Beim Gespräch mit Top-Managerinnen stärkt Kanzlerin Merkel Familienministerin Schröder den Rücken. Arbeitsministerin von der Leyen fehlt.

Berlin. Vor dem Kanzleramt bietet sich ein ungewohntes Bild. Eine Limousine nach der anderen fährt vor, doch im Fond sitzt kein Mann, sondern eine Frau. Mehr als 100 Frauen in Führungspositionen sowie junge weibliche Nachwuchskräfte hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eingeladen. Topmanagerinnen, Offizierinnen sowie Präsidentinnen von Instituten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik sind dabei. Sie sind gekommen, um mit der Kanzlerin anderthalb Stunden lang darüber zu sprechen, wie der Anteil von Frauen in Führungspositionen gefördert werden kann. Die Szenerie mutet wie ein Bild aus „Die Töchter Egalias“ an, jenem Feminismus-Bestseller von 1980, in dem die Frauen an der Macht sind und die Männer für ihre Emanzipation kämpfen.

Die Veranstaltung ist ein strategisch kluger Zug der Kanzlerin. Vier Wochen ist es her, dass einige Unionsfrauen den Aufstand probten und ankündigten, im Bundestag für einen Antrag der Opposition auf Einführung einer starren Frauenquote stimmen zu wollen. Als Rädelsführerin galt Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU), die offiziell lange offen ließ, wie sie stimmen würde. Am Ende ließ Merkel das Thema hinter den Kulissen mit einem Kompromiss abräumen: Die CDU bleibt vorerst bei der „Flexi-Quote“ der freiwilligen Selbstverpflichtung von Unternehmen. Ins Wahlprogramm soll aber eine gesetzliche Quote von 30 Prozent in Aufsichtsräten ab 2020 aufgenommen werden. Viele in der Union haben von der Leyen übel genommen, dass sie kurz vor der Bundestagswahl bei diesem Thema die Auseinandersetzung suchte. Die Quotenbefürworterinnen innerhalb und außerhalb der Union sind wiederum von Merkel enttäuscht.

Von der Arbeitsministerin ist beim Frauengipfel nichts zu sehen. Stattdessen erscheint Merkel demonstrativ mit von der Leyens Rivalin, Familienministerin Kristina Schröder (CDU), im Schlepptau, die im Quoten-Streit das von ihr propagierte Modell der Flexi-Quote verteidigte. Gefühlte 20-mal wird Merkel an diesem Vormittag Schröder erwähnen, ihre Arbeit und die Flexi-Quote loben. Der Name ihrer Arbeitsministerin fällt kein einziges Mal.

In „Schneckentempo“ muss Bewegung kommen

Aufgeräumt begrüßt die Kanzlerin ihre Gäste. Diese hätten „in gewisser Weise immer noch einen Seltenheitswert“. Denn der Frauenanteil in Führungspositionen sei immer noch „mager“ – trotz der Vereinbarung, die Bundesregierung und Arbeitgeberverbände im Jahr 2001 trafen. Zwar bewege sich auch etwas: Immerhin habe sich der Frauenanteil in den Vorständen der 200 größten Unternehmen von 2011 zu 2012 von drei auf vier Prozent gesteigert. In dieses „Schneckentempo“ müsse aber noch Bewegung kommen. Auch auf den Mittelstand und den Nachwuchs will Merkel dabei schauen: „Es geht um gleiche Chancen bei gleichen Qualifikationen“. Den ab August geltenden Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr nennt sie einen „qualitativen Fortschritt“ und kündigt an, dass auch die Betreuungszeiten künftig noch flexibler werden müssen. Bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf seien aber auch die Männer gefragt: „Ohne eine vernünftige Teilung der Arbeit wird es an vielen Stellen nicht gehen.“

Dann berichten Frauen aus ihrem Karrierealltag. Es sind bizarre Anekdoten: Ines Kolmsee, Vorstandsvorsitzende der SWK Stahl Metallurgie Holding AG, erzählt, wie sie nach der Geburt des ersten Kindes mit dem Finanzamt um die Anerkennung der Pendlerpauschale kämpfen musste. Es könne nicht sein, dass sie so viel gearbeitet habe, beschied ihr die Behörde zunächst. Schließlich habe sie ja gerade erst ein Kind bekommen. Sigrid Nikutta, Vorstandsvorsitzende der Berliner Verkehrsbetriebe, musste sich öffentlich als „Rabenmutter“ beschimpfen lassen, weil sie nach Antritt ihrer neuen Position ihr viertes Kind bekam. Sie habe auch erlebt, dass Besprechungen absichtlich in die Abendstunden verlegt worden seien: „Um zu sehen, wie ich das mit der Betreuung hinbekomme.“

Doch bei der Frage, wie die Missstände beseitigt und Unternehmenskulturen verändert werden können, gehen die Meinungen auseinander. Ohne Quote gehe es nicht, sagen einige Teilnehmerinnen. Andere wie Lencke Wischhusen, Bundesvorsitzende des Verbands „Die jungen Unternehmer“, halten nichts von starren Vorgaben. Die 27-jährige Geschäftsführerin rät, „die Chance, eine Frau zu sein zu nutzen“ und vom Exotenstatus zu profitieren,wenn man sich gezielt in Männerdomänen begibt. Einige weisen darauf hin, dass nicht nur die Rahmenbedingungen verändert werden müssen. Auch die Frauen müssten sich mehr trauen, Verantwortung zu übernehmen, und sich untereinander besser unterstützen. „Ändert die Welt selbst“, fordert Marion Schick, Personalvorstand der Deutschen Telekom AG. Um etwas nachzuhelfen, will sie demnächst Konferenzen im Unternehmen organisieren, auf denen Frauen ermutigt werden sollen, für eine veränderte Arbeitskultur zu kämpfen. Schick ist überzeugt, dass für mehr Frauenförderung ein „Zweiklang“ in den Unternehmen notwendig ist: konkrete Vorgaben und eine andere Kultur. Die Telekom hatte sich vor drei Jahren als erster DAX-Konzern selbst eine Quote verordnet: Bis 2015 sollen dort 30 Prozent der Führungspositionen mit Frauen besetzt sein.

Schröder darf für Flexi-Quote werben

Über das, was politisch noch getan werden muss, wird an diesem Vormittag wenig gesprochen. Der Einwurf einer Teilnehmerin, sie halte Betreuungsgeld und Ehegattensplitting für kontraproduktiv für die Frauenförderung, wird nicht weiter vertieft. Auch der Quoten-Kompromiss für das Wahlprogramm der Union wird nicht weiter diskutiert. So kann Merkel ganz die charmante Gastgeberin geben, die aufmerksam zuhört und gelegentlich eigene Anekdoten einfließen lässt. Von der Forderung, statt auf reine Frauenbündnisse auf „gemischte Netzwerke“ zu setzen, hält sie wenig: „Ich habe noch kein Männernetzwerk gehört, was gesagt hat: Wir müssen uns dringend für Frauen öffnen.“ Sie selbst hat ihren inneren Zirkel viele Jahre lang weiblich organisiert: Ihr „Girls Camp“ ist legendär.

Eine Frau kommt an diesem Tag besonders in den Genuss der merkelschen Frauenförderung: Kristina Schröder, zur Rechten der Kanzlerin sitzend, darf am Ende noch einmal kurz referieren, warum sie die Flexi-Quote für erfolgversprechender hält als die Selbstverpflichtung von 2001. Diese sei „wachsweich“ gewesen und ohne konkrete Beteiligung der Unternehmen beschlossen worden. Die Flexi-Quote führe nun dazu, dass man die Unternehmen endlich in die Pflicht nehmen könne. Mit dem Frauengipfel hat Merkel so noch einmal klargemacht, wem beim Thema ihre Gunst im Kabinett gilt.

Zum Schluss kündigt die Kanzlerin weitere Gipfel an und gibt sich noch einmal ganz kämpferisch: Auch eine Quote von 30 Prozent entspreche noch nicht der gesellschaftlichen Realität. Sie sei „ein freundliches Angebot“. Beim nächsten Treffen sollen auch die Männer sagen dürfen, was sie davon halten.