SPD-Kanzlerkandidat fordert europäisches Vorgehen. Hamburgs Finanzsenator Tschentscher bietet Zusammenarbeit bei der Strafverfolgung an

Paris/Berlin. Es ist nur eine Station seiner Europatournee vor der Bundestagswahl im September. Doch der Aufenthalt in Paris hat für den SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück eine gewisse Brisanz. Mitten im Umfragetief für ihn und Gastgeber François Hollande muss sich der französische Präsident zusätzlich einer Steueraffäre in den Reihen der regierenden Sozialisten erwehren und sich zudem der europaweiten Diskussion um Steueroasen stellen. Nach der Schwarzgeld-Lüge seines Ex-Haushaltsministers wurde auch noch bekannt, dass Hollandes Wahlkampfdirektor seit Jahren Firmen im Steuerparadies Caiman-Inseln betreibt. Hollande beteuerte, „nichts“ von den „Privatgeschäften“ seines früheren Top-Mitarbeiters gewusst zu haben.

Sein Gast Steinbrück kritisierte zum Thema Steueroasen schon vor seinem Abflug nach Paris die eigene Regierung. Berlin habe es versäumt, die Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuerbetrug auf europäischer Ebene weiterzuverfolgen. Jährlich gingen so europaweit rund 850 Milliarden Euro verloren. Durch das mit der Schweiz ausgehandelte Doppelbesteuerungsabkommen seien Straftäter weiter geschützt. Die Bundesregierung habe zudem die Steuerfahndungsbehörden in Deutschland ins Abseits gestellt, sagte Steinbrück. „Durch ihr Nichtstun bei der Bekämpfung von Steuerbetrug haben sie sich mitschuldig gemacht an diesem Skandal“, pflichtet ihm sein Parteivorsitzender Sigmar Gabriel in der „Bild am Sonntag“ bei.

Die Bundesregierung wiederum verspricht sich von den jüngsten Enthüllungen über Steuerflucht weltweit Rückenwind im Kampf gegen Steueroasen. „Solche Dinge, wie sie jetzt bekannt geworden sind, verstärken international den Druck“, sagte Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) im Deutschlandfunk. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin ergänzte: „Wie das geht, zeigen Frankreich mit einer Steuer auf Zahlungen in Steueroasen und die USA, die Banken zur Weitergabe aller Kundendaten zwingen.“ Schäuble betonte hingegen, die notwendigen Reformen könnten nicht von einem Land allein umgesetzt werden. Im Kampf gegen internationale Steuerhinterziehung hat Finanzstaatssekretär Steffen Kampeter (CDU) mehr Kompetenzen für den Bund gefordert. Deutschland benötige eine „vereinheitlichte Strafverfolgung“ von Steuersündern, eine Art „FBI gegen internationale Steuerhinterziehung“, sagte Kampeter im ZDF. Dies könnte etwa beim Bundesamt für Steuern angesiedelt sein. Der stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende Michael Fuchs äußerte sich skeptisch: „Solange Großbritannien und die USA nicht mit im Boot sind, bewirken wir nichts.“

„Süddeutsche Zeitung“ und der NDR erteilten Finanzminister Schäuble (CDU) auf seine Bitte eine Absage. „Wir werden die Daten nicht herausgeben“, sagte Bastian Obermayer, Redakteur bei der „Süddeutschen Zeitung“. Dies sei selbstverständlich. Nicht nur weil die Redaktion die Quellen schützen wolle und müsse, sondern weil sie grundsätzlich keine Rechercheergebnisse an staatliche Stellen weitergibt, ergänzte Obermayer. Ein NDR-Sprecher sagte, Recherchedaten würden nicht an andere weitergegeben. Die Entscheidung zur Weitergabe und Veröffentlichung des Materials liege zudem nicht bei den Medien, sondern dem Internationalen Konsortium für investigative Journalisten (ICIJ).

Medien aus 46 Ländern – darunter die „Süddeutsche Zeitung“ und der Norddeutsche Rundfunk – hatten vertrauliche Daten aus weltweit zehn Steuerparadiesen veröffentlicht. Aufgelistet werden darin 130.000 mutmaßliche Steuerflüchtlinge aus mehr als 170 Ländern, die ihr Geld vor dem heimischen Fiskus versteckt haben sollen. Namentlich genannt wird unter anderen der 2011 gestorbene Multimillionär Gunter Sachs. Seine Anwälte bestreiten die Vorwürfe, doch die Schweizer Behörden wollen die Anschuldigungen prüfen. Die Finanzdirektion des Kantons Bern, wo Sachs von 2008 bis zu seinem Freitod im Mai 2011 gewohnt hatte, kündigte eine erneute Überprüfung seiner Steuererklärungen an.

Sachs soll sein Vermögen in Steueroasen angelegt und dies möglicherweise bei den Finanzämtern nicht vollständig deklariert haben. Der Schweizer Nachrichtenagentur sda liegen nach eigenen Angaben Kopien von Dokumenten vor, „die belegen, dass Sachs ein anonymes Firmengeflecht auf den Cookinseln einrichten ließ“. Seine Nachlassverwalter versicherten jedoch, Einkommen, Vermögen und Nachlass seien ordnungsgemäß deklariert worden.

Der Hamburger Senat begrüßte die Enthüllungen. Finanzsenator Peter Tschentscher (SPD) sagte: „Die damit vermutlich verbundenen Steuerstraftaten müssen verfolgt und aufgeklärt werden.“ Die Hamburger Steuerfahndung habe mit der Aufdeckung eines international organisierten Umsatzsteuerkartells bewiesen, dass sie engagiert arbeite. Tschentscher sagte: „Wir haben dem NDR eine Zusammenarbeit angeboten, um die vorhandenen Daten zur eigenen Auswertung und Verfolgung von Steuerstraftaten zu übernehmen.“ In Deutschland hat der Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken, Andreas Schmitz, eine Mitverantwortung der Banken bei just enthüllten Steuervergehen zurückgewiesen. „In erster Linie sind es Privatpersonen und Organisationen, die ihr Geld in den Steueroasen anlegen“, sagte Schmitz der „WAZ“-Gruppe. Geldinstitute könnten bei diesen Transaktionen die Steuerehrlichkeit der Kunden nicht überprüfen, weil ihnen die hoheitlichen Befugnisse dazu fehlten. „Es ist daher nicht richtig, die Banken hierfür an den Pranger zu stellen“, sagte Schmitz.

Die „Süddeutsche Zeitung“ und der NDR hatten über einen Datensatz berichtet, der 130.000 Steuerflüchtlinge aus mehr als 170 Ländern auflisten soll. Auch die Deutsche Bank ist dabei ins Blickfeld gerückt. Deutschlands größtes Kreditinstitut soll demnach über seine Tochter in Singapur mehr als 300 Trusts und Briefkastenfirmen in Offshore-Zentren gegründet haben. Dies wird vielfach genutzt, um Geld vor dem heimischen Finanzamt zu verstecken und so fällige Steuern zu prellen. Die Deutsche Bank wirbt offensiv für ihre Dienstleistungen auf Inselparadiesen. Auf der Website www.dboffshore.com wird Mauritius als „steuerneutrales Umfeld“ angepriesen. Die Belegschaft der Bank vor Ort ist seit 1999 von fünf auf mehr als 200 Mitarbeiter angewachsen. Die Bank weist den Vorwurf, Steuerbetrüger unterstützt zu haben, entschieden zurück. Die deutsche Finanzaufsicht BaFin zeigte sich alarmiert. Wenn die Behörde Anhaltspunkte dafür habe, dass ein Institut „systematisch gegen Steuerrecht verstößt oder dabei hilft“, werde man das untersuchen, sagte BaFin-Chefin Elke König „Spiegel Online“. „Die Banken tragen da eine besondere Verantwortung.“

Will man solche legalen Steuerschlupflöcher schließen, müssten Steuergesetze rund um den Erdball geändert werden. Dabei wäre es wünschenswert, wenn sich Länder absprächen, damit keine neuen unfairen Wettbewerbsvorteile für Einzelne entstehen. „Es geht hier um ein Problem, das kein Land für sich alleine lösen kann“, sagte OECD-Chef Angel Gurria am Rande eines G20-Finanzministertreffens. Schon beim G20-Gipfel in Los Cabos im Juni 2012 hieß es im Kommunique: „Wir unterstreichen erneut die Notwendigkeit, eine Aufweichung der Steuerbasis und Gewinnverlagerungen zu verhindern.“ Inzwischen arbeitet die OECD mit Hochdruck daran, bis zum Sommer soll ein Konzept vorliegen. Ziel ist es, eine umfassende Strategie für Länder zu entwickeln, die unter dieser Aufweichung der Steuerbasis und unter Gewinnverlagerungen leiden.