Der Koalitionsvertrag von Union und FDP enthält viele Großprojekte, die nicht realisiert wurden. Das spüren die Bürger auch im Portemonnaie.

Berlin. Bis zur Bundestagswahl am 22. September kommt der Bundestag nur noch zu zwei Sondersitzungen Anfang September zusammen. Im Koalitionsvertrag hatten Union und FDP bei Regierungsantritt vor vier Jahren etliche Vorhaben vereinbart. Diese Schwerpunkte haben sie noch nicht abgearbeitet:

Steuern: Die angekündigte Steuerentlastung um bis zu 24 Milliarden Euro im Jahr blieb aus. Eine Minireform, durch den Umbau des Einkommensteuersystems die „kalte Progression“ zu mindern, scheiterte am Widerstand der Länder. Vom Tisch ist ein Stufentarif. Gescheitert sind eine Reform der Gewerbesteuer und eine Neuregelung der Kommunalfinanzen. Die Reform des Mehrwertsteuersystems wurde verfehlt. Das Steuerabkommen mit der Schweiz trat wegen des Länderwiderstands ebenfalls nicht in Kraft. Pläne zur breiten Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung wurden aus Kostengründen aufgegeben. Im Kern blieb es beim deutschen Modell zur Konzernbesteuerung statt einer modernen Gruppenbesteuerung.

Banken: Die Neuordnung der Bankenaufsicht wurde nicht so umgesetzt wie geplant. Eigentlich sollte die Bankenaufsicht in Deutschland bei der Bundesbank konzentriert werden. Bundesbank und Finanzaufsicht BaFin teilen sich aber nach wie vor die Kontrolle.

Energie: Zunächst hatte die Regierung 2010 eine deutliche Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke beschlossen. Dann sorgte sie 2011 nach der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima mit einer 180-Grad-Wende für den Atomausstieg bis 2022. Zum Problem hat sich entwickelt, dass die über den Strompreis zu zahlende Umlage zur Förderung erneuerbarer Energien sich unter Schwarz-Gelb mehr als verdoppelt hat. Eine Kostenreform scheiterte an der Uneinigkeit zwischen Bund und Ländern.

Innen: Das mit Abstand größte Vorhaben im Innenressort war im Koalitionsvertrag 2009 nicht abzusehen: Als im November 2011 die verstörenden Verbrechen der rechtsextremen Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) ans Licht kamen, wurde klar, dass die Sicherheitsbehörden dringend reformbedürftig sind. Die Terroristen waren jahrelang mordend und raubend durchs Land gezogen, ohne dass Polizei und Nachrichtendienste ihnen auf die Spur kamen. Beim Verfassungsschutz hat bereits ein größerer Umbau begonnen, der sich aber noch länger hinziehen wird.

Justiz: Das Dauerstreitthema Vorratsdatenspeicherung wird wohl bis zum Ende der Legislaturperiode ungelöst bleiben. Dabei geht es um die anlasslose Speicherung von Telefon- und Internetverbindungsdaten der Bürger zu Fahndungszwecken. Das Bundesverfassungsgericht hatte eine entsprechende Regelung 2010 gekippt. Im Koalitionsvertrag stand dazu lediglich, dass das Urteil abgewartet werden soll. Seitdem streiten aber Union und FDP über die Neufassung. Die EU-Kommission hat Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt, weil Berlin das entsprechende EU-Gesetz nicht in nationales Recht übertragen hat.

Rente: Das gegen Altersarmut vereinbarte Konzept einer Lebensleistungsrente wurde auf die Zeit nach der Wahl verschoben. Geplant war, dass Menschen, die ein Leben lang Vollzeit gearbeitet und privat vorgesorgt haben, auch als Geringverdiener ein Alterseinkommen oberhalb der Grundsicherung erhalten. Dieses soll bedarfsabhängig und steuerfinanziert sein. Auch die Besserstellung älterer Mütter bei der Rente muss noch warten. Nicht umgesetzt wurde die im Koalitionsvertrag versprochene Rentenangleichung in Ost- und Westdeutschland.

Gesundheit: Das seit Jahren geplante Gesetz zur Gesundheitsvorsorge ist in der letzten Sitzungswoche von der Koalition im Bundestag beschlossen worden. Angesichts der ablehnenden Haltung von SPD und Grünen ist aber sehr fraglich, ob das Gesetz noch durch den Bundesrat kommt. Entschieden wird dort zwei Tage vor der Bundestagswahl.

Pflege: „Wir wollen eine neue, differenziertere Definition der Pflegebedürftigkeit“, verabredeten Union und FDP 2009. Die Demenzkranken sollen verstärkt in die Pflegeversicherung eingruppiert werden. Noch Ende Juni legte ein Expertenbeirat Vorschläge vor – eine entsprechende Reform in dieser Wahlperiode ist aber nicht mehr möglich. Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP), aber auch SPD und Grüne haben versprochen, eine große Reform nach der Wahl angehen zu wollen.

Verteidigung: Hier haben Union und FDP gegen ihren Vertrag verstoßen. Sie wollten den Wehrdienst von neun auf sechs Monate verkürzen, aber die Wehrpflicht erhalten. Zum 1. Juli 2011 wurde der Pflichtdienst durch einen Freiwilligendienst ersetzt. Gleichzeitig leitete Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) eine große Bundeswehrreform ein.