An diesem Donnerstag feiert die SPD ihr 150. Jubiläum in Leipzig. Die Sozialdemokraten stecken in der Klemme. Ihre Ideen wurden von anderen übernommen. Das schmälert ihren Erfolg.

Hamburg. Verboten, verraten, verkauft – die SPD liefert ausreichend Stoff für Historiendramen. Und das seit 150 Jahren. Allerdings sollte man die Partei von August Bebel, Friedrich Ebert, Willy Brandt, Helmut Schmidt und Sigmar Gabriel nicht nur als Projektionsfläche für politisches Theater sehen. An Wendepunkten der neueren deutschen Geschichte haben Sozialdemokraten gestaltet, gewarnt oder einsam gestanden mit ihrer Position.

An diesem Donnerstag feiert die SPD ihr Jubiläum in Leipzig und erinnert an Ferdinand Lassalles Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins 1863. Der Parteivorsitzende Sigmar Gabriel sagte, damals wie heute gehe es darum, die Auswüchse des Kapitalismus zu bekämpfen: „Es kann nicht wahr sein, dass wir Hunderte von Milliarden Euro ausgeben müssen, um immer wieder unsere Volkswirtschaften vor den Spekulationen an Finanzmärkten zu retten und gleichzeitig halb Europa in eine Wirtschaftskrise treiben.“

Gabriel machte noch einmal das Staatsverständnis der SPD deutlich, das sich durch die Historie zieht: „Es kann auch nicht wahr sein, dass wir der Überzeugung sind, dass sozusagen der Wettbewerb und der Markt alles regeln und die Politik sich raushalten soll.“ Mit dieser Haltung standen Sozialdemokraten seit jeher gegen die andere große politische Richtung, den Liberalismus, der größtmögliche Freiheit in Politik und Wirtschaft einfordert. Allerdings spaltete sich die Partei schon immer in die, die voll auf den Staat vertrauen, und die, die dem freien Unternehmertum ein Spielbein gönnen. „Beinfreiheit“ nennt das der Kanzlerkandidat 2013, Peer Steinbrück. Der Hamburger Steinbrück fremdelt mit der SPD-Heimeligkeit, die auf ausgleichende Gerechtigkeit setzt und notfalls auf strenge Umverteilung von oben nach unten. Steinbrücks Vorfahren waren Mitbegründer der Deutschen Bank. „Ich hab mal prüfen lassen, ob ich da noch Ansprüche habe“, hat Steinbrück mal erzählt.

Schon Lassalle war nicht das, was man heute einen in der Wolle gefärbten Sozi nennen würde. Der Sohn aus einer wohlhabenden jüdischen Familie hatte engen Kontakt zu Karl Marx und dessen Kommunistisches Manifest sorgsam studiert. Doch so recht anfreunden konnte sich Lassalle nicht mit dem Zerrbild, dass der Staat nur dazu da sein soll, die Arbeiterklasse zu unterdrücken. Wie so viele und vieles in der Parteigeschichte blieb Lassalles Arbeit unvollendet. Er starb gut ein Jahr nach Gründung des ADAV im Anschluss an ein Duell um eine Frau. Noch im Kaiserreich wackelte die SPD immer hin und her zwischen radikalen Sozialisten und reformerischen Sozialdemokraten. Gebeutelt vom Parteiverbot durch das Sozialistengesetz, irrlichterte die Partei durch die frühe Phase des deutschen Parlamentarismus. Die Zustimmung zu den Kriegskrediten 1914 wird der SPD angelastet. In ihrem Verhältnis zum Patriotismus ist sie bis heute gespalten.

Sozialdemokraten riefen 1918 die Republik aus und verteidigten sie gegen die Feinde vom linken und rechten Rand. Sozialdemokraten sperrten sich gegen die Selbstentmachtung des Reichstags 1933. Sozialdemokraten sorgten für „Wandel durch Annäherung“ im Kalten Krieg und zauderten, als 1990 die schnelle Chance auf eine deutsche Wiedervereinigung bestand. Die alte Tante SPD, die Programmpartei, wurde mehr als einmal von der gesellschaftlichen Realität übertölpelt.

Selbst Willy Brandts Kanzlerschaft blieb unvollendet, weil er wegen der Guillaume-Affäre um die Bespitzelung durch den DDR-Spion zurücktrat. Auch der realpolitische, mit Wirtschaftskrise und RAF-Terror kämpfende Kanzler Helmut Schmidt blieb „nur“ acht Jahre im Amt. Der Koalitionspartner FDP kam ihm 1982 abhanden. Da war das ganze Land längst sozialdemokratisiert, waren Arbeitnehmerrechte umfangreich verankert, hatten auch die kleinen Leute ihren großen Anteil am Wirtschaftswunder, hatten sich auf fast allen Ebenen von Wirtschaft und Gesellschaft Mitbestimmung und Gleichberechtigung entwickelt. Die SPD hatte ihr Netz von Arbeitsgemeinschaften, parteinahen Verbänden und Interessenvertretern gesponnen – nicht nur als Klüngelverein, sondern auch, um überall Bürger mitreden zu lassen: in Betriebs- und Aufsichtsräten, in Wohltätigkeitsorganisationen, Frauenbewegung, Rundfunkräten.

Um den Parteivorsitz wurde oft gekungelt, fast ausschließlich waren Männer beteiligt. Die Landesfürsten Gerhard Schröder, Oskar Lafontaine und Rudolf Scharping boxten einander so heftig, bis Schröder 1998 im Kanzleramt saß. Auch Schröder blieb als Kanzler unvollendet. Viele Genossen werfen ihm vor, die Partei verraten und seine Seele verkauft zu haben. Schröders Agenda 2010 und die Wirtschafts- und Sozialreformen werden heute gefeiert. Er aber ließ unter großem parteiinternen Druck 2005 Neuwahlen ausrufen.

Wieder regiert heute eine Troika: Parteichef Gabriel, Kanzlerkandidat Steinbrück und Fraktionschef Steinmeier. Die Luft zwischen ihnen ist testosterongeschwängert. Dabei stellte die SPD die erste Ministerpräsidentin des Landes, Heide Simonis. Aber sie prägte aus bitterer Erfahrung heraus den Satz, dass man in Sitzungen nicht aufs Klo gehen dürfe, „sonst machen die Jungs das in der Zwischenzeit unter sich aus“.

In Leipzig feiert neben zahllosen Regierungschefs auch die CDU-Vorsitzende, Bundeskanzlerin Angela Merkel, die SPD. Ihr wird nachgesagt, sich in zwei Legislaturperioden „sozialdemokratisiert“ zu haben. Elterngeld, Kita-Ausbau, Generationengerechtigkeit, Frauenquote – Merkel hat die CDU für SPD-Themen geöffnet. Parteichef Gabriel bleibt in einem Beitrag zum Jubiläum dabei: „Heute wissen wir: Freiheit, Demokratie und soziale Gerechtigkeit setzen sich nicht einfach als geschichtliche Notwendigkeit durch.“ Soziale Errungenschaften könnten in Gefahr geraten. Deshalb werde man in weiteren 150 Jahren immer noch über die SPD reden. „Ich weiß nicht, ob man in 150 Jahren noch über Angela Merkel reden wird. Vermutlich eher nicht.“