Burschenschaften von Schülern aus ganz Deutschland treffen sich in Hamburg. Manche hetzen mit völkischen Ideen. Doch wie mächtig sind die Bünde?

Hamburg. Es liest sich wie die harmlose Anzeige für einen Freizeittreff: „Partys, geniale Reisen überallhin, Schule, Studien und Berufshilfe und vieles mehr.“ So wirbt die Schülerburschenschaft Chattia Friedberg zu Hamburg im Internet um neue Mitglieder. Im Semesterprogramm stehen ein Sommerfest, Fahrten und Stammtische. Man richte sich an Jugendliche ab 16 Jahren. Das ist die Oberfläche.

Wer in die Welt der Burschenschaften vordringen will, muss mühsam vorarbeiten: über zahme Einträge auf Facebook, über Verfassungsschutzberichte, interne Dokumente, Aussagen von Aussteigern. Das harmlose Bild der Chattia als spaßige Verbindung aus Schülern und „Alten Herren“ weicht dem einer konspirativen Gruppe, schwer einsehbar für Außenstehende, aber klar in der Haltung: Und die ist laut Verfassungsschutz eindeutig rechtsextrem. Am Sonnabend findet das bundesweite Jahrestreffen der Schülerburschenschaften in Hamburg statt. Ausrichter ist der Dachverband „Allgemeiner Pennäler Ring“ (APR), das größte Bündnis der Bewegung. Auch die Chattia ist dabei.

Ein paar Absätze unter der Einladung zu Partys und Reisen verrät die Chattia mehr über ihre Ideologie. „Volkstum, Wahrheit, Recht“, heißt es vor einem schwarz-weiß-roten Banner, den Farben der Verbindung. Und die der Reichskriegsflagge. „Wir fordern Männer, die bereit sind, ihr Ich hinter die Gemeinschaft zurückzustellen und die bereit sind, die ewigen Ideale Deutschlands zu leben.“ Dann schreiben sie viel von Ehre, Kameradschaft und dem Stolz auf das Deutschsein – Vokabeln, die sich auch in der Rhetorik rechtsextremer Parteien wie der NPD finden. Und immer geht es auch um die deutsche Geschichte. 1815, zur Zeit der Befreiungskriege gegen Napoleon, ist Deutschland ein zersplittertes Territorium: In Jena gründen Studenten die „Urburschenschaft“. 1817 demonstrieren Hunderte Studenten auf der Wartburg bei Eisenach für ein geeintes Deutschland, damals eine mutige und moderne Forderung gegen die reaktionären Fürsten. Heute schreibt die Chattia, die deutsche Geschichte bestehe nicht nur aus zwölf Jahren: Sie meinen Nationalsozialismus und Holocaust.

Zu den Männerbünden gehören das Fechten und die Geselligkeit, Fahnen und uniformes Äußeres. Bilder, die gut ins 19.Jahrhundert passen. Seit Jahren machen Bünde negative Schlagzeilen. 2011 sangen Burschen das Deutschlandlied auf der Wartburg, inklusive erster Strophe. Vor allem Verbindungen aus dem Dachverband Deutsche Burschenschaft (DB) mit 10.000 Mitgliedern fallen auf: Unverhohlen propagieren einige ein rassistisches und völkisches Weltbild. Seit zwei Jahren diskutiert der Verband, ob nur Bürger deutscher Abstammung aufgenommen werden dürfen. Eine Art „Arier-Nachweis“. Der Chefredakteur der Verbandszeitung löste einen Skandal aus, weil er den Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer einen „Landesverräter“ nannte.

Innerhalb der Burschenschaften gibt es mehrere Strömungen – von liberal und konservativ bis deutschnational und rechtsextrem. Nach Angaben der Politologin Alexandra Kurth ist nur eine Minderheit extrem rechts.

Auch innerhalb der Szene stößt der Rechtsruck auf Kritik. Liberale Burschenschaften traten aus dem Verband aus. 2010 klagten sie über „mangelhaftes Demokratieverständnis“ und „Kokettieren mit Nazi-Symbolik“. Doch andere Verbindungen nehmen die ganz rechten Strömungen kritiklos hin.

Es gab Klagen über „mangelhaftes Demokratieverständnis“

Vor allem seit Mitte der 1990er-Jahre sind einige Bünde systematisch auch Teil der Strategie von Rechtsextremen. Der Neonazi-Ideologe Jürgen Schwab schreibt 1996 in der mittlerweile eingestellten Zeitschrift „Staatsbriefe“, Verbindungshäusern komme „in politischer Hinsicht eine Schlüsselfunktion“ zu. Burschenschaftliche Abende könnten als „Band zwischen Burschenschaften einerseits und nationaler Opposition andererseits“ dienen. Schwab begrüßte eine Stärkung der „nationalen Fraktion“ im Dachverband.

Das Netzwerk der Burschenschaften reicht bis zu Minderjährigen. In etwa 120 „Pennalen Burschenschaften“ organisieren sich Schüler in Bünden. Mal sind es lockere Zusammenschlüsse von befreundeten Abiturienten, öfter auch straff disziplinierte Rekrutierungsbecken für die akademischen Bünde. In Hamburg sind neben drei studentischen Bünden auch drei Schülerburschenschaften aktiv. Die Chattia soll zwischen 30 und 40 Mitglieder haben. Es ist nach Informationen des Abendblatts eine von vier Burschenschaften in Deutschland, die von den Sicherheitsbehörden derzeit beobachtet werden. Doch wie gefährlich sind die Chatten? Und wie viel Macht haben die Burschenschaften an den Schulen?

Wer Bilder von Treffen junger Burschenschafter im Internet anschaut, sieht meist Männer zwischen 20 und 40 Jahren, einstmals Schüler oder Auszubildende, und nur noch wenige junge Gymnasiasten. Nachwuchs scheint offenbar Mangelware. Die Chattia wurde 1989 im hessischen Friedberg gegründet. Mitte der 90er siedelte sie nach Hamburg um – und wurde auch von Jochen Schmutzler aufgebaut, einem langjährigen Mitglied der NPD. 2005 veröffentlichten die Chatten eine Anzeige im NPD-Monatsblatt „Deutsche Stimme“, um neue Burschen zu gewinnen. 2008 erschien das Buch „Blutzeugen – Beiträge zur Praxis des politischen Kampfes in der Weimarer Republik“ im rechtsextremen Nordland-Verlag. Der Autor: André Busch, Mitglied der Chattia. Er starb 2010. Auch zuletzt fiel die Burschenschaft auf: Als sie im April zu einem Säbelfechten mit einer Kieler Burschenschaft einlud, tauchte Björn Neumann auf, Top-Mann der Hamburger NPD. „Es gibt Anhaltspunkte, dass einige Mitglieder neonazistisch ausgerichtet sind und der NS-Zeit positiv gegenüberstehen“, sagt Torsten Voß, stellvertretender Leiter des Hamburger Verfassungsschutzes.

„Schüler sollten sehr aufmerksam sein, wenn sie von Burschenschaften angesprochen werden“, sagt Voß. Auch wenn sich die Chattia in den vergangenen Jahren mehr abgeschottet habe – die Zielrichtung bleibe jugendlicher Nachwuchs, der dann in einer demokratiefeindlichen Gruppe mit nationalistischen, revisionistischen und völkischen Ansichten landen würde. Dennoch gebe es keine Hinweise darauf, dass die Chatten auf dem Schulhof rekrutieren. Auch Felix Krebs vom Hamburger Bündnis gegen Rechts schätzt den Einfluss der Burschenschaften an Schulen gering ein. Seit vielen Jahren beobachtet Krebs die Szene. Die Chattia sieht er eher als Kaderschmiede für bereits überzeugte Rechtsradikale. Das Bündnis hat Proteste vor Ort gegen die Burschenschaften angekündigt.

Wie Krebs beschreiben auch andere Kenner der Szene die Chattia als Vorfeldorganisation der größeren studentischen Burschenschaft Germania in Hamburg. Auch Germania lud laut Verfassungsschutz in der Vergangenheit Neonazis zu Vorträgen ein. Auf der Internetseite nennt die Burschenschaft Wehrmachtssoldaten „Helden“ und Deserteure „Verräter“. Der Sitz der Germania an der Sierichstraße ist ein herrschaftliches Haus im schönen Winterhude. Da die Chattia selbst keine Räume hat, stellt Germania dem Nachwuchs an diesem Wochenende ihr Haus für das Treffen des Dachverbandes APR bereit.

Ein Mitglied der Chattia, das sich Felix Amsel nennt, weist auf Nachfrage des Abendblatts die Vorwürfe zurück. Die Burschenschaft sei weder rechts noch rechtsextrem. Es herrsche eine „regelrechte Pogromstimmung gegen meine Burschenschaft“, schreibt er. Zu Programm, Gästen und politischer Ausrichtung des Treffens in Winterhude könne er keine Auskünfte geben.

Ob die Schülerburschen in Hamburg zum Säbel greifen, bleibt verborgen

Abschotten nach außen, nach innen die Identität prägen: So funktioniert es bei der Chattia, bei der Germania und anderen Verbindungen, Netzwerke, die hineinreichen in Kultur, Wirtschaft und Politik. „Als Bursche bleibt man normalerweise ein Leben lang dabei“, schreibt die Chattia. Wer erwachsen und erfolgreich ist, kümmert sich um die Jungen. Auch der mächtige Dachverband DB half der Hamburger Chattia in der Vergangenheit. So zeigen interne Tagungsunterlagen vom Burschentag 2005, die dem Abendblatt vorliegen, dass die Chatten Geld für das „pennale Säbelfechten“ benötigten. Der Beauftragte des „burschenschaftlichen Fechtens“ genehmigte daraufhin 200 Euro.

Ob die Schülerburschen auch an diesem Wochenende in der Hansestadt Hamburg zum Säbel greifen, bleibt Außenstehenden verborgen. Am bekannten Schmiss der Studenten, der Narbe an der Wange, wird man die Schüler nicht erkennen. Laut Ehrenordnung schlagen sie nicht auf den Kopf. Sondern mit dem stumpfen Säbel auf den nackten Oberkörper.