Traditionsschiffe sehen sich dem Druck der Behörde ausgesetzt und fürchten das Aus. Es geht auch darum, wer über Geschichte auf See entscheidet

Greifswald. York Haase lehnt an der Reling. Der Wind bläst leise durch den Greifswalder Museumshafen und durch Haases Haar. Der Skipper erzählt von damals, Ende der Neunziger, als er einen alten Rumpf im Hafen der dänischen Stadt Rudkøbing entdeckte. Für sechs dänische Kronen kaufte er mit ein paar Freunden den Kahn, sie schleppten ihn per Schiff nach Greifswald. Monatelang schliffen, schweißten und schrubbten sie, errichteten einen Mast, bauten Kajüten ein, kauften Segel und Taue. Es gab Tage, da ackerten sie 18 Stunden an dem Schiff, alles in ihrer Freizeit. Es ging nicht um Paragrafen und Richtlinien. Es ging ums Anpacken und das Abenteuer, um Tradition und Bildung. Vielleicht auch um ihre eigene Vision. Sie nannten sie „Lovis“, wie die Mutter von Ronja Räubertochter.

Eigentlich sollte der Traditionssegler Lovis in diesen Tagen durch die Dänische Südsee fahren. Zu den weit mehr als 60.000 Seemeilen der Lovis sollten wieder einige Meilen dazukommen. Doch außer Haase ist niemand an Deck, über dem Steuer liegt eine Plane gegen Regen, und an den Seilen hängt ein großes Transparent: „Traditionsschiffe retten.“ Für die Crew der Lovis geht es mittlerweile um Paragrafen und Richtlinien. Es geht um die Frage, was Tradition auf See überhaupt ist. Und vor allem: Wer darüber entscheiden darf.

Die Gemeinsame Kommission für Historische Wasserfahrzeuge (GSHW e.V.) ist der Interessenverband der Traditionsschiffe. 2007 gab es laut GSHW noch 150 Traditionsschiffe in Deutschland, also historische Frachter, Segler und Dampfschiffe, die im Original erhalten sind oder originalgetreu nachgebaut wurden. Die Schiffe sollen ehrenamtlich betrieben werden, die Crew soll Gästen über die Geschichte der Seefahrt erzählen. Und das Schiff muss sicher sein. Dafür darf es ohne Berufskapitäne fahren und bekommt beispielsweise beim Brandschutz Ausnahmen.

Für die GSHW geht es mittlerweile um die Existenz der Traditionsflotte in Deutschland. Nach ihren Angaben gibt es heute noch etwa 100 Traditionsschiffe. Die Flotte sei in gerade einmal sechs Jahren um ein Drittel geschrumpft. Und für einige Boote wie die „Freedom“ in Eckernförde, einen Originalnachbau des Balearenschoners „Isla Ebunita“, wird es nun eng, auch für das Plattbodenschiff „Anna Lisa“ in Wischhafen. Und für die „Lovis“ in Greifswald. Wer mit Betreibern von Traditionsschiffen spricht, hört viel Unsicherheit und auch Wut. Die Auflagen seien massiv verschärft worden, die Behörden würden den historischen Wert zunehmend in Frage stellen. Von Willkür ist die Rede. Das ist ihre Sicht auf die letzten Jahre.

Es war die Crew der Lovis, die jetzt an die Öffentlichkeit ging. Und ihre Sicht der Dinge haben inzwischen fast 12.000 Menschen in einer Petition im Internet unterschrieben. „Bildung auf See braucht Schiffe in Fahrt“, schreiben sie. Die Lovis fordert den Erhalt von Freiräumen – auch für Seminare zu politischen Themen. „Unser Engagement wird von den Behörden mit den Füßen getreten“, sagt York Haase. Hier die Ehrenamtler, die sich einsetzen, da die strikten Auflagen der Behörden, die diesen Einsatz kaputt machen – so nimmt es der Skipper wahr. Aber das ist nur ein Kapitel dieser Geschichte.

Wer das andere Kapitel hören will, muss mit der Dienststelle für Schiffssicherheit bei der Berufsgenossenschaft für Transport und Verkehrswirtschaft sprechen. Sie vergibt die Sicherheitszeugnisse. Die Flotte sei nicht geschrumpft, heißt es dort und im Verkehrsministerium in Berlin. Auch die rund 30 Traditionsschiffe in den Hamburger Museumshäfen haben bisher keine Probleme mit Lizenzen.

Doch bei der Dienststelle habe man „bei einigen Fällen wie der ‚Lovis‘ Bedenken“. Die Fahrerlaubnis der „Lovis“ lief Ende Juni aus. Die Behörde stellt derzeit kein neues Zeugnis aus. „Letztendlich geht es dabei um die Sicherheit von Besatzung und Passagieren“, sagt Kai Krüger. Seine Dienststelle stellt auch den historischen Wert und das Betreiberkonzept in Frage. Man habe Auflagen und Richtlinien, nach denen müsse man sich nun einmal richten.

Wer den Konflikt verstehen will, muss eintauchen in diese Welt der Gesetze. 2009 entschied das Oberverwaltungsgericht Hamburg im Fall eines Traditionsschiffes gegen die Vergabe der Lizenz. Die Entscheidung des Gerichts ist ein Wendepunkt in der Geschichte der Traditionsschiffe. Die Betreiber hätten nicht nachweisen können, dass ihr Schiff ein „historisches Wasserfahrzeug ist, das hauptsächlich mit den Originalwerkstoffen im Original und als Einzelnachbildung gebaut wurde“. Die Dienststelle sagt heute: „Seit der Entscheidung prüfen wir genauer nach, ob es ein historisches Schiff ist.“ Und damit prüft sie auch strikter die Privilegien. Aus Sicht des Verkehrsministeriums stehen Traditionssegler wie die „Lovis“ in Konkurrenz zur Berufsschifffahrt. Wer mit Fachleuten aus der Szene spricht, erfährt auch von Fällen, in denen auf umgebauten Fischkuttern Angeltouren veranstaltet wurden. Unter dem Deckmantel der Traditionsschifffahrt. Es sind auch diese Einzelfälle, die den Druck der Behörden auf Traditionssegler erhöhten. Obwohl die Betreiber wie die der „Lovis“ Bildungsreisen anbieten. Und keine Angeltouren. Über Jahre hat die Behörde den Betreibern der „Lovis“ das Sicherheitszeugnis ausgestellt. Am Ende gab es keine Bedenken, die Gutachten wurden akzeptiert. Seit einiger Zeit ist das anders.

28 Meter ist die „Lovis“ lang, fünf Meter breit. Passanten an der Kaimauer fotografieren Rumpf, Takelage und Taue. Früher gehörte dieser Rumpf zu einem Dampfschiff. Nun hat die „Lovis“ Segel. Und da begann für die Behörden das Problem. Es sei kein Original.

Noch immer ist die „Lovis“ bedroht: Die Behörde sieht Mängel beim Brandschutz

Bei der „Lovis“ aber wollte man nie ein Original sein. Sie bauten ihr Schiff nach dem Vorbild der „Wilhelm Lühring“, eines Frachtloggers aus der Wendezeit des 20.Jahrhunderts. Haase legte der Dienststelle alte Bilder und einen Grundriss der „Wilhelm Lühring“ vor. Doch für die Behörde reichten die Dokumente nicht aus, um den Nachbau zu prüfen. „Wir können nicht mehr liefern“, sagt Haase. Fast alle Unterlagen zur „Wilhelm Lühring“ seien bei einer Sturmflut verloren gegangen. Und die Behörde könne so nicht mehr tun.

Die Front zwischen „Lovis“ und Behörde ist zu einem Stellungskrieg aus Gesprächen, Emails, Briefen geworden. Immer mehr Schiffe zeigen Solidarität mit der „Lovis“. Auch aus eigener Sorge. Der Druck auf die Politik wächst. Nach einem Dialog mit den Beteiligten verkündete das Verkehrsministerium: „Zukunft der Traditionsschiffe gesichert“. Künftig soll nicht mehr die Dienststelle für Sicherheit über den historischen Wert der Schiffe entscheiden, sondern externe Fachleute. Die Sicherheitsrichtlinie werde neu erarbeitet, damit Klarheit statt Unsicherheit herrsche. Solange gilt zwei Jahre lang Bestandsschutz für die Schiffe. Für das Ministerium sind zufriedene Traditionssegler auch im Wahlkampf nicht unwichtig.

Bei der Dienststelle ist man „nicht glücklich, denn das verschiebt nur das Problem in die Zukunft“. Und auch für die „Lovis“ ist die Zukunft unsicher. Es geht nun nicht mehr um die Geschichte, sondern die Sicherheit. Das prüft weiter die Dienststelle. Man sehe beim Brandschutz die Anforderungen nicht erfüllt.

Es ist weiteres Kapitel dieser Geschichte. Erst Ende Juli soll es ein Expertengespräch geben. Den Betreibern der „Lovis“ läuft die Zeit davon; ihnen droht das Aus. Die Frauen, die nun eigentlich durch die Dänische Südsee segeln sollten, mussten auf andere Touren ausweichen. Nimmt man es mit der Geschichte genau, dann dürften sie ohnehin nicht auf der „Lovis“ mitfahren. Früher gab es keine Frauen an Bord.