize Inge Aures. „Erst legt sie die Hände in den Schoß, ist 20 Monate untätig – und will nun den Anschein erwecken, sie sei die Retterin von Herrn Mollath. Das ist billige Polemik und ein Beweis für die Charakterlosigkeit dieser Frau.“ Grünen-Fraktionschef Martin Runge kritisiert: „Dass der Ruf der bayerischen Justiz massiv Schaden genommen hat, das ist auch dem unsäglichen Verhalten der Justizministerin zuzuschreiben.“ Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) müsse sie entlassen.